Dresden, Semperoper, Die Trojaner von Hector Berlioz, IOCO Kritik, 16.10.2017
Ewiger Krieg im Kostümrummel oder Männer gegen Frauen?
Les Troyens von Hector Berlioz
Von Guido Müller
Die frühere prächtige Hofoper, dann in der DDR wieder wunderschönhergestellte Semperoper im erneuerten Neo-Renaissance-Stil bringt das große, weit über fünf Stunden dauernde Opern-Schmerzenskind des französischen Komponisten Hector Berlioz Les Troyens zum Beginn der Spielzeit. Noch Richard Strauss war fasziniert von der Instrumentenkunde und Klangfarbenmagie des Franzosen. So passt die große Anforderung an das Orchester, die Sänger und den Chor stellende Grand Opera ideal an das sächsische Haus großer Strauss-Uraufführungen.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden sollte sich unter dem Dirigat des ihr vertrauten Amerikaners John Fiore auch ganz dem schönen Klangfarbenrausch dieser Komposition widmen: Berlioz sozusagen mit üppigem Goldrahmen präsentiert. Auch das Staatstheater Nürnberg hat in dieser letzten Spielzeit des künftigen Intendanten der Sächsischen Staatsoper dieses Werk zur Premiere in einer allerdings dreistündigen Schrumpffassung nur drei Tage nach der Dresdener Premiere angesetzt.
In Dresden inszeniert die viel beschäftigte und von der Kritik stark beachtete junge Amerikanerin Lydia Steier das opulente Werk mit ihrem bevorzugten römischen Kostümmodisten Gianluca Falaschi, der prächtige und aufwändige Kostüme im üppigsten Bonbonière-Stil der Pariser Weltausstellungen entworfen hat und mit ihrem Architekten beeindruckender Bühnenbauten Stefan Heyne.
Der deutsche Bühnenbildner hat fantastische Prospekte mit der alten Semperoper oder einer Mittelmeerlandschaft malen lassen sowie für die Akte drei bis fünf eine Kombination aus Turm zu Babel (Achtung: Mittelmeer-Vielvölkerproblematik der Trojaner-Oper), Globe-Theater als Holzkonstuktion (Achtung: Shakesspeare -Verehrung von Berlioz) oder Mini-Tour-Eiffel im Bau mit Schlafnische für flüchige Liebesnächte (herrlich gesungenes Duett "Nuit d'ivresse", textlich auf Shakespeares Kaufmann von Venedig basierend, der mit warmem Schmelz singenden Didon der Christa Mayer und dem lyrischen Enée des Bryan Register).
Das trojanische Pferd wird in Gestalt des Reiterdenkmals des allerdings so gänzlich unmilitaristischen "guten" König Johanns von Sachsen vor der Semperoper herein gezogen. Sein Sockel dient am Ende der Oper der karthagischen Königin Dido als Grab für ihren Freitod.
Aber darauf kommt es historisch gar nicht so genau an, schließlich gab es zu Lebzeiten von Berlioz ja dauernd Kriege vom französischen Kaiser Napoleon Bonaparte bis zu Kaiser Napoleon III. Dazu ergänzt die seit 2002 in Berlin lebende Amerikanerin Lydia Steier im Programmheft im Gespräch mit der Dramaturgin Anna Melcher dann zu dem mit aktualistischer Anwandlung: "Plötzlich fliegen Drohgebärden über atomare Waffen durch die Luft, das politische Klima verändert sich bis vor die Haustür: Trojanische Pferde sollte man nicht aus den Augen lassen." So wird zumindest im Kostüm und Klischee die Geschichte noch bis zur stalinistischen Soldateska im zweiten Weltkrieg weiter erzählt. Und den Bezug zum tagesaktuell in den Nachrichten immer mal wieder dank Pegida und Opernball auftauchenden Opernplatzes kann der werte Zuschauer für sich je nach Gusto interpretieren.
