Oper im Kino - Madame Butterfly - live in Düsseldorf aus der Royal Opera Hall, IOCO Essay
ATELIER - FILMKUNSTKINO, Düsseldorf: Oper im Kino? Niemals, um Himmels willen! Oder doch ein freudiges Ja? Ein hoffnungsvoller Selbstversuch mit Madame Butterfly von Giacomo Puccini, Übertragung einer Aufführung des Royal Opera House London in dem Düsseldorfer Filmkunst-Kino Atelier am 31.3.2024.
Oper im Kino? Niemals, um Himmels willen! Oder doch ein freudiges Ja? Ein hoffnungsvoller Selbstversuch mit Madame Butterfly von Giacomo Puccini, Übertragung einer Aufführung des Royal Opera House London in dem Düsseldorfer Filmkunst-Kino Atelier am 31.3.2024.
von Uli Rehwald
Seit einigen Jahren gibt es die Oper für uns Zuschauer nicht nur live im Opernhaus, sondern auch in einer Reihe von anderen Formaten.
- Opernübertragungen live im heimischen Fernsehen.
- In der Mediathek der einzelnen Sender.
- Zusätzlich gibt es umfangreiche Möglichkeiten auf YouTube.
- Außerdem gibt es sogar eigene Opernplattformen im Internet, wie z.B. OperaVision (eine kostenlose Streaming-Plattform der EU). Hier kann man aktuelle Opern zu Hause im Fernseher ansehen, wenn man gerade Zeit hat. Die Düsseldorfer Oper hat gerade ihre Neuproduktion Eugen Onegin dort eingestellt.
Die Übertagung von Opern ins Kino gibt es beim Royal Opera House, London inzwischen seit 15 Jahren. Sogar die Bayreuther Festspiele übertragen neuerdings jährlich einen Livestream ins Kino. Auch viele andere große, internationale Opernhäuser wie die Metropolitan Opera in New York sind schon länger dabei. Daraus ist gewissermaßen eine neue Form entstanden:
Große Oper im prosaischen Kino
Vorweg ein wenig technische Fachkunde zu den Opern-Übertragungen im Kino:
- Es gibt (selten) das zeitgleiche Streaming, wie das Public Viewing eines Fußballspiels.
- Häufiger ist die Form, dass das Streaming etwas zeitversetzt ist (z.B. 1 Stunde später).
- Weiter gibt es ein Streaming-Angebot, bei der die Aufführung schon einige Tage her ist (das sehen wir heute).
- Und abschließend gibt es Kino-Streaming auf Abruf (on Demand, wie der Fachmann sagt). Das ist das Gleiche wie die Fernseh-Mediathek, bloß kollektiv im Kino.
Heute soll ein Selbstversuch gewagt werden, wie das Setting „Oper im Kino“ wirkt. Ob dafür vielleicht eine Zukunft gesehen werden kann. Oder ob es nicht doch zu bequem-prosaisch ist und keine Stimmung aufkommt. Dieser Versuch soll auf folgender Grundlage stattfinden:
- Das Royal Opera House London überträgt Madame Butterfly von Giacomo Puccini weltweit in viele Kinos. Am feierlichen Ostersonntag 2024, in der Nachmittagszeit.
- Diese Übertragung (mit deutschen Untertiteln für die deutschen Kinos) wird in einem Düsseldorfer Kino angesehen, das auf solche Übertagungen spezialisiert ist.
- Dabei erleben wir heute keine echte Live-Übertragung, sondern das Streaming einer Aufführung, die in London bereits vor ein paar Tagen bereits gelaufen ist.
Ja, es wird heute sicherlich Spitzenklasse geboten vom Royal Opera House. Wir sehen eine der bekanntesten und beliebtesten Opern überhaupt (andere werden wahrscheinlich im Kino aus kommerziellen Gründen nicht angeboten). Als Beispiel für die absolute Spitzenbesetzung sei Asmik Grigorian in der Rolle der Butterfly genannt. Ihre internationalen Auszeichnungen (zuletzt 2023 Sängerin des Jahres bei OPUS KLASSIK) können fast nicht aufgezählt werden.
Aber heute soll es nicht um die musikalische Qualität und die Leistung der Sänger gehen (beides ist ohne Zweifel großartig). Sondern darum, wie sich diese Oper im Kino anfühlt.
