Dresden, Kulturpalast, DRESDNER PHILHARMONIE GEDENKKONZERT ZUM 80. JAHRESTAG DER ZERSTÖRUNG DRESDENS, IOCO
13. Februar 2025
Benjamin Britten (1913-1976): War Requiem op. 66 für Soli, Chor, Knabenchor, Orchester, Kammerorchester und Orgel
„Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges.
Die Poesie liegt im Leid…
Alles, was ein Dichter tun kann, ist warnen“.
Diese Worte stellt Benjamin Britten seinem War Requiem voran, Worte des britischen Dichters Wilfred Owen (1893-1918), der als 25-jähriger eine Woche vor dem Ende des Ersten Weltkriegs fiel. Aus Anlass des Neubaus der Kathedrale der Stadt Coventry direkt neben der Ruine der alten Kirche - deutsche Bomber hatten am 14. November 1940 in einer zehnstündigen Operation „Mondschein“ die Stadt mit ihrer spätmittelalterlichen Kathedrale St. Michael in Schutt und Asche gelegt und mehrere hundert Menschen getötet, - schreibt Britten sein War Requiem für die Wiedereinweihung der Kathedrale am 30. Mai 1962. Er komponiert ein Werk für eine großartig angelegte Besetzung. Es gelingt ihm mit seinem Requiem, die wohl bedeutendste, chorsinfonische Komposition des 20. Jahrhunderts, ein Werk von gewaltiger emotionaler Kraft.
Am 22. November 1913 in Lowestoft, Suffolk, geboren, erhält Benjamin Britten bereits im Alter von fünf Jahren den ersten Klavierunterricht, mit acht Jahren schreibt er seine erste Komposition. Noch als Schüler wird er von Frank Bridge unterrichtet, dem er später seine „Variationen zu einem Thema von Frank Bridge“ widmet. Von 1930-1933 studiert er am Royal College of Music in London Klavier und Komposition. Früh engagiert er sich in der Antikriegsbewegung, verlässt 1939 England in Richtung USA, um dann 1942 in die Heimat zurückzukehren. Dort wird er als Kriegsdienstverweigerer offiziell anerkannt.
Er ist überzeugter Pazifist und verweigert den Dienst an der Waffe. Britten verabscheut zeitlebens Gewalt und ist geprägt von einem starken Gefühl für Gerechtigkeit gegenüber Schwächeren.
Seine 1945 uraufgeführte Oper „Peter Grimes“ bringt den großen internationalen Erfolg. Das kompositorische Werk Benjamin Brittens umfasst alle Gattungen des musikalischen Spektrums; darüber hinaus ist er auch als Pianist und Dirigent bekannt. So leitet er die erste Aufführung der ihm gewidmeten 14. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch außerhalb der Sowjetunion. Noch heute findet das von Britten und seinem Lebensgefährten Peter Pears 1948 gegründete Aldeburgh-Festival jährlich statt. Für seine Verdienste um die englische Musik wird er mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt und schließlich als Baron Britten, of Aldeburgh in the County of Suffolk in den Adelsstand erhoben. Damit wird er Mitglied des House of Lords. Wenige Monate später stirbt Britten am 4. Dezember 1976. Nicht nur Großbritannien trauert um den Orpheus Britannicus, um den Henry Purcell des 20. Jahrhunderts. Seine Musik prägt nachhaltig die englische Musikentwicklung. In seinen Kompositionen folgt Benjamin Britten keinem Vorbild, er absorbiert europäische und britische Tendenzen. Er verfolgt alle zeitgenössischen Strömungen und Kompositionstechniken, setzt sie aber nur sporadisch in seinen Werken ein. Sein Stil ist getragen von einer eigenen individuellen Musiksprache. Heute wird er als bedeutendster englischer Komponist des 20. Jahrhunderts gefeiert. Sogar eine Rosensorte, eine Bucht in der Antarktis und ein Asteroid tragen seinen Namen.
