Dresden, Kulturpalast, TRISTAN UND ISOLDE, R. Wagner, IOCO

15. März 2025
Ursprünglich von Marek Janowski, dem langjährigen, verdienstvollen Chef der Dresdner Philharmonie und profunden Kenner und Interpreten der Musik Richard Wagners als Gesamtaufführung geplant, wurde daraus nach dessen Absage ein Konzertprogramm üblicher Dauer mit drei wesentlichen Teilen des Werks - leider, denn man hatte für die Aufführung eine auf allen Positionen erstklassige Sängerbesetzung verpflichtet. Die Grippe tat ihr Übriges: der auch als Wagner- Dirigent hochgeschätzte Pablo Heras-Casado und schließlich Anja Kampe als Isolde fielen aus. Kurzfristig konnten John Fiore, durch seine Verpflichtungen an der Semper-Oper bekannt, und eine der herausragenden Sängerinnen im dramatischen Fach, Catherine Foster, gewonnen werden.

Richard Wagner (1813-1883), Komponist, Dramatiker, Theaterregisseur und Dirigent ist eine der maßgeblichen Künstlerpersönlichkeiten in Europa im 19. Jahrhundert, ein Visionär, ein Genie. In seinem kompositorischen Spätwerk erweitert er die Grenzen des harmonischen Universums seiner Zeit und beeinflusst mit dem Klangreichtum von „Tristan“ und „Parsifal“ die Entwicklung der Musik bis zum „frühen“ Arnold Schönberg. Mit schwebenden Dissonanzen, einer gesteigerten Chromatik, den häufigen Modulationen und unbestimmten Harmonien überschreitet er im „Tristan“ die Grenze zur Polytonalität. Das von ihm propagierte „Gesamtkunstwerk“ verbindet die unterschiedlichen Künste, es entsteht eine Symbiose aus Text, Musik und Schauspiel. Ihm gelingt der Schritt von der deutschen romantischen Oper zum Musikdrama. Die unendliche Melodie, die vorher noch nie gehörte Leitmotivik, die Sigmund Freud´s Idee des Unterbewussten vorweg nimmt, die selbständige, sinfonische Orchestersprache bedeuten etwas völlig Neues. Wagners Werke gehören bis heute zum Kernrepertoire aller Opernhäuser von Rang, die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth, eröffnet 1876, sind alljährlich ein internationaler Publikumsmagnet. Herrliche Musikdramen – aber ebenso seine antisemitischen Schriften - sorgen in unserer Zeit immer wieder für Diskussionsstoff. Auch wenn viele Hörer gerne und immer wieder in die „Wagner-Wonne Welten“ abtauchen, so bleibt anderen das alles suspekt. Manches in Wagners Musik wirkt wie eine Droge, überwältigend, zuweilen hypnotisch. Wagner ist einer der einflussreichsten und umstrittensten Komponisten der Musikgeschichte, schon zu seinen Lebzeiten eine Ikone des Musiklebens.