Bereits vor Beginn der Oper drängen sich einige neue Eindrücke und Erfahrungen auf:
- Die allen Männern bekannte Diskussion mit der Partnerin (Was soll ich anziehen?) entfällt. Das ist ja schon mal erfrischend.
- Der Adrenalin-Spiegel auf der Hinfahrt bei Stau bleibt erfreulich niedrig. Schwierige Gedanken über ein Zuspätkommen sind heute überflüssig. Wie ja jeder weiß, bleiben nur im Opernhaus die Türen zu. Im Kino nicht.
- Die Eintrittspreise an der Kasse sind deutlich niedriger.
- Noch mal hinausgehen und Getränke holen ist unkompliziert möglich. Das stört hier niemanden. Höchstens für den konservativen Opernbesucher dürfte das befremdlich sein.
- Dann folgt etwas, was es im Opernhaus nie zu sehen gibt: Die Übertagung beginnt erst mal mit Werbung. So schlimm ist es aber auch nicht. Es wird keine Werbung für Chips und Versicherungen gezeigt. Sondern nur für die kommenden Opernübertragungen. Was für das Publikum sicher recht informativ ist.
- Außerdem gibt es ein Vorprogramm. Wir sehen Interviews mit Künstlern und dem Regisseur. Und sehen bei einem Kamera-Gang hinter die Bühne, wie sich alle vorbereiten. Man fühlt sich als Teil des Ganzen, fiebert mit.
- Die Kameras werfen auch einen Blick in den Zuschauerraum. Man sieht das eher casual gekleidete Publikum in London in den Zuschauerraum strömen. Und hat auch hier fast das Gefühl: Man ist dabei.
Und dann startet die eigentliche Oper doch noch auf der großen Kino-Leinwand. Alle haben im Kino Platz genommen und laufen nicht mehr hinaus. Ein Blick mitten in den Orchestergraben zeigt den Dirigenten in Großaufnahme. Seinen Moment der Konzentration und wie er dann den Taktstock hebt. In der Folge werden auch einzelne Musiker während der Ouvertüre gezeigt, wenn sie gerade ihren Part spielen. Das ist gut, solche Eindrücke hat man sonst nie. Sobald jedoch das Bühnengeschehen beginnt, wird der Blick auf den Orchestergraben ausgespart. Das stört ein wenig atmosphärisch: Die Entrückung der Bühne findet nicht statt, da der sonst vorhandene Blick auf den trennenden Orchestergraben fehlt.
Ganz schnell wird klar, welches die großen Vorteile einer Oper im Kino sind.
- Man sitzt optisch gewissermaßen in der 1. Reihe. Sitzriesen in der Reihe vor dem eigenen Platz gibt es nicht. Das Opernglas ist echt überflüssig. Wer es heute dabei hat, zeigt sich als Kino-Banause.
- Die Sitze sind wirklich bequem. Weit besser als alles, was im Opernhaus geboten wird. Und endlich ist auch mal Platz da, die Füße auszustrecken. Von der breiten, gepolsterten Lehne mit dem Getränkehalter gar nicht zu sprechen. Alles ist auf Angenehmste großzügiger. Ja, auch die fast 6 Stunden einer Götterdämmerung ließen sich hier wohl gut aussitzen. In der letzten Reihe gibt es sogar kleine Hocker, auf die man die Füße hochlegen kann (es sieht ja niemand im Dunklen). Das hat sich ja wohl jeder schon einmal heimlich gewünscht.
- Der Kinosaal ist bestens klimatisiert. Die manchmal unglaublichen Temperaturen des Bayreuther Festspielhauses im August bleiben heute allen erspart.
Es wird schnell klar, dass wir auf der Kinoleinwand nur das sehen, was eine eigens beauftragte
Kinoregie
für die Kinofassung vorgesehen hat. Diese Kinoregie ist dafür verantwortlich, dass die Blickwinkel von verschiedenen Kameras im richtigen Moment gut genutzt werden. Das ist nun mal ein völlig anderer Eindruck als im Opernhaus: Dort hat man ja nur (sein eigenes) festes Standbild aus der Ferne.