In seinem War Requiem verbindet Britten den klassischen, lateinischen Text des Requiems „Missa pro defunctis“, das mit seinen ritualisierten Worten von der ewigen Ruhe der Toten, dem Jüngsten Gericht und dem Paradies spricht, mit neun Gedichten von Wilfred Owen (1893-1918). Diese sind, englisch gesungen, ein Kommentar zu den lateinischen Messtexten. Deren liturgische Aussage wird durch die Owen-Texte hinterfragt, ironisiert und oft sarkastisch konterkariert. Britten baut die Komposition auf mehreren klanglichen Ebenen auf. Den Text der Totenmesse, gesungen vom Solosopran und dem gemischten Chor, begleitet das große Orchester. Die Textstellen, mit deutlicher Distanz zum Kriegsgeschehen, übernehmen der Kinderchor und die Orgel. Die männlichen Solisten, Tenor und Bass, tragen, begleitet von einem Kammerorchester, die Texte von Wilfred Owen vor. Dieser Liederzyklus reflektiert das Elend des Krieges in einer expressiven und anklagenden Sprache. Erregt und wütend unterbricht der Tenor den hymnischen Gesang des Chores: „What passing bells for these, who die as cattle?“ (Was für Totenglocken gebühren denen, die wie Vieh sterben?). Der groß angelegten Chorfuge „Quam olim Abrahae“ wird provozierend eine Variante der biblischen Abraham-Geschichte entgegen gestellt – Abraham schlachtet seinen Sohn Isaac „und die halbe Saat Europas, einen nach dem anderen“ (Wilfred Owen). Auch das zu Herzen gehende „Agnus Dei“ unterbricht der Tenor und beklagt die Toten und ihr sinnlos geopfertes Leben: „Let us sleep now“ (Lass uns nun schlafen). Das Requiem endet mit der Bitte um Frieden. Die Spannung zwischen dem lateinischen Text und den Gedichten Wilfred Owens macht das War Requiem zu einem einzigartigen Werk, das auch heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Es ist eine der erschütterndsten Manifestationen des Pazifismus im 20. Jahrhundert, ein Zeichen gegen den Krieg, ein Erinnern an die Gräuel vergangener Kriege und eine Warnung vor gegenwärtigen Bedrohungen, eine Musik der Trauer und eine Aufforderung nachzudenken.
Für die Uraufführung wünscht sich Benjamin Britten die Besetzung der Solopartien mit der Russin Galina Wischnewskaja, mit dem Briten Peter Pears, und mit dem Deutschen Dietrich Fischer-Dieskau als symbolträchtige Besetzung mit Vertretern der ehemaligen Kriegsgegner. Der „Kalte Krieg“ verhindert das, die sowjetische Regierung verweigert Galina Wischnewskaja die Ausreise. Auf ihre Anfrage nach den Gründen wird ihr erklärt: „…weil die Coventry-Kathedrale mit deutschem Geld wieder aufgebaut wurde. Es wäre besser, sie läge noch heute in Trümmern, um an die Brutalität des Faschismus zu erinnern“.
Die Uraufführung singt daraufhin die Britin Heather Harper.
Das Requiem trägt die Widmung:
In loving memory of
Roger Burney, Sub-Lieutenant, Royal Naval Volunteer Reserve
Piers Dunkerly, Captain, Royal Marines
David Gill, Ordinary Seaman, Royal Navy
Michael Halliday, Lieutenant, Royal New Zealand Naval Volunteer Reserve
Das Werk wurde 1965, am 20. Jahrestag der Zerstörung, erstmals in Dresden aufgeführt. Es ist auch heute, 80 Jahre nach dem grauenvollen 13. Februar 1945, die beste Entscheidung für das Programm eines Gedenkkonzerts.
Es ist der 13. Februar 2005, als der noch im Wiederaufbau befindlichen Frauenkirche das Nagelkreuz, gestaltet aus drei mittelalterlichen Zimmermannsnägeln des Dachstuhls der zerstörten Kathedrale von Coventry, überreicht wird, ein Symbol der Versöhnung und der leidvollen Verbundenheit beider Städte.
Ergriffenheit und Stille des Publikums geben der Aufführung einen würdevollen Abschluss. Nach einer Minute des Schweigens wendet sich Sir Donald Runnicles an das Publikum und verliest das Gedicht „Mensch zu Mensch“ von Gerrit Engelke. Es schließt mit den Worten „Einiggroße Menschheitsfreunde, Welt- und Gottgemeinschaft werde!“ Damit endet ein Abend des Gedenkens und der Mahnung, ein Abend der Hoffnung und des Neubeginns.
Für dieses tief berührende Erlebnis sorgten unter Sir Donald Runnicles, dem zukünftigen Chefdirigenten des Orchesters, die hervorragenden Solisten, die Chöre und die Philharmoniker.
Hervorheben möchte ich die Leistung der Blech- und Holzbläser. Der Tschechische Philharmonische Chor Brno und der Philharmonische Chor Dresden harmonierten prächtig. Mir fehlt allerdings das Verständnis dafür, dass man in einer Stadt, in der es zwei hervorragende Knabenchöre gibt, die vom Komponisten gewollte und dramaturgisch wichtige Knabenchorbesetzung verschenkt hat. Zudem war die Positionierung vom Kinderchor Radost Praha und dem Philharmonischen Kinderchor Dresden sehr unglücklich, und die Truhenorgel klang erbärmlich. Da das Kammerorchester oft zu laut spielte, litten die Präsenz und die äußerst differenzierte Gestaltung der Owen-Texte durch die beiden männlichen Solisten Thomas Atkins und Russel Braun. Erst mit dem Lacrimosa, geführt von Sara Jakubiak, stellte sich die nötige klangliche Balance für die folgenden Teile ein. Ein eindrucksvolles Libera me führt zum a-cappella Abschluss des Chores mit der erlösenden harmonischen Rückung von fis-Moll nach F-Dur.