Düsseldorf, Tonhalle, Christian Gerhaher - Liederabend mit drei Sternen, IOCO Kritik, 24.11.2017
Bariton Christian Gerhaher und Pianist James Cheung
Liederabend mit drei Sternen in der Tonhalle
Von Albrecht Schneider
Moro, lasso, al mio duolo...Mit der vibratolos gesungenen ersten Zeile des Madrigals von Carlo Gesualdo, mit deren fahlen dunklen Vokalen beginnt eine der Klagen über ein unseliges Schicksal. Die oft peinigende Beschaffenheit der Welt, die Bösartigkeit der Menschen, eine tötende Liebe und die düstere Drohung des Todes fassen die Dichter in Sprachbilder. Und die Musik weitet sie in eine vierte Dimension. Dann ist es die Sache der Interpreten, ob das kleine Kunstwerk zu Verstand und Gefühl der ZuhörerInnen durchdringt.
Das Programm des Abends lautete: "Schmerztherapie"Lieder von Gesualdo, Johannes Brahms, Benjamin Britten. Claude Debussy und Franz Schubert stehen demnach unter Heilungsverdacht. Oder ist es deren Magie? Zauber? Oder doch bloß Placebo? Gar Aphrodisiakum? Nein, da sei der Teufel vor! Zu Rezeption eines Gedichtes bedarf es keines Tons, Buchstaben genügen. In Musik gesetzt, als Lied, bleibt es einzig Druckerschwärze, sofern nicht die menschliche Stimme sich seiner annimmt.
Des Kunstlieds Gestaltung ereignet sich als eine der intimsten Formen des Konzertierens. Sänger und Klavierspieler stehen dort vorn, stehen dort unten, ein einsames Paar in der Weite des Konzertsaals. Musikanten, ausgeliefert dem Monster Publikum. Hustet es, läutet das Handy, wacht es oder lehnt es sich harmoniensüchtig und versunken zurück in seinen Stuhl? Oder möchte es die zwei wirklich erzählen hören von dem denkbaren, dem phantastischen, mythischen und dem profanen Weltgeschehen?
Ein Geiger, der eine Stradivari namens Lady Blunt streicht, wird kraft seiner Kunst all ihr Potential zum Tönen bringen. Der Protagonist dieses Abends (eine Klassifizierung als 'Star' käme in seinem Fall ob dem Verschleiß dieses Begriffs einer Degradierung gleich) spielte mit gleicher Bravour ein anderes Instrument von nicht geringerer Güte: die Stimme Christian Gerhaher. Wer bislang diesen Sänger vom Namen her nicht kannte, der sollte von ihm erfahren, wie stupend er von Gesualdo bis zu den Komponisten unserer Zeit deren Intentionen gedanklich und musikalisch erfasst und souverän in Sprache und Ton umsetzt. Ihm zu zuhören bedeutet nicht, sich in Belcanto hüllen zu lassen, weil ihm die 'Fülle des Wohllauts' (Thomas Mann) eignet, vielmehr mittels seiner Meisterschaft von diesen sublimen Kunstgebilden angesprochen, ja getroffen zu werden.
Nunmehr muss die Rede sein von dem ihm ebenbürtigen James Cheung am Klavier. Der Pianist begleitete mit Verve den Sänger auf dessen Gang zur Schmerztherapie durch die musikalischen Räume. Nicht als dessen gefälliger Untergebener, sondern als ein absoluter Instrumentalist, der sich einem die Kantilene der Stimme tragenden Klanggerüst verpflichtet wusste. Und der jeden Klavierpart makellos exekutierte, insbesondere den ausschweifenden, diffizilen eines Benjamin Britten. Beide Künstler gestalteten gemeinsam das eindrückliche Ganze.
Nach der Wehklage des Gesualdo durchwanderte Christian Gerhaher des Johannes Brahms dunklere metaphorische Landschaften, die dem Mensch abwechselnd beschaulichen wie minder erbaulichen Aufenthalt gewähren. Die hochromantischen, elaborierten Gesänge, oft etwas Volksliedhaftes beibehaltend, wirkten gleichwohl in des Baritons Wiedergabe weniger schmerzlindernd denn schmerzhaft.
Benjamin Brittens Vertonung der >Songs & Proverbs of William Blake< liegen triste Texte zugrunde. Dementsprechend sperrig klangen diese Elegien, fast gläsern hart, erfroren, weswegen man fürchten könnte, fielen sie auf den Boden, würden sie zerspringen. Nein, die Stimme beherrschte jeden Kälte- und Schwierigkeitsgrad einer Tonsprache, welche die düsteren Dichtungen in freier Tonalität reflektiert und dem Pianisten eine gewisse Virtuosität abverlangt.
Nach der Pause, das affektenreiche wie grantige Klima englischer Gesänge hinter sich lassend, erschloss Christian Gerhaher die lichtere, eher mediterrane Klangwelt des Claude Debussy. Der Franzose sparte bei der Komposition der Verse altfranzösischer Poeten nicht mit den Farben seiner Musikpalette, und sie begannen noch stärker zu leuchten, bisweilen geradezu grell, bei den mitunter nicht geringer grellen Trois Poèmes des Stéphane Mallarmé. Wunder nahm aufs Neue derartiger in Prosodie makelloser wie emphatischer Ausdruck der hochartifiziellen Stücke durch den Künstler.
Auf dem Weg zur angesagten Schmerztherapie stand am Ende Franz Schubert. Aus dessen letzter Liederfolge, im Todesjahr 1828 geschrieben und später von dem verkaufstüchtigen Verleger Tobias Haslinger als >Schwanen-Gesang< vermarktet, brachte Christian Gerhaher die von Heinrich Heines Lyrik inspirierte Liedgruppe zu Gehör.
Der Künstler indessen entließ ein - leider - weitgehend älteres Publikum nicht schmerzdurchdrungen und nicht mit solchem Jammer im Ohr. Als Zugabe brachte er die >Taubenpost<, worin von der Sehnsucht als einem geflügelten, zielbewussten Postboten gesungen wird. Für das Zeitalter der E-Mails und SMS eine anachronistische, sehr poetische Erfindung. Allein der einer Therapie bedürftige Mensch, Schmerzensmann wie Schmerzensfrau, bleibt eine aktuelle Wahrheit.
Einem grandiosen Künstler samt Klavierpartner angemessen der Applaus
---| IOCO Kritik Tonhalle Düsseldorf |---