Nach dem ersten Teil fragte ich mich nun allerdings verblüfft, ob der zunächst bunte Faschingskostümrummel des trojanisch-offenbachiesken Volks und der abschließende bluttriefende Mordexzess der Frauen untereiner rasenden "keuschen" "Seherin" Kassandra im englischen hochgeschlossenen Gouvernantenkostüm ernst gemeint ist als Anklage gegen Krieg, Machismo und dauernd amüsiergeile Gesellschaft?
Oder ist dies zu verstehen als eine Parodie auf den gescheiterten Versuch von Hector Berlioz eine Grand Opera zu komponieren, mit der er bei Jacques Offenbachs Pariser Vorstadtbühne mit dem Versuch einer zu lang geratenen Opéra bouffe durchgefallen ist? Oder beides zugleich?
Die Sänger - wie der für die äußerst anspruchsvolle Rolle des Aeneas zunächst noch zu Spielzeitbeginn angekündigte Gast-Tenor Eric Cutler - haben wohl teilweise schon während der Proben aufgegeben.
Die Ausnahme-Mezzosopranistin Christa Mayer von der Semperoper, die diesen Sommer bei den Richard Wagner Festspielen in Bayreuth als Brangäne aufhorchen ließ, ist ob ihrer stoischen Professionalität zu bewundern, mit sie ihr mitreißendes und tief berührendes Profil der karthagischen Königin Didon durchgezogen hat, da sie die große ihr wie auf den Leib und das Stimmprofil geschneiderte Rolle darstellen wie exemplarisch singen KANN und WILL. Und dies dazu noch in perfekter französischer Diktion!
Die zunächst auch eher keusch als sinnlich singende amerikanische Sängerin der Cassandre Jennifer Holloway fügt sich im Spiel und Gesang perfekt in das Regiekonzept ein. Sie gewinnt im Schlußtableau des zweiten Aktes noch erheblich an dramatischer Tiefe und stimmlichem Ausdruck.
Das gilt leider nicht durchgehend für den Sänger der überaus schweren Partie des Enée, der in einer Art Operetten-Offiziersuniform sichtlich ohne Sympathie der Regie agieren muss. Im ersten Teil eher schwach, sucht Bryan Register, der die Rolle auch an der Oper Frankfurt singt, sich in einer der anspruchsvollsten Tenorpartien des 19. Jahrhunderts zunächst zu profilieren, indem er in dieser zweiten Vorstellung seit der Premiere ab und zu nach unten transponiert singt. Das große Liebesduett mit Christa Mayer gelingt ihm in dieser Vorstellung sehr fein. In seiner großen Schlussszene hat ihn die Regie und die Stimme manchmal etwas in Stich gelassen. Steier mag sichtlich keine Helden und das trifft seine Stimme.
Kriegsgemetzel zu zeigen hingegen scheint der Regisseurin Spaß zu machen, auch wenn es in Berlioz' Oper nicht vorkommt. So gerät die berühmte "Chasse royale et Orage" zum sowohl handwerklich wie historischen Missgriff, obwohl es eine ausführliche detaillierte Anweisung zu einer Pantomime von Berlioz gibt.
Lydia Steier zeigt statt Jagd, Gewittersturm und knisternder Erotik zwar natürlich so halb (!) politisch korrekt keine schwarzen Numider- Afrikaner,wie eigentlich in der bei Berlioz zuvor erwähnten, aber nicht gezeigten Schlacht, sondern musulmanische Krummsäbel-Osmanen mit Bärten à la IS (sic!) werden durch heroische Russen-Franzosen-Krimkrieger mit Gewehren und Bajonetten abgeschlachtet, während die Posaunen und Hörner der Staatskapelle effektvoll beleuchtet mit dem begleitenden Festfernchor in den Seitenlogen dazu musizieren.
Laut dem von der Oper Frankfurt zitierten Dramaturgen-Beitrag im Programmheft wollte Berlioz sich mit seiner Oper, in der Militärterminologie als "Phalanx" und "Avantgarde" quasi kompositorisch selber ständig ins kriegerische Feuer stürzen.
