Düsseldorf, Düsseldorfer Schauspielhaus, Die fünf Leben der Irmgard Keun - Uraufführung, IOCO Kritik, 18.01.2023
DIE FÜNF LEBEN DER IRMGARD KEUN - Lutz Hübner, Sarah Nemitz - Uraufführung
- WAS MAN GLAUBT, DAS GIBT ES! -
von Rainer Maaß
Diese neue Arbeit, geschrieben vom Erfolgsduo Hübner / Nemitz, inszeniert von Mina Salehpour ist kein gewöhnliches Theaterstück. Schon von der ersten Minute der Uraufführung am 14.01.2023 wird das deutlich. Der Zuschauerraum bleibt geschlossen. Keine Chance vom bequemen Sessel aus, das Stück zu verfolgen. Die Besucher*innen werden hinter den Vorhang geführt. Diesmal müssen sie, dürfen sie auf der Bühne Platz nehmen, siehe das folgende Foto. Zwischen Zuschauern und Darstellern gibt es keine Grenze. Schon bevor alle sitzen, beginnt das Stück. Man wird hineingezogen in den Dreharbeiten zu einer Vorabend Doku für den WDR im Jahr 1977.
Es geht um ein Portrait der fast vergessenen Schriftstellerin Irmgard Keun, 1905-1982. Doch der Dreh wird schnell zur Nebensache. Frau Keun höchstpersönlich erscheint am Set. Höflich, freundlich, aber auch sehr nachdrücklich, macht sie klar, dass sie in ihrem Lebenslauf vieles anders sieht als der WDR-Regisseur. Ihr Vorwurf: er würde alles „verzwergen und verniedlichen“. Von da an dürfen die Zuschauer gute hundert Minuten lang aus nächster Nähe das Auf und Ab ihrer Geschichte verfolgen. Sie dürfen miterleben, wie es wirklich war oder wie es aus Sicht der Heldin gewesen sein könnte. Oder... wie es der Titel des Stückes sagt: Die fünf Leben der Irmgard Keun.
Irmgard Keun ist Claudia Hübbecker. Dass Irmgard Keun genauso gewesen ist, wie Claudia Hübbecker sie spielt, daran besteht kein Zweifel. Man nimmt ihr die scharfzüngige Autorin ebenso ab wie die Diva, die den gestrengen Bühnenarbeiter Jupp (Rainer Philippi) gekonnt um den Finger wickelt und erfolgreich um Zigaretten anschnorrt. Sie ist charmant, wenn sie es will. Sie kann bissig und wenn nötig bösartig sein. Ohne Zweifel verachtet Keun die Nazis. Lieber geht sie ins Exil nach Belgien. Sie liebt Joseph Roth (Raphael Gehrmann) ebenso entschieden wie sie ihn hasst. Gemeinsam mit ihm verfällt sie für ewig dem Alkohol.
Jede Etappe der Geschichte des Lebens von Irmgard Keun wird im Stück zu einer Episode am Rand der sich drehenden Bühne. Das Publikum ist dabei immer ihr aufmerksamer Reisebegleiter. Man lacht mit ihr und möchte sie manchmal einfach in den Arm nehmen. Keun diskutiert mit der jungen Keun (Pauline Kästner) und ihrem mittelalten Ich (Tabea Bettin) darüber, wie es wirklich war oder wie es sein sollte. Alles in ihrem Leben ist in Bewegung. Als sich Keun für ein paar Monate in die USA begibt, lässt die Regie dafür sogar den Bühnenboden schwingen wie ein bewegtes Meer. Am Bühnenrand wartet schon ihr Verlobter (Thimo Schwarz). Er lockt mit einer Swing-Kapelle und rosigen Aussichten für eine Zukunft in Amerika. Doch ein Leben als Doktoren-Gattin in USA ist nichts für Keun. Sie geht kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs zurück nach Europa. Irgendwie landet sie in Köln und jede Bombe nährt bei ihr die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Doch die Nachkriegszeit ist nicht so, wie sich Irmgard Keun den Neustart erträumt hat. Längere Zeit verbringt sie in Landeskliniken, um vom Alkohol loszukommen. Erst in den siebziger Jahren erinnert man sich wieder an ihre Bücher. Im Stück stoppt die Produktion der WDR-Doku. Sie selbst soll jetzt das Drehbuch für ihre Lebensgeschichte schreiben. Sie ist sofort bereit! Aber den Glauben daran, dass ihre Kräfte noch reichen, den hat niemand mehr. Leider.
Dieser Theaterabend hat begeistert. Immer war man Teil der Story von Irmgard Keun. Die überraschend inszenierten Stimmungswechsel im Stück zeigen die vielen Facetten ihrer Persönlichkeit. Wenn es für sie schwierig wird, bricht eine humorvolle Bemerkung die Ernsthaftigkeit der Szene. Oder es hilft das freche „Bezirzen“ des Hausmeisters. Man spürt ihre Lebenslust und ihre Fähigkeit Situationen positiver zu sehen als sie sind. Sie weiß wie sie ihren Charme einsetzen kann. Nicht nur für sich! Am Ende profitiert sogar das Drehteam davon, dem sie mehr künstlerische Freiheit verschafft.
Es war wunderbar. Oder um es mit den Worten ihrer Roman-Heldin aus Das kunstseidene Mädchen zu sagen: "Der Abend hatte GLANZ !" Und er macht neugierig auf die Bücher der Schriftstellerin Irmgard Keun.