Die wohl letztlich nicht erfüllte Liebe zu Mathilde Wesendonck, der Gattin eines wohlhabenden Züricher Kaufmanns, der ihm Ende April 1857 Geld und Asyl gewährt, inspiriert Richard Wagner zu „Tristan und Isolde“, einer Handlung in drei Aufzügen nach dem mittelalterlichen Versroman des Gottfried von Straßburg. Er verwendet Stimmungen und Motive aus Novalis´ Gedichtzyklus „Hymnen an die Nacht“. Wagner unterbricht die Arbeit am „Siegfried“ und vollendet schon nach zwei Jahren, 1859, den Mathilde gewidmeten „Tristan“ - Mathilde ist treibende Kraft und liebende Muse zugleich. Unter dem Eindruck des kompositorischen Prozesses schreibt sie fünf Gedichte, die Wagner zwischen Ende November 1857 und Anfang Mai 1858 vertont. Die „Wesendonck-Lieder“ weisen einen starken Bezug zum „Tristan“ auf, den Liedern „Im Treibhaus“ und „Träume“ gibt Wagner selbst den Untertitel „Studie zu Tristan und Isolde“. Es vergehen jedoch sechs Jahre bis zur erfolgreichen Uraufführung am Königlichen Hof-und Nationaltheater in München unter Hans von Bülow. Bis dahin gilt das Werk wegen seiner enormen musikalischen und technischen Anforderungen als unaufführbar.
„Der religiösen Vorstellung geht die Wahrheit auf, es müsse eine andere Welt geben, als diese, weil in ihr der unerlöschliche Trieb zur Glückseligkeit nicht zu stillen ist, dieser Trieb somit eine andere Welt zu seiner Erlösung fordert“ (Richard Wagner).
Dieser Erlösungsgedanke ist thematischer Hintergrund aller Spätwerke Wagners - aber in keiner seiner Opern rückt die innere, psychologische Handlung, die Emotionalität so in den Vordergrund wie im „Tristan“.
Vorspiel zum ersten Aufzug: nach dem zarten Beginn der Violoncelli erklingt ein bis dahin nicht gehörter, ein von vielen Komponisten bis in die Gegenwart oft zitierter Akkord der klassischen europäischen Musik: f-h-dis-gis, der „Tristan-Akkord“. Harmonisch nicht eindeutig zuzuordnen, durchzieht er mit seinen vielfältigen Auflösungsversuchen das ganze Werk. Es entsteht eine Art Schwebezustand, eine unendliche Melodie. Höchst expressiv und auf suggestiv-erotische Weise verbindet sich der Akkord immer wieder mit den „Liebesmotiv“-Verwandlungen. Die Leitmotive, ähnlich wichtig wie im „Ring“, sind aber im Gegensatz dazu im „Tristan“ miteinander verwandt. So können beispielsweise das Marke-Motiv als Umkehrung des Tristan-Motivs, das Sehnsuchts-Motiv als Umkehrung des Leidens-Motivs gelten.
Zweiter Aufzug:
Die tragische Liebesgeschichte von Tristan und Isolde nimmt ihren Lauf, beide sind durch den „Liebestrank“ unwiderruflich miteinander verbunden, alle gesellschaftlichen Schranken sind außer Kraft gesetzt. Raum und Zeit sind bedeutungslos, dîe Erfüllung aller Sehnsucht scheint möglich. Obwohl von Brangäne vor Melots Verrat gewarnt, treffen sie sich in der Nacht, im Glauben, König Marke und sein Gefolge seien auf der Jagd. Isoldes Warten auf Tristan, nachdem sie die warnende Fackel gelöscht hat, ist musikalisch unterlegt mit dem Todes-Motiv. Der drängende wie auch zögernde Rhythmus im Liebesduett „O sink´ hernieder, Nacht der Liebe“, die Warnungen der Brangäne, ihre „Habet acht!“-Rufe, die orgiastische Steigerung der Musik bis zum Erscheinen König Markes und dem erschütternden Monolog über den Verrat Tristans erzeugen einen emotionalen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Isolde und Tristan schwören sich ewige Liebe, über den Tod hinaus. Tristan stürzt sich widerstandslos in Melots Schwert.