Die Musik der Trojaner als ständige Kriegsanführung: ewigen Hass und endlosen Krieg verherrlichend durch über fünf Stunden Oper und Militärkapelle? Oder doch nur ein großer langer Kostümspaß im Stil einer Operette von Jacques Offenbach?
Männer vergewaltigen, mehr oder weniger ständig betrunken, wie sowjetische Klischee-soldaten (drastisch gut gesungen von Jiri Rajnis und Matthias Henneberg) dauernd - angezogen (!!!) - Frauen oder berauben sie ihrer Habseligkeiten (historisch-kritische Reminiszenz an die sowjetische Besatzung in Dresden nach 1945 oder doch eher Krimkrieg oder Lumpenproletariat von Paris?).
Man fragt sich dann nur immer wieder, warum deren operettiger, französisch-russischer Offiziersanführer Aeneas denn nun ausgerechnet dann nach Italien soll. Irgendwie scheint auch immer malerisch der Vollmond und leuchtet eine Staßenlampe. (Effektvolle und stimmige Lichtregie Fabio Antoci). Eine Spielzeugkanone ziert symbolisch pittoresk das Kriegsidyll.
Statt der Ballette gibt es zur gepflegten Unterhaltung Akrobaten und Seifenblasen- kunststücke für die feine Hofgesellschaft. Man spart an nichts in Dresden, wie schon Berlioz zu Lebzeiten konstatiert hatte: "Seit ich in Deutschland weilte, hatte ich noch nie eine solche Ansammlung von Reichtümern gesehen." ( Siehe Programmheft S. 42) Am Ende kommt das Gespenst der aus dem Leben geschiedenen untoten Cassandre-Gouvernante samt totem Familienanhang zurück um sich malerisch zusammen mit ihrer "Freundin" Didon, die nun plötzlich ein festliches altrussisches Brautgewand (sic!) anlegt, schwesterlich zum erneuten gemeinsamen Freitod zu begeben.
Die Regisseurin verachtet den Opernkomponisten Hector Berlioz und seine Grand opéra wohl noch mehr als die Männer in diesem Werk. Daran vermögen auch nichts zu ändern der sehr nobel und besonders glaubwürdig singende Chorèbe des Baritons Christoph Pohl und der mit besonders schöner fundierter Belcantostimme ausgestattete junge amerikanische Charakter-Bassbariton Evan Hughes als Narbal, der Liebhaber von Didons Schwester Anna. Sie wird hervorragend gesungen und gespielt von der jungen polnischen Mezzosopranistin Agnieszka Rehlis im lila Blaustrumpfkostüm, die in dieser Rolle sehr überzeugend an der Semperoper debütiert). Sogar für das fein durch den stimmschönen Tenor Simeon Esper gesungene Heimwehlied des Hylas vermag die Regie sich kaum zu erwärmen.
Die Inszenierung verfolgt ganz offensichtlich vor allem den Zweck, uns tolle, aus dem Vollen schöpfende bunte Kostüme an singenden Menschen vorzuführen, vor allem an einem üppigen und mit sehr individuellen Portraits gezeichneten Riesenchor. Der eigentliche Hauptakteur dieser Inszenierung sind ja die Trojaner, Griechen und Karthager, überaus packend und präzise gesungen und gespielt vom Sächsischen Staatsopernchor, Sinfoniechor Dresden, Extrachor und Kinderchor der Sächsischen Staatsoper Dresden unter der Chorleitung von Jörn Hinnerk Andresen und für den Kinderchor Claudia Sebastian-Bertsch. Dazu spielt die Sächsische Staatskapelle Dresden unter John Fiore in gewohnt höchster Qualität schwelgerisch und verführerisch dauerschön. Nicht nur die mir an dem Abend besonders positiv aufgefallenen vier, oft solistischen Harfen und die Hörner verdienten Extralob.
Alleine dieses Spitzenorchester und der Spitzenchor sowie Christa Mayer als Didon lohnen den Besuch der optisch wie akustisch opulenten Produktion der Semperoper.
Die Trojaner von Hector Berlioz an der Semperoper: Die nächste Vorstellungen am 21.10., 27.10., 3.11.2017.
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