Dresden, Kulturpalast, SILVESTERKONZERT DER DRESDENER PHILHARMONIE, IOCO
31. Dezember 2024
Unter Leitung von Sir Donald Runnicles, dem designierten Chefdirigenten der Dresdner Philharmonie, beendet das Orchester das an musikalischen Höhepunkten reiche Jahr 2024.
Edward Elgar (1857-1934): Cockaigne (In London Town)
Konzertouvertüre op. 40
Elgar, Sohn eines Musikalienhändlers und Organisten, eignete sich selber sehr früh musikalische Kenntnisse an, lernte, mehrere Instrumente zu spielen und begann schon im Alter von zwölf Jahren zu komponieren. Die von Hans Richter uraufgeführten Enigma-Variationen (1891) und The Dream of Gerontius (1900) bringen endlich den ersehnten Erfolg. Die Ouvertüre Cockaigne, die Konzerte für Violine, und Violoncello und vor allen die Pomp and Circumstance Marches op.39, deren Nr. 1 als Hymne Land of Hope and Glory bei der alljährlichen Last Night of Proms in der Londoner Royal Albert Hall von Tausenden Zuhörern begeistert mitgesungen wird, sorgen für allgemeine Anerkennung. Die lebensfrohe Cockaigne-Ouvertüre entsteht unmittelbar nach Vollendung des Oratoriums The Dream of Gerontius. Sie ist eines der farbigsten Werke von Edward Elgar. Er beschreibt die Komposition als „fröhlich und londonerisch, ehrlich und stark, aber nicht vulgär“. Die von Elgar dirigierte Uraufführung 1901 wird enthusiastisch gefeiert. Die Ouvertüre ist ein szenisches Bild des Lebens in London um die Jahrhundertwende: lärmende Menschen auf der Straße, ein Liebespaar im Park, Militärmusik, die feierliche Atmosphäre einer Kirche. Mehrere charakteristische Themen werden vorgestellt, in Form eines Sonatensatzes verarbeitet und am Schluss zu einem glänzenden Finale geführt.
Einige Male grüßen die Pomp and Circumstances. Vielfach geehrt, ausgezeichnet mit dem Adelstitel - ein Asteroid trägt seinen Namen, ein Gebirgszug in der Antarktis wird nach ihm benannt - zieht sich Elgar nach dem furchtbaren Ende des Ersten Weltkriegs in seine Heimat Worcester zurück, enttäuscht in seinem Glauben an das Gute im Menschen und voller Skepsis auf die Zukunft.
Ralph Vaughan Williams (1872-1958): The Lark Ascending
Ralph Vaughan Williams setzt als Komponist, Dirigent und Wissenschaftler wichtige Impulse für die Entwicklung der modernen englischen Musik. Sein Schaffen hat großen Einfluss auf die nachfolgende Generation junger Komponisten wie Benjamin Britten und Michael Tippett. Er beginnt 1890 mit dem Musikstudium in London und Cambridge. Gustav Holst wird ein enger Freund. Er nimmt 1897 für eine kurze Zeit Unterricht bei Max Bruch in Berlin.
Zunächst ist Vaughan Williams als Organist tätig, beginnt dann aber englische Volksmelodien zu sammeln und beschäftigt sich intensiv mit der Musik von Henry Purcell. Bevor er 1910 seine Sea Symphony komponiert, reist er nach Paris zu Maurice Ravel. Dessen impressionistischer Klang, die Klangwelt der Tudorzeit und der elisabethanischen Epoche, dazu der Einfluss der Spätromantik
und die große Tradition der englischen Chor- und Kirchenmusik fließen ein in die Musik von Ralph Vaughan Williams. Seine sehr differenzierte, transparente Tonsprache prägt die englische Musik des zwanzigsten Jahrhunderts.
