Dortmund, Ballett Dortmund, Die Göttliche Kömodie III - PARADISO, IOCO Kritik, 09.02.2022
PARADISO - Die Göttliche Komödie III - Dante-Zyklus
- Tanz als liebende Begegnung im göttlichen Schein -
von Hanns Butterhof
Dante Alighieris Divina Commedia hat heute einen prominenten Platz in der Liste der am wenigsten gelesenen Weltliteratur neben dem Ulysses von James Joyce oder dem Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. Das liegt nur zum einen an den 15.000 kreuzweise gereimten Terzinen der dreiteiligen Dichtung vom Anfang des 14. Jahrhunderts. Auch der Stoff, eine Wanderung des Dichters zu seiner früh verstorbenen jugendlichen Geliebten Beatrice durch Hölle und Fegefeuer bis zum Paradies, ist sperrig. Er enthält nichts weniger als die Summe des christlichen Wissens am Ausgang des Mittelalters und ist in jedem Vers Enzyklopädie, Predigt und dramatisches Epos zugleich.
Xin Peng Wang, Direktor und Chefchoreograph des Ballett Dortmund, und sein Dramaturg und Konzeptentwickler Christian Baier wissen dabei um die Schwierigkeit, gerade den letzten Teil der Göttlichen Komödie, das Paradiso, also das Paradies, tänzerisch darzustellen. Denn darin geht es nicht um sensationelle Aktionen, sondern um den Weg zur reinen unio mystica, umfassender Gotteserfahrung.
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Das Paradiso besitzt mehr wissenschaftliche und vor allem theologische Natur als "die Hölle und das Fegefeuer". Es wird durch die vier Haupttugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung und die drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung strukturiert. Während Dante, geführt von Beatrice, durch acht Himmels-Sphären, die durch die damals bekannten Planeten bezeichnet werden, ins Elysium, den Sitz Gottes aufsteigt, wird er durch Beatrices Lehren von verschiedensten, selbst physikalischen Irrtümern geläutert. Vor allem aber wird er von mehreren Heiligen, darunter dem großen Kirchenlehrer Thomas von Aquin, streng auf Korrektheit und Stärke seines Glaubens getestet. In Dantes Paradiso endet sein Weg nach bestandenen Prüfungen mit dem Anblick des dreieinigen Gottes. In einem Erkenntnisblitz, der sich nicht in menschlichen Begriffen ausdrücken lässt, verbindet sich Dantes Seele mit der Liebe Gottes, wodurch er schließlich das Geheimnis von Christi Gottheit und Menschheit versteht.
Es ist ein naheliegender Gedanke, das, was für Dante begrifflich unsagbar war, durch das wortlose Medium Tanz auszudrücken. Entsprechend lässt Xin Peng Wang alle theologischen Überlegungen beiseite, verzichtet auf jede verbindende Erzählung und ersetzt Dantes Vorstellungen vom Paradies durch seine eigenen: Er stellt den Tanz selbst als Ausdruck der liebenden Begegnung mit dem göttlichen Sein auf die Bühne. Um den sehr kraftvoll tanzenden Dante (Javier Cacheiro Alemán) und die zarte Beatrice (Amanda Vieira) entfaltet sich beeindruckend nahezu das gesamte klassisch tänzerische Grundvokabular mit Soli, Duetten und Ensembles, mit elegantem Spitzentanz, weiten Sprüngen, Zeitlupen und dynamischen Läufen, technisch von bewundernswerter Perfektion.
Doch Xin Peng Wang hat auch den Gedanke an die im Paradies gebotene Abwesenheit von Sinnlichkeit in den Tanz eingewebt. In den Ganzkörpertrikots mit oder ohne feenhafte Schleier (Kostüme: Bernd Skodzig) wirkt das Ensemble geschlechtslos, selbst Figuren größter Nähe wie die Hebungen strahlen aseptische Reinheit und Kühle aus. Auch die Auftritte sind schematisch und verweisen wie die immergleichen Grundformen Kreis, Dreieck und Viereck eher auf himmlische Perfektion, als dass sie die selige Begeisterung ausdrücken, die sie erwecken sollen.
Spektakulär ist das Bühnenbild von Frank Fellmann, ein gewaltiges Lichtrad, das sich zu Beginn vom Bühnenboden abhebt und von oben das Geschehen aus vielen Strahlern intensiv beleuchtet (Lichtdesign: Carlo Cerri). Am Ende bildet es einen Kranz, in dem über die anderen Seligen die Liebenden Dante und Beatrice emporgehoben werden; in Xin Peng Wangs Paradiso kommt deren Liebe ohne einen christlichen Gott aus, die unio mystica ereignet sich zwischen liebenden Menschen im göttlichen Schein.
Für Paradiso schuf das als „48° Nord“ firmierende Duo Ulrich Müller und Siegfried Rössert (+ 2021) Klänge unterschiedlichen Charakters. Wie der Aufstieg des Lichtrades von Startgeräuschen einer Rakete begleitet wird, so erinnert manches elektronische Rauschen und Zischen an Weltraum-Musik, bleibt aber trotz auch symphonischer Anklänge insgesamt so abstrakt wie Xin Peng Wangs gesamte Choreographie.
Großer Beifall des Publikums nach nur einstündiger Dauer des Tanzabends. Mit Paradiso ist das zu Dantes 700. Todestag begonnene Unternehmen, alle drei Teile der Divina Commedia auf die Bühne des Dortmunder Opernhauses zu bringen, abgeschlossen. Man darf gespannt sein, ob durch die Aufführung aller drei Teile in der Spielzeit 2023/24 ein neuer Gesamteindruck entstehen wird.
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