Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, Rheingold - Gieriges Gauner Gezücht, IOCO Kritik, 06.07.2017
RHEINGOLD von Richard Wagner
"Gieriges Gauner Gezücht"
Götter, Riesen und Zwerge verschulden das Drama vom Ring des Nibelungen
Von Albrecht Schneider
O je, o je, was ist unsere Erde doch für ein Jammertal. Immer aufs Neue müssen wir das erfahren, und dabei piesackt uns das Gedächtnis, in dem sie als ein leidlich vergnüglicher Aufenthaltsort archiviert wurde. Und eine erhebliche Zahl von den solchermaßen Gepiesackten schreit deswegen, die Politik oder gar die Theologie hafte für ein schleuniges Comeback der vergangenen guten Tage. Die identische Klage über die derzeit elenden Zustände zieht sich freilich durch die Jahrhunderte, sehnte sich doch bereits die Antike zurück in das Goldene Zeitalter, in dem unter anderem Niemand Niemanden abgemurkst oder ihm den Goldschatz gestohlen haben sollte.
Allerdings scheint es sich bei dem Goldenen Zeitalter und bei unserer Erinnerung gleichermaßen um einen Betrug zu handeln. Denn wie uns Wagners RHEINGOLD klarmacht, ist beinahe vom Weltanfang an bereits ein reichlich schamloses Personal auf Himmelshöhe, unter Wasser und tief in der Erde zugange. Häufig beträgt es sich keineswegs standesgemäß, bricht vielmehr Regeln und Verträge, es stiehlt, betrügt, hurt und mordet. Auch hieraus lässt sich letzten Endes schließen, dass die guten alten Zeiten nicht anders zu betrachten sind als eine Verklärung von ehemals genauso schlechten, und Ähnliches dürfte denen von heute und wahrscheinlich von morgen passieren.
Diejenigen, denen dergleichen Anschauung der Welt zu pessimistisch zu sein dünkt, werden alsbald eines besseren belehrt sollten sie im Düsseldorfer Opernhaus den ersten Abend der Tetralogie, das RHEINGOLD als die Exposition des Geschehens um den ominösen Ring, mit einem Besuch beehren.
Der erstreckt sich über zweieinhalb Stunden, während derer die Regie keine neue Deutung dieses vielschichtigen musikalischen Epos’ intendiert. Es geht ihr lediglich um eine neue Bebilderung. Die Antihelden des fatalen Stückes sind diesmal im Fin des siécle unterwegs. Sie konspirieren in einem billigbunt illuminierten Tingeltangel, wohinein, flankiert von den Bodyguards Froh und Donner, Herr Wotan von Gattin Fricka im Rollstuhl geschoben wird, und wo die drei Rheintöchter in Cancantänzerinnenroben im Dienst des Goldes wie zudem der Liebe stehen.
Um ihnen möglichst nahe zu kommen, hatte Alberich zuvor keine Verrenkung gescheut. Vergeblich. Nach dieser peinlichen Abfuhr besann er sich auf die Verheißung der drei Kokotten, dass derjenige das Metall zum Schmieden des die Weltmacht garantierenden Reifs gewönne, der den Liebesfreuden und der Liebe überhaupt abschwöre. Kurzerhand verfluchte der geile Fürst der Tiefe entsprechende Gefühle wie Triebe, schnappte sich das Aufsichtsgut und tauchte ein in den Hintergrund.
Der ihn ablösende Götterclan steckt in abgetragener Konfektion genauso wie in Schwierigkeiten. Die Zahlung für den von den zwei Riesen Fasolt und Fafner erstellten Neubau Walhall steht an, wobei Wotan und das Riesenpaar die Göttin Freia als Honorar vereinbart hatten. Die ist aber als Obstgärtnerin der lebenspendenden Äpfel für den Clan unverzichtbar. Wenn jetzt mit Hilfe des listenreichen Feuerhalbgottes Loge der Clanchef unter Missachtung der von ihm gegebenen Gesetze und mittels Vertragsbrüchen den beiden Bauarbeitern, in zünftiger schwarzer Zimmermannskluft sich zeigend, den ausbedungenen Lohn vorenthält, deshalb hernach selber zum Räuber an dem Räuber Alberich wird, ihn entführt und die Hand abhackt, um das die Weltherrschaft verbürgende Schmuckstück zu kriegen, worauf der Ausgeraubte dem jeweiligen Träger gewissermaßen die Pest an den Hals wünscht, Wotan wiederum, um Freia freizukaufen, den ganzen Schatz samt Reif, womit er die Macht sofort wieder loswird, den Riesen überlassen muss, und von denen einer aus Raffgier den anderen postwendend totschlägt, dann ist das Drama in Gang gesetzt und nimmt seinen Lauf. Das Ende des Götterregiments ist unabwendbar.
Mit derart zwielichtigen Gestalten hingegen und in einem solch zwielichtigen Milieu verliert die Inszenierung an Glaubwürdigkeit. Waltet doch zunächst im Rheingold eine halbwegs intakte Götterschar von Reputation – will heißen: eine gewissermaßen mythologisierte Großbourgeoisie des 19. Jahrhunderts –, die allerdings infolge unsauberer Geschäfte ihr Ansehen einzubüßen sich anschickt. Kaum anders als heute korrumpieren Geld, Macht und Sex. Und einstmals wie heute lässt der Blick nach oben staunen, wo eine gern moralisierende, herrschaftshungrige Elite nach einer Potenzierung dieser Trias lechzt und sich hiermit selbst demontiert.
