Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, CAVALLERIA RUSTICANA - PAGLIACCI, IOCO

CAVALLERIA RUSTICANA - PAGLIACCI: Es gibt so etwas wie Saison-Opern: für die Vor-Weihnachtszeit (Hänsel und Gretel), für Silvester (die Fledermaus) für Karfreitag (Parsifal) als die klassische Weihnachtsoper. Die Kurzopern, Cavalleria Rusticana und Pagliacci werden ganz oft an Ostern gespielt

Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, CAVALLERIA RUSTICANA - PAGLIACCI, IOCO
Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf @ Hans Jörg Michel

Blutige Ostern: Liebe, Eifersucht und Mord in der Düsseldorfer Oper am Rhein - Die Zwillingsopern Cavalleria Rusticana von Pietro Mascagni und Pagliacci von Ruggero Leoncavallo

 von Iris Flender / Uli Rehwald

Es gibt so etwas wie Saison-Opern: Opern für die Vor-Weihnachtszeit (Hänsel und Gretel), für Silvester (die Fledermaus) für Karfreitag (Parsifal) oder auch La Boheme als die klassische Weihnachtsoper. Die beiden Kurzopern, die wir heute sehen, Cavalleria Rusticana und Bajazzo (auch Pagliacci im deutschen Sprachraum genannt) werden ganz oft an Ostern gespielt, da die Handlung der Cavalleria an Ostern stattfindet. Mit feierlichem Kirchgang und Osterprozession aber auch Mord und Totschlag.

Wir sehen am 31.3.2024 die Wiederaufnahme einer Inszenierung, die schon seit 2003 erfolgreich an der Rheinoper in Düsseldorf läuft. Diese beiden Kurzopern, die fast immer zusammen an einem Abend gespielt werden, gelten als Musterstücke des sog. Verismo, in der die wahrhaftigen Gefühle der ganz normalen, kleinen Leute auf der Opernbühne dargestellt werden. Und so ist auch der Prolog vor dem Bajazzo zu verstehen. „Auch was er wirklich sieht, schildere der Dichter“.

Cavalleria Rusticana hier René Morloc als Lucia @ Hans Jörg Michel

Diese beiden kurzen Stücke sind gut geeignet für Opern-Anfänger. Prallvoll von Handlung, die jeder leicht verstehen kann. Liebe, Eifersucht, Rache, Verrat, Hass - nur abgrundtiefe Primärgefühle, die blutig enden. Jeder im Publikum wird in einen Strudel von Gefühlen mitgerissen. Die dichtgedrängte Handlung erlaubt keine Verschnaufpause. Der Zuschauer kann gar nicht anders, als den sich entwickelnden Wahnsinn atemlos zu verfolgen und alles andere zu vergessen. Und daher stehen die beiden Stücke weit oben in der Rangliste der beliebtesten Opern.

Beide Stücke sind von Christof Loy angenehm naturalistisch inszeniert. Kein Versuch, etwas anderes hineinzubringen als den ohnehin schon übervollen, dramatischen Plot, den die beiden Opern von Haus aus mitbringen. Aber schon kunstvoll mit großen Effekten inszeniert.

Die Bühne der Cavalleria zeigt ganz naturalistisch den Vorplatz zu einer Kirche in Sizilien. Das Portal ist geöffnet, man sieht bis zum Altar. Frauen und Mädchen sind geschäftig dabei, die Kirche für den Ostergottesdienst zu schmücken. Alle Dorfbewohner tragen einfache Kleidung. Die Frauen Rock, Mieder, Kopftuch in dunkelblau und schwarz. Die Männer dunkle Anzüge, weiße Hemden und Hut. Keiner sticht hervor, alle bilden einen einheitlichen „Dorfkörper“. Auch Santuzza und Mama Lucia. Ganz anders Alfio, der wohlhabende Fuhrmann, eine elegante Erscheinung. Er bringt seiner Ehefrau Lola ein auffälliges, weit ausgeschnittenes rotes Kleid mit von seiner Fahrt. Und dieses trägt sie dann - sehr unpassend - auch zum Ostergottesdienst, geht frech und selbstbewusst in die Kirche. Während Santuzza in dem üblichen schwarzen Kleid als Sünderin vor der Kirche bleibt und Turiddu verrät. Die kirchliche Prozessionsszene ist sehr prunkvoll dargestellt, mit großer Monstranz, Fahnen und Priestern in glanzvollen Gewändern.

Cavalleria Rusticana hier Alfio und Chor @ Hans Jörg Michel

Die Bühne beim Bajazzo ist ganz schlicht gehalten. Ein paar große Holzkisten, welche aber mühelos ihre Funktion im Rahmen der Handlung einnehmen: Podeste für die Ankündigung der Komödie, die Behausungen der Komödianten, Schminkgarderobe, Bühne, Zuschauerraum. Bei der „Aufführung“ zeigt ein dünner Vorhang passende Bildern von Clowns und Harlekinen aus alten venezianischen Komödien.

Die Kleidung der Schausteller sowie der Zuschauer ist ganz einfach gehalten, vielleicht an die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts angelehnt. Lediglich Nedda ist auffällig gekleidet, mit kurzem ausgeschnittenen Kleid und roten Pumps. Eine schöne junge Frau, die in der Komödie als Hingucker dienen soll. Zunächst trägt sie ein weißes Kleid mit großen Blüten, beim Aufziehen des Unheils während des Schminkens trägt sie einen hellroten Kittel, während der Aufführung ein tiefrotes Kleid. Sie wandelt sich sozusagen von der romantisch träumenden jungen Frau zur Femme fatale auf der Bühne. Lediglich das Blütenmuster zeigt weiter den mädchenhaften Urgrund.

