Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner , IOCO Aktuell, 20.6.2017
Der Ring des Nibelungen an der Rheinoper
Termine und Betrachtung
27 Jahre nach der letzten Neuinszenierung bringt die Deutsche Oper am Rhein Richard Wagners vierteiligen Opernzyklus Der Ring des Nibelungen in der Regie von Dietrich W. Hilsdorf auf die Bühne.
Nicht nur hier am Rhein wird sie mit Spannung erwartet: die Premiere von Das Rheingold am Freitag,
23. Juni 2017 im Opernhaus Düsseldorf.Dem Auftakt lässt die Deutsche Oper am Rhein Die Walküre (Premieren 28.1.2018 Düsseldorf, 31.5.2018 Duisburg), Siegfried (Premiere 7.4.2018 Düsseldorf, 26.1.2019 Duisburg) und, erst 2018/19, die Götterdämmerung (27.10.2018 Düsseldorf, 5.5.2019 Duisburg) folgen. Generalmusikdirektor Axel Kober – regelmäßiger Gast bei den Bayreuther Festspielen – erarbeitet den neuen Ring am Rhein mit beiden Orchestern, den Düsseldorfer Symphonikern und den Duisburger Philharmonikern, so dass Der Ring mit unterschiedlichen Sängerbesetzungen bis zum Sommer 2019 sowohl im Opernhaus Düsseldorf als auch im Theater Duisburg zur Aufführung kommt.
Richard Wagners Dystopie der alten und Utopie der neuen Gesellschaft
Eine Betrachtung von Albrecht Schneider
Gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts verdämmerte allmählich der Mythos des Goldes, das Licht des Kapitals flammte nunmehr in den Kontoren und Börsensälen auf. Sofern Goldtaler und Goldmark in der Hand noch warm, verheißungsvoll schimmerten, so wirkte das Kapital kalt und fern, ja unheimlich. An die Stelle der Schatztruhen traten die Kontobücher mit Zahlenkolonnen, an deren Länge unter dem Strich sich Bedeutung und Macht ablesen ließen.
Das Kapital genießt keinen zweifelsfreien Ruf, was es zu einem guten Teil dessen frühem Interpreten Karl Marx verdankt. Seiner Natur gemäß kommt es indessen gleich dem Gold weder gut noch böse, weder moralisch noch amoralisch daher. Sein Benehmen verantwortet einzig, wer darüber verfügt. Dass heutzutage weitgehend nicht länger die Politik das Schicksal ist, wie seinerzeit Napoleon gegenüber Goethe argumentierte, vielmehr statt ihrer das Kapital, das sollte inzwischen sogar einem bislang ökonomisch Unbedarften aufgegangen sein. Zu derlei Einsicht verhelfen Banken, die in ihrer Gier selbst das ärmste Würstchen zu verschlingen sich anschickten – und gegebenenfalls weiter verschlingen werden–, wie man sich mittlerweile dem Kraftfeld der globalen Konzerne und Kartelle ausgeliefert weiß und sich ebenso wenig der stillen Manipulation durch die Netzwerkgiganten zu erwehren vermag.
Mit der großen Erzählung Der Ring des Nibelungen stimmt Richard Wagner auf wahrlich meisterhaft kunstvoll musikalische Weise ein Lied an von den zerstörenden Taten, zu denen das Kapital, das bei ihm das Gold verkörpert, anzustiften vermag. Das im Grunde des Rheins ruhende und daher im Grunde unschuldige Metall wird zu einem Ring, einem fluchbehafteten Instrument geschmiedet, das den Untergang einer Gesellschaft und ihrer Götter heraufbeschwört: sie haben an die Stelle der Liebe zu den Anderen die Herrschaft über sie gesetzt. Auch wenn sich die Geschichte vor Anbeginn der Zeiten zuträgt, bleibt sie gleichwohl zeitlos.
Das Ende der Welt ist seit dem Ende des Zweiten Großen Krieges längst keine unrealistische Schreckensvision mehr, sondern ein Akt, den die Inhaber der Mittel dazu allzeit zu leisten imstande sind. Wenn sie nicht die Liebe zu den Menschen daran hindert, wer oder was sollte sie dann daran hindern?
Der Komponist und Librettist des vier Abende beanspruchenden Gesamtkunstwerkes ist nicht allein ein "Orpheus alles heimlichen Elends", als den ihn Friedrich Nietzsche apostrophierte, sondern zugleich ein Rhapsode der Liebe. Es finden sich in seinem Opus Magnum vielerlei große und kleine Liebende, nur dass sie oft nicht aus dem Schatten der großen und kleinen Hassenden heraustreten. Deren Gier nach dem Gold, auf dessen Besitz Herrschaft zu gründen scheint, weckt in ihnen üble Kräfte, die jeden und jede und sie selbst mehr oder minder deformieren. Erst wenn das Gold auf dem Grunde des Rheins seine Unschuld zurückgewinnt und die Macht in den Händen der Liebenden liegt, sich das Kapital ausschließlich human gebärdet, wird der Ewige Frieden gestiftet sein.
Das ist Richard Wagners Idee von einer Neuen Gesellschaft, die er nicht unbedingt in dem Hörnergedröhn eines stets gutgelaunten Siegfrieds oder dem Posaunen- und Basstrompetengetöse eines Hexentanzes von Walkürenritt entwirft, sondern eher mit dem leisen, anschwellenden und wieder verebbenden schier endlosen Strom der Musik. Mit der des Rheingolds, des Vorabends der drei folgenden Dramen, hebt die Erzählung an, wird der Anfang des kunstvollen Netzes der Themen und Motive gewirkt, die den Augenblick fassen, die Vergangenheit zurückrufen und von der Zukunft reden. Der Ring des Nibelungen bleibt eine Herausforderung schlechthin für diejenigen, die sich dem Riesenwerk aktiv oder passiv, als Künstler wie als Zuhörer stellen. Die Deutsche Oper am Rhein nimmt sie an, und mithin harrt man sehnsuchts- wie erwartungsvoll darauf, dass mit dem tiefen Es der Kontrabässe der Mythos vom Anfang und Ende der Menschen und ihrer Götter zu tönen beginnt.
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