Isoldes Liebestod:
Mit dem Ende des zweiten Aufzugs ist gedanklich der Bogen zum Ende des Dramas gespannt. Tristan, schwer verwundet, gepflegt von seinem Getreuen Kurwenal, wartet auf den Tod, in der Hoffnung, vorher noch einmal Isolde zu sehen. Schließlich kommt sie, Tristan stirbt in ihren Armen. „Isolde, die nichts um sich her vernommen, heftet das Auge mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche“, so die Regieanweisung Wagners. Wie in Trance, mit dem großartigen, dem Diesseits enthobenen Schlussgesang „Mild und leise wie er lächelt, wie das Auge hold er öffnet“ sinkt Isolde tot über Tristans Leichnam -
„…ertrinken, versinken – unbewusst – höchste Lust!“. Noch einmal erklingt der „Tristan-Akkord“ und löst sich jetzt, ein Symbolsymbol für die Vereinigung der Liebenden, in einem verklärenden H-Dur auf.
Das Vorspiel und Liebestod sind die Klammern für das Werk. Verbunden mit dem kompletten zweiten Aufzug, ohne Pause, ergibt sich eine, für ein Konzert durchaus sinnvolle musikalische Einheit. Obwohl ich mich, sicher auch mit anderen Zuhörern, auf eine Gesamtaufführung von „Tristan und Isolde“ gefreut hatte – so habe ich das ergreifende Zwiegespräch zwischen Tristan und Kurwenal aus dem letzten Aufzug sehr vermisst - die Darbietung hinterließ ein tief beeindrucktes, begeistertes Publikum.
John Fiore ist ein erfahrener, oft und gern gesehener Dirigent bei Ensembles von Rang in Europa, Nordamerika und Australien, er war Chefdirigent der Deutschen Oper am Rhein und des Opernhauses Oslo. Auch in Dresden wird er als Gast an der Semper-Oper seit vielen Jahren sehr geschätzt. Er leitete den Abend mit großer Übersicht, die Musik wurde nie dröhnend und grob, wunderbar intim das Vorspiel zum ersten Aufzug. Mir fehlte gelegentlich eine aktivere Rolle des Orchesters, nicht bezüglich der Lautstärke, sondern im Ausdruck, in einer detaillierten, spannungsreichen Ausführung. Durch Wagners sorgfältige Ausdifferenzierung des Orchesterapparats ändert sich die Beziehung zu den Singstimmen; das Orchester ist nicht mehr nur Begleitung, sondern bekommt in den Spätwerken eine sinfonische Selbstständigkeit, wird gleichberechtigter Partner der Sänger.
Catherine Foster, eine der großen Sängerdarstellerinnen im dramatischen Sopranfach überzeugte souverän als Isolde. Sie wird zu Recht an den wichtigsten Opernhäusern der Welt und bei den Festspielen in Bayreuth als Isolde und Brünnhilde gefeiert. Ihre Bühnenpräsenz, die mühelose, in der Höhe nie forcierte, stimmlich breite Skala im Ausdruck und in der Dynamik machen den Abend zu einem Ereignis.
Einer der gefragten Heldentenöre der Gegenwart ist Stuart Skelton. Als Tristan, Parsifal, Siegmund ist er künstlerischer Partner von Dirigenten wie Sir Simon Rattle, Yannick Nézet-Séguin und Michael Tilson Thomas in Konzerten, bei Festivals, an den Operhäusern in München, Wien, Berlin und der Metropolitan Opera New York. Er hat die Kraft und die stimmlichen Voraussetzungen für die großen Partien seines Fachs und ist besonders am zweiten Abend ein gleichberechtigter Partner und steht Catherine Foster in nichts nach, großartig das Liebesduett und beider Abgesang „Wohin nun Tristan scheidet, willst du, Isold´ ihm folgen?“.

Marina Prudenskaya als sorgende und Unheil ahnende Brangäne und Georg Zeppenfeld als würdevoller, hochemotionaler König Marke mit dem Monolog „Mir dies? Dies, Tristan, mir?“ waren fantastisch, stimmlich nie an Grenzen, im szenischen Einsatz und in der klaren, differenzierten Textdeklamation einfach exzellent.
Sebastian Wartig, seit 2015 festes Mitglied der Dresdner Oper, ergänzte stimmlich tadellos mit seiner Charakterisierung der Bösartigkeit des Verräters Melot das erstklassige Sängerensemble.
Die Dresdner Philharmonie bot eine geschlossene, hervorragende Leistung, ein Beispiel für die traditionsreiche Dresdner Orchesterkultur. Für mich waren die Holzbläser bewundernswert, als Gruppe, wie auch in den solistischen Aufgaben. Als Beispiel sei die ausdrucksvoll korrespondierende Bass-Klarinette in König Markes Monolog genannt.

Ein langer Moment der Stille, des Innehaltens, zeugte von der Ergriffenheit der Hörer. Der dann am Schluss beider Konzert nicht enden wollende Jubel war verdiente und schönste Anerkennung für die Mitwirkenden.
Zum Abschluss noch eine Fußnote: Der Dirigent Josef Keilberth erlag bei einer Aufführung des „Tristan“ in München im zweiten Aufzug am 20. Juli 1968 einem Herzinfarkt, ebenso wie schon 1911 sein Kollege Felix Mottl. Im Stimmen-Material der Münchener Staatsoper sind bis heute beider Todeszeitpunkte vermerkt.