The Lark Ascending ist eine kurze Romanze, ursprünglich für Violine und Klavier komponiert, aber 1921 als Fassung für Solovioline und Orchester uraufgeführt. Vaughan Williams wird inspiriert durch das gleichnamige Gedicht von George Meredith. Es beschreibt das Aufsteigen der Lerche, das ständige Höherstreben und ihren Gesang, der den Himmel füllt: Bis verloren auf seinen Lufttönen im Licht, und dann singt die Phantasie (George Meredith). Die technisch durchaus anspruchsvolle Musik kommentiert Michael Kennedy, dass The Lark Ascending ein einzigartiges Werk ist, das aber oft unterschätzt wird, „möglicherweise, weil gerade seine Einfachheit trügerisch ist“. Die Musik spiegelt die enge Verbundenheit des Komponisten mit seiner Heimat und der Natur wider.
Ludwig van Beethoven (1770-1827): Romanze G-Dur für Violine und
Orchester op. 40
Mit Ludwig van Beethoven erreicht die Epoche der Wiener Klassik ihren Höhepunkt. Am Beginn seiner Laufbahn noch unter dem Einfluss seiner Vorbilder Haydn und Mozart stehend, bringt er deren Ideen zur Vollendung und bereitet mit seinen Spätwerken schon der Musik der Romantik den Weg. Mit den Romanzen in F-Dur und G-Dur schafft Beethoven eine Gattung, die nachfolgende Komponisten wie Sinding, Nielsen, Bruch, Reger, Dvořak zu eigenen Werken anregen. Während die wahrscheinlich schon 1798 geschriebene Romanze in F-Dur erst 1805 veröffentlicht wird, erscheint die Romanze in G-Dur, 1802 geschrieben, bereits ein Jahr später. 1802 verfasst Beethoven sein erschütterndes Heiligenstädter Testament. In einem Brief an seine Brüder bekennt er seinen sich verschlechternden Gesundheitszustand und die fortschreitende Gehörlosigkeit. Er glaubt sich dem Tod nahe. Dennoch gehören diese Jahre der tiefen inneren Verzweiflung zu den produktivsten seines Schaffens. So ist es eigentlich unvorstellbar, dass die Romanze G-Dur im Jahr 1802 komponiert wird. In einem Brief bietet Beethoven seinem Verleger André beide Werke als „zwei Adagio für Violine und ganze Instrumentalbegleitung“ an. Die Romanze in G-Dur ist kühn und originell. Die Solistin beginnt solo mit einem in Doppelgriffen gesetzten, ernsten Hauptthema. Das Orchester antwortet mit der Wiederholung im Tutti. Dieses Thema wird im Dialog mit dem Orchester in einer A-B-A-Form verarbeitet. Später wird dem ersten Gedanken ein weiterer in Moll gegenüber gestellt. So entwickelt sich ein etwas dramatischerer Verlauf, der aber schließlich mit der Rückkehr des Eingangsthemas endet.
Sowohl The Lark Ascending als auch die Romanze G-Dur sind dankbare Solostücke, die allerdings gestalterisches Feingefühl und eine virtuose Technik voraussetzen. Das Spiel der russisch-amerikanischen Geigerin Maria Ioudenitch, erste Preisträgerin drei der bedeutendsten internationalen Solistenwettbewerbe, zeichnet sich durch sorgfältige Phrasierung, saubere Intonation und ein sicheres musikantisches Stilgefühl aus. Man sollte ihren weiteren künstlerischen Weg mit Interesse verfolgen.
Ludwig van Beethoven (1770-1827): Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“
Mit seiner dritten Sinfonie tritt Beethoven endgültig aus dem Schatten seiner Vorgänger. In den Schicksalsjahren 1802/1803 komponiert, gilt sie als revolutionär und als Schlüsselwerk des neunzehnten Jahrhunderts. Sie erweitert die sinfonische Form und bestimmt deren Gesetze neu, auf dem Weg zu einem von der Inspiration bestimmten Ziel. Um die Widmung und deren Widerruf gibt es viele Legenden. Fest steht, Beethoven ist beeindruckt vom Aufstieg des revolutionären Feldherrn Napoleon Bonaparte, auch er fühlt sich den Idealen der Französischen Revolution Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verpflichtet. Doch für ihn ist Bonapartes Selbsternennung zum Kaiser ein Verrat dieser Ideale. Auf dem Titelblatt der vom Komponisten überprüften Abschrift der Partitur von 1804 steht: Sinfonia grande, intitolata Bonaparte. Die Widmung, zwar undeutlich lesbar, radiert Beethoven selbst aus. Am 9. Juni 1804 wird die Sinfonie vor einem geladenen Publikum im Wiener Palais seines Gönners, des Fürsten Lobkowitz, uraufgeführt. Dieser zahlt Beethoven für ein sechsmonatiges, exklusives Aufführungsrecht ein stattliches Honorar von 400 Gulden. 1805 dirigiert der Komponist die erste öffentliche Aufführung im Theater an der Wien.
