Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, Der Ring des Nibelungen - Siegfried, IOCO Kritik, 01.05.2018
Bühnenfestspiel - Der Ring des Nibelungen - Siegfried
- Picknick mit dem Göttervater -
Von Hanns Butterhof
In der Walküre hatte Wotan noch auf einem opulent gedeckten Tisch getanzt. Im Siegfried, dem Folgeabend in Richard Wagners Bühnenfestspiel Ring des Nibelungen, nimmt er mit kargen Picknicks Abschied von seiner Welt. Unspektakulär sieht er seinen Enkel Siegfried in der musikalisch wie szenisch fesselnden Aufführung zu seiner Bestimmung aufwachsen.
In der vorhergehenden Walküre hatte Regisseur Dietrich W. Hilsdorf erkennen lassen, dass Wotan weit in die Zukunft schaut. Seinen Sohn Siegmund hatte er geopfert, um seinen Plan der Weltrettung durch dessen Sohn Siegfried verwirklichen zu können. Im Siegfried beobachtet er nun scheinbar rein passiv, wie seine Vorausschau Wirklichkeit wird.
Als Wanderer (Simon Neal) kommt er mit seinem Fahrrad wie zufällig in der bunkerartigen Wohn-Schmiede Mimes (Bühne: Dieter Richter) vorbei. Mime (Cornel Frey) hat ohne das Doping des Rings seine Schmiedekunst verloren und hält mit Videos, auf denen die argen Demütigungen durch seinen Bruder Alberich im Rheingold zu sehen sind, seine Wut wie seine Gier nach dem Nibelungenhort am Kochen. In seiner aberwitzigen Vorfreude auf den Gewinn des Rings und seine Weltherrschaft zappelt er in einem hinreißend rumpelstilzlichen Tanz durch seine Werkstatt.
Cornel Frey ist darstellerisch wie gesanglich eine Idealbesetzung, ein ständig unruhiger, sich überschätzender Charakter, ein Tenor mit geschärfter Deklamation und schneidenden Spitzentönen. Er ist als langhaariger, dünner Pfuscher in der alternativen Szene eine treffliche Karikatur des Aussteigers. Ihm misslingt alles, besonders der Plan, dass ihm Siegfried (Michael Weinius) aus Dankbarkeit dafür, dass er ihn aufgezogen hat, den Nibelungenhort verschafft. Doch der schmäht und drangsaliert ihn, wo er nur kann, bricht seine Schwerter wie Tand entzwei, tötet ihn schließlich ohne weitere Gewissensbisse und hängt ihn am Fleischerhaken vor der Drachenhöhle auf.
Der Siegfried Michael Weinius' kommt wie ein gestandenes bayrisches Mannsbild daher, bärtig und mit kräftiger Figur - das Programmheft rechnet ihm 33 Jahre zu. Ihm gelingt nicht nur das Kunststück, das an Wotans Speer zerbrochene Schwert Nothung neu zu schmieden. Er schafft es auch ohne Peinlichkeit, das Aussehen und die Stärke eines Erwachsenen mit der bodenlos schwachen Weltkenntnis eines Pubertierenden zu vereinen. Der rabiate Egomane stemmt mit beeindruckend tenoraler Strahlkraft die anstrengende Partie, ist aber auch natur- und weltoffen zu zarten Lyrismen fähig.
Bei Mime packt der Wanderer erst gemütlich sein Picknick mit Rotwein und Baguette aus. Dann nötigt er dem Schmied die tödliche Wissenswette in einer nicht nur äußerst komischen, sondern auch ausdrucksstarken Szene auf. Da pumpt sich Mime auf einem alten Friseur-Sessel in ihm nicht zukommende Höhen hinauf, von wo ihn Wotan humorlos auf normal Null heruntersausen lässt. Hier bestätigt sich erstmals Wotans Vorwissen um Siegfried; er prophezeit Mime, dass ihn der töten wird, der das Fürchten nicht gelernt hat. Ein solcher aber, so war sein Versprechen gegenüber Brünnhilde, werde sie einmal zur Frau nehmen.
Simon Neals Wanderer, dessen Offiziersmantel und Stiefel seit der Walküre stark gelitten haben (Kostüme: Renate Schmitzer), ist alles andere als resignativ. Er hat seine bösartige Freude daran, Mime vergeblich hoffen zu lassen, dass er mit dem Leben davonkommt. Der kraftvoll-herrische Bariton lässt auch bei seinem zweiten Picknick vor der Drachenhöhle keinen Zweifel aufkommen, wer Herr im Ring ist. In einem nahezu freundschaftlichen Plausch mit Alberich (Jürgen Linn), der durchaus Wotans Schliche kennt, spielt er sadistisch mit dessen Hoffnungen. Der profunde Bass hofft hier noch chancenlos darauf, wieder in den Besitz des Rings zu geraten, der die Weltherrschaft verbürgt, und legt auf der gleichen aussichtslosen Basis wie sein Bruder Mime eine irre Kopie von dessen Vor-Freudentanz hin.