Die Cavalleria-Aufführung braucht heute wohl etwas, um Fahrt aufzunehmen. Aber dann gibt es doch einen ersten Szenenapplaus für den großen Chorauftritt der Osterprozession. Und spätestens bei den beiden Duetten Turiddu / Santuzza und Alfio /Santuzza reißt es alle mit.

Morenike Fadayomi nimmt uns als Santuzza mit in die schaurigen Abgründe ihrer Liebes-Verzweiflung, die schließlich ultimativ im Hass mündet. Sie verflucht Turiddu mit blutigen Ostern. Edurado Aladrén überzeugt in der Rolle des wenig heldenhaften, wankelmütigen Turiddu mit seinen mühelosen Tenor-Höhen und starker Bühnenpräsenz. Renée Morloc bildet als Mama Lucia mit ihrem samtigen Alt ein Ruhepol zwischen den dramatischen Stimmen. Richard Sveda bleibt in seiner Antrittsarie als Alfio noch etwas unter seinen Möglichkeiten. Steigert sich aber furios im Duett mit Santuzza und seiner Rache-Arie. Für die Rolle der Lola muss die Stimme etwas erotisch-lockendes und auch spielerisches haben. Der Mezzo-Sopran von Kimberley Boettger-Soller verfügt darüber genauso wie die dazugehörigen schauspielerischen Fähigkeiten.

Der Bajazzo fängt schon unmittelbar als Knaller an, direkt im Höchst-Tempo. Der Chor bricht von den Seiteneingängen fast überfallartig in den Publikumsraum ein, hin zur Bühne. Und es bleibt dabei: Ständige sind kleine Mini-Handlungen zu sehen, auch vom Chor, schauspielerisch gut dargestellt. Man weiß gar nicht, wo man überall gleichzeitig hinsehen möchte.

Der Canio /Bajazzo ist heute mit Sergey Polyakov sehr gut besetzt. Er besteht seine große Parade-Arie, auf die heute alle warten, mit Glanz und führt uns in den tiefen Abgrund seiner Verzweiflung. Die kurz darauf im Doppelmord mündet.

BAJAZZO hier Bajazzo und Luiza Fatyol als Nedda @ Hans Jörg Michel

Luiza Fatyol in der Rolle der Nedda schlägt sich heute wirklich überragend. Nicht nur sängerisch (mit glanzvollen, leichten Höhen, sowohl lyrisch in der Vogel-Arie als auch hochdramatisch zum Finale). Es gelingt ihr zusätzlich, spielerisch enorm zu beeindrucken (die Peitschenszene). Auch die Bewegungen, die sie als Muster einer völlig übertriebenen Weiblichkeit auf der Bühne für die bäuerlichen Dorfbewohner spielen muss, bringt sie als beeindruckende Persiflage.

Alexey Zelenkov zeigt einen schaurigen Tonio mit dem ganzen Volumen seines satten Baritons. Enorm dämonisch wirkt sein Hass als verkrüppelter Buckliger, der von Nedda nur verspottet wird (tatsächlich ist er mit Buckel kostümiert und spielt mit hinkenden Bewegungen). Und so zieht die Fäden der Intrige. Wem bei seinem gesprochen Schlusssatz:

„la comedia é finita“

bei der von ihm herbeigeführten Katastrophe nicht die Haare zu Berge stehen, dem ist nicht zu helfen.

Jorge Espinos Tenor als Silvio bringt die wenigen scheinbar unbeschwerten Momente in der Liebesarie mit Nedda ein. David Fischer in der Rolle des Beppo singt als Harlekin das einzige Lied, das einen zum Schmunzeln bringen kann – bei einem sonst hochdramatischen Abend.

Bajazzo hier Nedda und Canio @ Hans Jörg Michel

Die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Paolo Arrivabeni schildern voller Glut den musikalischen Hintergrund der beiden Dramen. Und natürlich sind es auch zwei ganz große Chor-Opern. Der Chor und der Extrachor der Deutschen Oper am Rhein (unter der Leitung von Gerhard Michalski) zeigt sich eindrucksvoll wuchtig und auch spielerisch präsent, die Handlung tragend.

Die Frage nach dem Star des Abends ist heute nur schwer zu entscheiden. Das könnte tatsächlich mal der großartige Chor sein, natürlich die überragende Nedda oder der dämonische, bucklige Tonio. Auch die Frage, was der magische Opernmoment des Abends war, wäre an dem heutigen Abend die falsche Frage. Denn es gibt heute ganz bestimmt nicht nur einen, sondern eine lange Reihe dieser Momente. Immer dann; wenn eine der großen Arien /Duette mit der mitreißenden Musik verschmilzt, findet fast Unglaubliches statt. Wahrscheinlich sind diese beiden Opern so deshalb beliebt: Ein Höhepunkt jagt den anderen.

Großer, anhaltender Applaus von den heutigen Zuschauern, auch viele Bravo-Rufe. Zu Recht, und zwar für beide Kurz-Opern. Es zeigt sich: Die Rheinoper kann beides. Drama wie am heutigen Abend oder heiter-komödiantisch wie beim Orpheus. Bestimmt können wir uns auf weitere große Abende freuen. 

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