Dass aber auf hiesiger Szene keine anfangs auftrumpfende Götterwelt, deren Herrlichkeit nach und nach ausbleicht, erscheint, dass vielmehr eher deren Parodien, nämlich lauter abgewirtschaftete Götter- Riesen- und Gnomenfiguren, "Dinger drehen" wollen, ja sogar müssen, um heil davonzukommen und ein bisschen Spaß zu haben, das bekunden deren Umgebung, deren Äußeres und ihr Gehabe. Diese Ganovenfraktion demoliert sich nicht durch Verrat und Gesetzesbrüche, sondern weil sie längst demoliert ist, sieht sie sich zwecks Existenzrettung zu derlei kriminellen Taten genötigt.
Das Orchester der Rheinoper hingegen weist niemals ein Defizit an Logik auf, es schert sich nicht um Profile und Prospekte, dafür reflektiert es die Gefühle und Absichten, alle Nöte und Zwänge seiner Protagonisten oben auf der Bühne. GMD Axel Kober flicht mit seinen Musikern grandios das Netzwerk der Motive und melodischen Elemente, das ständig dichter und wissender werdend sich über die ganze Tetralogie legt und das vielgestaltige epische Gedicht zusammenbindet. Die neue Prächtigkeit Walhalls zelebrieren die Bläser mit Pathos, martialisch dröhnend beschwören sie die Gefahren der Höllenfahrt Wotans und Loges ins Erdinnere zu Alberichs und seines Bruders Mime Proletarierbergwerk, wie auf den flimmernden und flirrenden Streicherstimmen der Feuergeist Loge herbeiflattert. Furiose und milde, raunende und schneidende Klänge leisten eine genuine Rheingoldmusik, ein musikalisches Fest, zu dem die Sänger ausnahmslos beitragen: der Wotan Simon Neals, Michael Kraus’ Alberich, Norbert Ernst als Loge, die Damen Renée Morlock und Sylvia Hamvasi maulen und jammern als Fricka und Freia, und nicht zuletzt geizen die drei lasziven Rheintöchter, Anke Krabbe, Maria Kataeva und Ramona Zaharia, weder mit wohlklingenden noch weiblichen Reizen.
Noch einmal sind die Götter alias Ganoven davongekommen, ihre welkenden Leiber scheinen aufzublühen, da ihnen dank des Schlaumeiers Loge die Vitalquelle Freia erhalten bleibt. Ohne sie und mit dem Schmuckstück am Finger schiebt der Brudermörder Fafner seine Kipplore voller Gold zur Tür hinaus, die Burg Walhall wird wohl besenrein übergeben werden. Vor dem zum Einmarsch bereiten Clan steigt jählings die allwissende Urmutter Erda aus der Tiefe des Bühnenbodens und warnt vor dem Besitz des fluchbehafteten, unheilvollen Kleinods. Aber Wotan, der an diesem Abend nicht traurige, eher schäbige Gott, bedankt sich, indem er der weisen Frau die Perücke wegnimmt und behält. Ein eigentümliches Souvenir. Alles Mögliche wird er tun, um den Ring zurückzugewinnen, obschon er eigentlich sich eher um die eigene armselige Existenz und die seiner Entourage sorgen sollte. Wie auch immer, das Drama lässt sich nicht mehr aufhalten, und wenn Erda singt: „Alles was ist, endet“, stellt sich die Frage: „Wie wird es enden?“ Eine Antwort liefert im Januar 2018 der zweite Abend: Die Walküre.
Dem außerordentlichem Beifall ließ sich entnehmen, dass dem Publikum die Aufführung zugesagt hatte. Kein Buh ließ sich hören. Unser lautes Bravo galt den Musikanten insgesamt, ein lautlos leichtes Kopfschütteln galt der der Inszenierung Dietrich W. Hilsdorfs und der Bühne Dieter Richters.
Abschließend darf nicht unerwähnt bleiben, dass mit dem Beginn des Rheingolds um 19.30 Uhr, dem Verlöschen der Lampen in des Opernhauses Halbrund und vor dem ersten Orchesterton, Halbgott Loge in kariertem, dunkelrotem (Feuer!) Beinkleid auf die von kirmesbunten Lichtern eingerahmte offene Bühne tritt, ein Gläschen, vermutlich Rheinwein, zwitschert und: >Ich weiß nicht, was soll es bedeuten< ins Publikum raunt. Ob letzteres deswegen in tiefes Nachsinnen versinken soll, oder sich andererseits vergackeiert fühlen muss, weil öfters bei zeitgeistgetränkten Inszenierungen nicht zu ergründen ist, was das Ganze bedeutet, diese Frage bleibt offen.
Eine in der Landeshauptstadt gewichtige rezensierende Feder indessen deutet die kleine Szene höchst frappant: da Loge beim Deklamieren der der berühmten Gedichtzeile das Wörtchen ES besonders akzentuiert habe, sei damit auf die Note Es, die das Vorspiel intoniere, Bezug genommen worden. Hut ab vor einen dermaßen scharfsinnigen musikalischen Kopf.
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