Düsseldorf, Düsseldorfer Schauspielhaus, Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe - Heinrich Heine, IOCO Kritik, 10.10.2020
Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe!
Heinrich Heine - erlebt in einem theatralischen Rundgang
von Rainer Maass
Das Düsseldorfer Schauspielhaus, kurz D’haus, im Zentrum der Stadt gelegen, ist eines der bedeutendsten Sprechtheater Deutschlands. Das modern inspirierende Theatergebäude wurde 1965 bis 1969 von dem Düsseldorfer Architekt Bernhard Pfau errichtet. Die auffällige Architektur beherbergt das ranglose Große Haus (738 Plätze) und das Kleine Haus; beide mit hohem akustischem und technischem Niveau.
Düsseldorfs geliebter, streitbarer Dichter, Poet, Journalist steht auf
Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe! – heißt das am 5.9.2020 uraufgeführte Stück über den 1797 in Düsseldorf geborenen und 1856 in Paris gestorbenen Dichter, Schriftsteller und Journalisten Heinrich Heine, welcher der deutschen Literatur und Sprache eine bis dahin nicht gekannte Leichtigkeit und Eleganz verlieh. Heinrich Heine verließ Deutschland, da er auch wegen seiner jüdischen Herkunft vielfach verfemt wurde. Seine Liebe zu Deutschland wie Düsseldorf war in Paris eine ständig blutende Wunde, wie sie auch in seinen Dichtungen oft durchscheint.
Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe - Heinrich Heine youtube Trailer Düsseldorfer Schauspielhaus [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Vor fast zwanzig Jahren schuf Bert Gerresheim in Düsseldorf ein Heinrich-Heine-Denkmal auf dem Schwanenmarkt: Ein in Stücke zerschnittenes Kunstwerk – Sinnbild der Zerrissenheit Heines und zum geliebt-gehassten Düsseldorf.
Mit dem Stück LIEBER EIN LEBENDIGER HUND ALS EIN TOTER LÖWE! hat das Schauspielhaus Düsseldorf, Regie Jan Philipp Gloger, Dramaturgie Felicitas Zürcher, auf eindrucksvolle Weise zusammen gefügt, was zusammen gehört. Das Schauspielhaus beschreibt das Stück in seinem Spielplan als einen theatralen Rundgang: „Im Foyer, auf den weit verzweigten Gängen im Keller .... können sich die Zuschauer*innen auf die Spuren des berühmtesten Düsseldorfer Dichters begeben“. Die Besucher erleben im Schauspielhaus auf ihrer Wanderung den Menschen Heinrich Heine in all seinen Facetten. Ein Weg mit vielen Etappen, beschwerlich, fast wie das Leben des Dichters. Wo immer der Besucher durch die Gänge und Bühnen des Hauses treppauf treppab zu Heine geleitet wird, Heine ist immer präsent. Immer glaubt man Heines Gedanken zu hören; mal meint man, seine Ängste spüren; an kahlen Wänden stehen oft Satzfragmente: Graffitis von Heines Hand?
Bedingt durch die geltenden Corona-Beschränkungen werden die Besucher der Vorstellung in kleine Gruppen aufgeteilt. So bekommt jedes Treffen der kleinen Besuchergruppe mit dem „lebenden“ Heinrich Heine ein persönliches, fast privates Timbre. Das zeigt sich schon zu Beginn, beim Besuch an Heines Matrazengruft; die Regie will, dass der Besucher den Dichter diese Station zum Ende seines Lebens als erstes kennenlernt. Wie vor guten Freunden beklagt Heine aus seiner Matratzengruft in offenen Worten seine Leiden. Der Besucher spürt die verblühende Energie, aber auch die bis zu seinem Ende lebendige Kreativität.
Thomas Wittmann verkörpert dabei Heine in Paris in seiner Matrazengruft, wo er krank und unbeweglich sich über Krankheit und Isolation beschäftigt. Den dann folgenden, jungen, lebensfrohen, politischen Heine, seine Reisebilder stellt Josha Baltha dar. Judith Bohle trägt aus der Schrift „Französische Zustände“ einen seltsam aktuellen Zustand zur damals herrschenden Cholera vor
Höhepunkte der „Wanderung“ der Zuschauer im Schauspielhaus sind die ständigen Begegnungen mit Heinrich Heine, die Gefühlswelt des Dichters wird spürbar. Es folgt der Rückblick auf das wechselvolle Leben von Düsseldorfs berühmtestem Dichter. Die Zuschauer erleben, durch den Lyriker, den Reisedichter, den Dramatiker und immer wieder den politischen Kopf. Dargestellt durch die Schauspieler*innen führt die Reise zu Heinrich Heines vielen Talenten. Dabei springt Heine mit munterer Fröhlichkeit und beißender Ironie über Gattungsgrenzen hinweg. Jede dieser Facette bekommt ihre eigene Bühne. Jede wird überraschend inszeniert. Ein besonderes Highlight ist die Darstellung von Heines Tanzpoem Der Doktor Faust. Hier spürt der Zuschauer, wie viel Kraft ihn sein künstlerisches Schaffen kostete, wie er bei allen Erfolgen immer wieder mit Rückschlägen kämpfen muss.
Großen Raum nimmt seine Rolle als Bürger und politischer Mensch ein. Heinrich Heines Worte über das Pariser Leben zur Zeit der Cholera glaubt man erst gestern gehört zu haben. Er mokiert sich über die Unwissenheit der Pariser und spottet über den Leichtsinn seiner Mitmenschen. Man merkt schnell: Ob Cholera oder Corona-Pandemie, die Menschheit hat sich in dieser Hinsicht auch in zwei Jahrhunderten wenig geändert.
Für die Präsentation des politischen Menschen Heinrich Heine wählte man die größtmögliche Bühne, den vor dem Schauspielhaus liegenden Gustaf Gründgens Platz. Per Megaphon verdammt Josha Baltha dort als der freiheitsliebende Emigrant Heine lautstark alle Formen von Zensur und Unterdrückung. Auch dieser historische Text klingt wie eine Kampfansage an die Populisten unserer Tage. Dass Heinrich Heines Worte zu dieser späten Stunde auf dem menschenleeren Platz ungehört verhallen, kann man durchaus symbolisch verstehen. Doch die Reise endet keineswegs mit Gebrüll.
Zum guten Schluss schließt Heine Frieden mit seiner Heimatstadt Düsseldorf. Die letzte Szene spielt in der lichtdurchfluteten Parklandschaft des Hofgartens, der unmittelbar an das Schauspielhaus grenzt. Alle Heine- Darsteller*innen sind eins mit der Natur, sind eins mit Düsseldorf und natürlich mit Heinrich Heine. Was wünschte sich Bert Gerresheim von den Besuchern seines Denkmals? Sie sollten Heinrich Heine mit den Händen begreifen.
Dieser Abend im Düsseldorfer Schauspielhaus half den Besuchern, Heinrich Heine auch mit dem Kopf und Herzen zu begreifen.
Düsseldorfer Schauspielhaus - Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe; die nächsten Vorstellungen am 11.10; 8.11.; 15.11.; 29.11.; 6.12.2020 und mehr
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