Denn Siegfried tötet den Hüter des Nibelungenhortes, Fafner (Thorsten Grümbel), und nimmt Tarnhelm und Ring an sich. Fafner hat sich nicht in einen Drachen verwandelt, sondern kommt in einem riesigen, urtümlichen Lokomotiven-Modell auf Schienen aus seinem Hangar gerollt. Als Siegfried sein Schwert in den Kesselraum stößt, fällt der zu Tode getroffene Insasse heraus. Thorsten Grümbel gibt ihn mit einnehmendem Bass als noch im Sterben freundlicher Herr, der vergessen lässt, dass er im Rheingold aus Gier nach dem Gold ohne Hemmungen seinen Bruder erschlagen hat. Die Sympathie der Regie verschafft ihm vielleicht die wenig zwingende Vorstellung, dass er die Lokomotive des Fortschritts in seinem Hangar ohne Gewinn-Erwartung nur geparkt hat,
Dem letztem Picknick des Wanderers fehlt es an zynischer Überlegenheit. Vor dem Eisernen Vorhang, vor dem er endlich auch der Erda (Christa Meyer mit warmem, vollem Mezzo) ihre schon im Rheingold entwendete Perücke zurückerstattetet hat, trifft er mit Siegfried zusammen. Der war in Richtung Brünnhilde und dem Feuerfelsen dem schönen Sopran des Waldvögeleins (Elena Sancho Pereg) gefolgt. Als der Wanderer diesem kühl das Genick gebrochen hat, muss Siegfried nun ihn nach dem Weg fragen. Als Wotan ihn ungemütlich reizt und schließlich den Weg versperren will, schlägt Siegfried, die Machtverhältnisse in der Walküre umkehrend, mit Nothung den Speer entzwei und den Wanderer respektlos zu Boden. Mit seiner eignen Niederlage triumphiert Wotans Plan: Siegfried erweist sich selbst dem Göttervater gegenüber als furchtlos; er kann Brünnhilde erwecken, eine neue Weltordnung begründen und Wotans Erbe antreten.
Aber so frei Siegfried bisher das in Wotans Sinn Notwendige getan hat, so frei wird er nach dessen Abdankung dagegen verfahren. Zwar durchschreitet er noch furchtlos die Flammen, die hinter dem Eisernen Vorhang flackern. Er erweckt Brünnhilde (Linda Watson) in ihrer Panzerung, die aus dem aus der Walküre bekannten ausgebrannten Hubschrauber besteht. Er lernt auch angesichts des Neuen, der Frau, das Fürchten. Aber dass er das Lieben lernt, gar auf den ersten Blick, wird in der Szene leider nicht glaubhaft. Zu steif birgt sich Siegfried hinter dem Wrack, zu beziehungslos strebt Brünnhilde, von Linda Watson statuarisch mit großvolumigem Sopran gegeben, von ihm fort. Als beide am Ende eines langen, motiv- und gedankenschweren Duetts überraschend doch zusammenfinden, feiern sie statt des glücklichen Lebens in einer neuen, harmonischen Welt, wie sie Wotan im Sinn hatte, den lachenden Tod.
Es ist das Orchester, das hier in einem gewaltigen Hymnus verbürgt, was die Szene nicht einlöst. Axel Kober dirigiert die brillant aufspielenden Düsseldorfer Symphoniker mit gediegenen Tempi. Ihr Farbenreichtum, starke Spannungsbögen und Wechsel in der Dynamik fesseln die Aufmerksamkeit, wobei es die Sänger bei manch krachend lauter Passage nicht immer leicht haben, gegenzuhalten.
Dem musikalisch rundum gelungenen Siegfried entspricht die klare Regie Dietrich W. Hilsdorfs, der nahezu schnörkellos die in der Walküre angelegte Entwicklung konsequent zu Ende erzählt. An der Düsseldorfer Oper am Rhein vergehen die viereinhalb Stunden der Aufführung des Siegfried wie im Flug und wirken noch lange, lange nach.
Der Beifall des Publikums für alle Beteiligten war überschwenglich, selbst für die Regie, der bei der Premiere noch einige Unmutsäußerungen gegolten hatten. Ovationen ernteten Axel Kober mit den Düsseldorfer Symphonikern und der phantastische Mime Cornel Frey.
Siegfried an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf; die nächsten Termine: 6. und 10. Mai 2018
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