Und zusätzlich wird auch die Möglichkeit, mit der Kamera hinein und hinaus zu zoomen, reichlich genutzt. Das ist in der Tat ein dramatischer Effekt, der an der richtigen Stelle eingesetzt außerordentlich wirksam ist. Geradezu noch mehr aus der Oper macht. Es gibt Nahaufnahmen der Sänger während ihrer Arien zu sehen, auch mal die ganze Leinwand füllend. Die Mimik im Großformat wirkt fast schon intim. Und sie singen heute (eigentlich letzte Woche) in London so, dass es sich lohnt, die Mimik in Großaufnahme zu verfolgen. Man taucht ganz automatisch noch mehr ins Geschehen ein als sonst.
Zur Akustik:
- Sicher hat das Kino wie zu erwarten allerbeste Lautsprecher, ausgeklügelten Raumklang sowieso. Und an Lautstärke fehlt es heute ganz sicher nicht, man hätte den Volumenregler auch einen Strich herunter dimmen können.
- Die Stimmen der Sänger, die Differenzierung der Instrumente, die Bühnengeräusche: Alles ist akustisch voll da, gut transparent.
- Vielleicht nur ein kleines Manko: Man hat gelegentlich den Eindruck, dass ein gewisser Schalldruck fehlt. Beispielsweise wenn die Blechbläser ins Fortissimo gehen. Dadurch fehlt dann doch etwas, die Akustik wirkt gelegentlich ein wenig körperlos. Diese sensorische Schall-Erfahrung im Opernhaus fehlt hier doch.
- Außerdem ist die Tonspur öfters leicht zeitversetzt, was aber nicht allzu sehr stört.
Am Ende des 1. Aktes spendet das Londoner Publikum herzhaften Applaus. Und was geschieht hier im Kino? Man ringt mit dem Impuls, applaudieren zu müssen. Und tut es dann doch nicht. An dieser Stelle wird wieder bewusst, dass man eben nur im Kino sitzt und nicht im Royal Opera House.
Wieder gibt es kurze Pausenfilme, die Einblicke in die Probenarbeit geben. Sogar der Beleuchtungsmeister erläutert seine Ideen und wie sein Konzept auf der Bühne wirken soll. Auch hier gibt es wohl ein eigenes Beleuchtungskonzept für die Kinofassung. Weiter wird in der Pause eine richtig gute Möglichkeit angeboten, die es im Opernhaus nicht gibt: Das Publikum wird gebeten, Eindrücke und Gedanken online zu teilen, noch während der laufenden Oper. Sonst ist die Atmosphäre in der Pause wie bei einem normalen Kinobesuch, Plakate über die neusten Filme und das neue Publikum für weitere Vorstellungen. Es kann sogar selbst mitgebrachter Kuchen verzehrt werden. Einige Zuschauer kommen ins Gespräch über die Oper.
Und nun die Antwort zu der Eingangsfrage: Ist das Kino eine gute Alternative für die Oper? Oder doch eher abzulehnen?
- Ja, das Feierliche / Festliche fehlt vollständig. Wer das Erlebnis einer Opernnacht in der Arena von Verona sucht, wird im Kino sicher nicht fündig werden.
- Die zusätzlichen Infos und Pausenfilme sind wirklich gut und informativ.
- Es gibt großartige Kameraperspektiven, die man sonst nie hat.
- Die Oper im Kino ist schon eine sehr effiziente Möglichkeit, wenn man nicht nach London fliegen will. Und trotzdem Weltklasse-Aufführungen sehen möchte.
- Große Opern-Gänsehaut-Momente gibt es durchaus auch im Kino. Und dann vergisst man einfach, nur im Kino zu sitzen. Z.B. wenn Butterfly in der Schluss-Szene langsam das Messer zückt, um sich umzubringen. Es wird das Messer in Großaufnahme leinwandfüllend gezeigt, wie es langsam aus der Scheide gleitet, während sie sich singend entschließt. Mehr Opern-Feeling geht nicht.
- Am heimischen Fernseher aus der Mediathek würde ein solches Opern-Feeling nicht aufkommen. Sei es aufgrund schlechterer Akustik oder aufgrund der Verlockung nebenan (wie Kühlschrank, Telefonanruf dazwischen).
- Irgendetwas zwischen all diesen Punkten ist Oper im Kino.
Wer nun auch einen Selbstversuch bei dieser Opernsparte machen möchte, hat dazu bereits am 01.05.2024 mit der Oper Carmen die Möglichkeit. Der Stream wird bundesweit in vielen Kinos gezeigt.