Düsseldorf, Düsseldorfer Schauspielhaus, BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER, IOCO Kritik, 05.10.2022
BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER - Max Frisch
- wie "normale" Menschen aus Schwäche oder Druck zu Mittätern werden -
von Rainer Maaß
Max Frisch (1911 -1991) zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Der gebürtige Schweizer kam erst relativ spät zur Schriftstellerei. Er arbeitete einige Jahre als Architekt und begann nebenher zu schreiben. Als politisch denkender Mensch nahm Frisch dabei mit seinen Essays, Romanen und Theaterstücken immer wieder Stellung zu Themen seiner Zeit. Zu seinen berühmtesten Werken zählen die Romane Homo Faber (1957) und Mein Name sei Gantenbein (1964). Biedermann und die Brandstifter gelangte als Theaterstück 1958 im Schauspielhaus Zürich zur Uraufführung.
Die Story zu Biedermann und die Brandstifter ist schnell erzählt: Hauptfigur ist der Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann, ein ängstlicher Spießbürger, und seine Frau Babette. In seiner Stadt treiben Feuerteufel ihr Unwesen. Eines Tages ziehen die Landstreicher Josef Schmitz und Wilma Eisenring bei ihm ein, die sich schnell als die gesuchten Brandstifter entpuppen. In der verzweifelten, naiven Hoffnung von einem Brand verschont zu bleiben, unterstützten Gottlieb und Babette Biedermann die Verbrecher bei ihren Plänen. Er geht soweit, dass man ihnen sogar die Streichhölzer beschafft, mit denen diese die Stadt anzünden.
Seinerzeit, in den 60er Jahren, verbanden die Zuschauer die Parabel des Stückes mit der Angst vor einer kommunistischen Unterwanderung der bürgerlichen Gesellschaft. Für viele waren die Brandstifter gleichbedeutend mit dem Machtstreben der Nazis. Auch heute, mehr als sechzig Jahre nach seiner Uraufführung, verliert das Stück nichts von seiner Brisanz. Wenn auch mit anderen Vorzeichen.
Regisseur Adrian Figuerosa und sein Team inszenieren im Düsseldorfer Schauspielhaus (Premiere am 1.10.2022) das Thema auf moderne, zeitgemäße Art. Das Gleichnis vom feigen Spießbürger, der sich von abgefeimten Spitzbuben übertölpeln lässt, spielt in einem Szenario, das an New York erinnert. Nicht an ein glitzerndes Manhattan, sondern an verkommene Bezirke der Stadt, die den bürgerlich "normalen" Menschen Angst machen. Das Bühnenbild, die Videoanimationen und Soundcollagen schaffen eine Atmosphäre, in der man sich als Zuschauer der Allgegenwart des Bösen immer bewusst ist.
Doch das Böse ist raffiniert: man ertappt sich immer wieder, Sympathie für die Gauner zu empfinden. Sogar Schadenfreude gegenüber ihren Opfern kommt auf. Gottlieb Biedermann macht sich schuldig, weil er feige und nachgiebig ist. Auch weil er als rücksichtsloser Unternehmer selbst kein unbescholtener Mann ist. Die echten Gauner sind in ihrem Handeln eindeutiger. Es macht Freude Andreas Grothgar als Josef Schmitz und Sophie Stockinger in der Rolle der Wilma Eisenring beim Einschleimen, Überreden und Bedrohen zuzusehen. Das Ehepaar Biedermann (Sebastian Tessenow und Hanna Werth) handelt aus Opportunismus. Wenn es im allgemein bleibt, "nicht kostet", führt der Spießbürger Biedermann das große Wort; aber er verweigert sich, wenn es gilt, den Anfängen des "Bösen" zu wehren. Schlimmer noch, Biedermann wird letzlich zum Komplizen der Brandstifter Schmitz und Eisenring. Eine Haltung, die auch ihn, so zeigt es das Stück, geradewegs in den Abgrund führt. Denn Schuld besteht nicht nur im Handeln, sondern auch im Unterlassen. Will man nach diesem gelungen Theaterabend eine Lehre mit nach Hause nehmen, könnte sie lauten: Schuld entsteht nicht allein durch Handeln; unterlassenes Handeln kann ebenso schuldig machen!
Die Zuschauer im Düsseldorfer Schauspielhaus belohnten das Ensemble mit reichlich Beifall
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