Der erste Satz, Allegro con brio in ungewöhnlichem Dreivierteltakt. beginnt mit zwei wuchtigen Orchesterschlägen, gefolgt vom eigentlichen Kernmotiv, einem einfachen, gebrochenen Es-Dur-Akkord, der allerdings auf einem fremden, spannungsgeladenen cis endet. Dieses Motiv, vielfach verwandelt, bestimmt den ganzen Satz. Ein zweites, tänzerisches Thema der Holzbläser und Violinen wird durch eine scharf rhythmisierte Figur abgebrochen. Im Durchführungsteil kommt noch, sehr ungewöhnlich, ein drittes marschartiges Oboenthema hinzu. In der sinfonischen Verarbeitung erhalten Reprise und Coda ein völlig neues Gewicht. Am Schluss des Satzes wird das Anfangsmotiv wie ein befreiendes Signal ins Triumphale gesteigert. Der zweite Satz Adagio assai. Marcia funebre beginnt als Trauermarsch. Darauf antwortet ein Trio, ein elegischer Gesang der Violinen. Ihm folgt, jetzt aber in ausgedehnter sinfonischer Sonatenform mit einer großartigen Steigerung, die Wiederholung des Beginns. Das variierte Trauermarsch-Thema beendet leise den Satz. Als Ausdruck pulsierenden Lebens, ständiger Bewegung schließt sich ein turbulentes, weiträumiges Scherzo. Allegro vivace an. Staccatofiguren, melodische Linien in Violinen und Holzbläsern, der Dialog zwischen den Orchestergruppen prägen den ersten Teil. Schmetternde Hörner leiten das Trio ein. Holzbläser und Streicher antworten. Die Wiederholung des Anfangsteils bringt mehrfache Varianten. Eine kurze Coda beschließt den Satz. Das Finale. Allegro molto ist bestimmt durch das Thema des siebten Contretanzes aus WoO 14. Dieses Thema hat Beethoven bereits in seiner Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus und später in seinen Klaviervariationen op. 35 verwendet. Dieses Prometheus-Thema lässt sicher einen Rückschluss auf die Kompositionsidee der Sinfonie zu. Der letzte Satz ist ein Variationssatz. Variationen und ausgereizte Polyphonie verbinden sich mit typischen Verlaufsformen eines Sonatenhauptsatzes. Aus dem im pizzicato unisono von den Streichern vorgestellten Thema führt Beethoven in acht Variationen die Sinfonie in ein jubelndes, prachtvolles Finale.
Bereits 1803 bietet Ferdinand Ries, sein damaliger Schüler, die Sinfonie dem Verleger Simrock zur Drucklegung an. Er verweist auf die Äußerung Beethovens, es sei das bisher stärkste Werk, das er komponiert habe, „…und ich glaube Himmel und Erde muß unter einem zittern bei ihrer Aufführung“ (Ferdinand Ries). Die Reaktion des Publikums des ersten öffentlichen Konzerts dagegen ist durchaus zwiespältig: das Stück enthalte des „Grellen und Bizarren allzuviel“, der Zuhörer werde „durch einen fortwährenden Tumult aller Instrumente zu Boden gedrückt“. Heute gehört die Eroica zu den meist gespielten Sinfonien weltweit. Sie bildet den würdigen Abschluss des Silvesterkonzerts 2024 der Dresdner Philharmonie.
Verdienten Sonderapplaus gibt es für den Solo-Oboisten und die Horngruppe in der Beethoven-Sinfonie. Der Dirigent Sir Donald Runnicles sorgt für einen dichten homogenen Klang, agogisch sorgfältig behandelt in den piano Dialogen, leider etwas zu routiniert in den Tuttiabschnitten.
Orchester und Dirigent begeistern das Publikum mit dem Radetzky-Marsch als Zugabe.