Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, Theaterkrisen und Zuschussgier, IOCO-Aktuell, 11.05.2012
Die Piratenpartei, wüster Umgang mit öffentlichen Mittel oder: Die Zuschussgier kommunaler Kulturmanager
Die Piratenpartei, politisch noch nicht wirklich da, agiert in Berlin mit radikalen Ideen: Eines der drei Berliner Opernhäuser, die Deutsche Oper Berlin, soll geschlossen werden. Die jährlich frei werdenden Mittel von €39 Millionen sollen der freien Kulturszene zugute kommen. Die Forderung ist nicht mehrheitsfähig. Aber nachvollziehbar, angesichts des grotesken Gegensatzes in der Förderung öffentlicher und frei finanzierter Theater. Sie artikuliert das tiefe Unbehagen über die willkürlich wirkende Vergabe riesiger Zuschüsse an öffentlich betriebene Theater.
25% Zuschuss, maximal, erhalten in Deutschland privat geführte Theater zu ihrem Etat. Schlecht bezahlte Leiter der freien Theaterszene kämpfen täglich sorgenvoll um ihr wirtschaftliches wie künstlerisches Überleben.
80 - 90% Zuschuss seines Etat erhält dagegen ein durchschnittliches öffentliches Musiktheater. Über € 2 Milliarden Zuschüsse kosten die Opernhäuser jedes Jahr den deutschen Steuerzahler. 84 bezuschusste Opernhäuser, geliebte Relikte deutscher Kleinstaaterei, spielen in Deutschland. Zuschüsse von € 40 Mio für große öffentliche Musiktheater sind deutsche Normalität. Mit durchschnittlich € 100 werden Eintrittkarten solcher Musiktheaters derzeit bezuschusst.
Kommunale Kulturmanager leiden keine wirtschaftliche Not: Sie leben Bertold Brecht: "Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm". Langjährige und wohldotierte Verträge dokumentieren politische Rückendeckung, nicht objektivierte Leistung: Barenboim bis 2022, Rattle 2018, Bachler 2018, Meyer Düsseldorf 2019, Loebe 2019 und so weiter. Auslastung, Einnahmen, Effizienz der von ihnen geleiteten Theater verkommen bei den Vertragsverhandlungen zu Nebenwerten. Barenboim begleitete Netrebko-Auftritte stellen populäre und teure Highlights kommunaler Kulturpolitik dar, besonders in Berlin. Viele große wie kleine Besucher mißachtende Produktionen vor leeren Rängen sind jedoch deutsche Theaterrealität. Denn Leistungsvorgaben, in der freien Theaterszene selbstverständlich, fehlen für öffentliche Häusern weitgehend. Pervertierte Zuschussmentalität lebt festgezimmert in den Köpfen föderaler Kulturmanager. Öffentliche Kunst besitzt wirtschaftliche Exterritorialität!
Die Berliner Staatsoper wird bis 2014 für mindestens € 253 Mio saniert. Der aufwendige Staatsopernbetrieb mitsamt Kultur-Leitung Flimm (71) und Barenboim (70) überlebt fast unverändert, wohlversorgt und hoch bezuschusst, vier Jahre lang im lütten, für €25 Mio mal eben "interimsanierten", Schillertheater. Eine Schließung der Staatsoper für vier Jahre hätte dem kulturell überfluteten Berlin viele Millionen erspart und, vielleicht, die durch moderne Inszenierungen notorisch schlecht besuchte Komische Oper Berlin etwas gefüllt. Köln saniert problemlos für € 250 Mio ihre Oper und Theater. Eine marginale, lang schwelende kleine Etatschieflage von € 2 Mio der Oper Köln löst dagegen öffentliches Getöse und teure Umwälzungen aus. Die kürzliche Vorstellung der Jahresplanung 2012/13 der Oper Köln endete hierdurch in einem Debakel. Nun gerät auch die seit Jahren unauffällig dahin dümpelnde Rheinoper, Opernehe von Duisburg (Auslastung schlimme 60%) und Düsseldorf, in Gefahr: Drastische Sparvorgaben des Duisburger Stadtrats werden am 25. Juli 2012 verabschiedet. Die Kulturdezernenten der Städte Janssen (Duisburg) und Lohe (Düsseldorf) verkünden offiziell, die Rheinoper erhalten zu wollen. Parallel dazu dröhnt Lohes Chef, Düsseldorfs OB Dirk Elbers laut über Möglichkeiten einer Opernehe Köln-Düsseldorf. Krönung des öffentlichen Kultur - Mißmanagements ist die von geplanten €77 Mio auf über € 500 Mio angewachsene Bauruine der Hamburger Elbphilharmonie (Arbeit eingestellt): "Das schönste Steuergrab der Welt", schreibt Cicero dazu. Dem Intendant der Elbphiharmonie, Christoph Lieben-Seutter, fällt, zynisch klingend, nur ein: "Dann muß die Qualität aber stimmen". Das Schweriner Theater, das Landestheater Schleswig-Holstein und viele andere kommunale Theater Deutschlands wanken, trotz extremer Zuschüsse. Das deutsche System, "Föderal betriebene Theater", liegt auf der Intensivstation.
Die politisch beeinflusste Steuerung des öffentlichen Kulturbetrieb und dessen stark ausgeprägter Förderalismus sind Teil deutscher Landesverfassungen. So schreibt die Landesverfassung für NRW in Art. 18 Abs 1 : „Kultur, Kunst und Wissenschaft sind durch Land und Gemeinden zu fördern.“
Die verfassungsgemäßen Kulturparameter fordern nicht, daß Musiktheater zu über 80% bezuschusst werden, daß wirtschaftliche Effizienz im deutschen Kulturbetrieb ein Schattenleben führen, daß viele Intendanten sich wirtschaftlichen Vorgaben verschliessen. Ein stärkeres Gleichgewicht von öffentlicher zu freier Theaterszene ist dringlich, wenn Musiktheater nicht den Geschmack verordneter Kunst erhalten wollen. Der deutsche Kulturföderalismus und seine ökonomischen Eckpunkte sind reparaturbedürftig. Die Berliner Piratenpartei rüttelt zu Recht an fetten föderalen Latifundien.
IOCO / Viktor Jarosch / 10.05.2012
---| IOCO Aktuell Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf |---