Dessau, Anhaltisches Theater, Otello von Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 19.10.2017
Anhaltisches Theater Dessau, Anhaltische Philharmonie
Otello von Giuseppe Verdi am Anhaltischen Theater
"Was ist schwarz und was weiß?"
Von Guido Müller
Seine 223. (!) Spielzeit hat das traditionsreiche Anhaltische Theater in Dessau auf seiner für Richard Wagners Musikdramen konzipierten Riesenbreitwandbühne mit einer der größten Drehbühnen deutscher Opernhäuser mit Giuseppe Verdis großem 1887 an der Mailänder Scala uraufgeführtem Operndrama Otello eröffnet. Dieses Werk nach Shakespeares Tragödie mit dem Libretto von Arrigo Boito wird immer wieder beschrieben als musikdramatisch unter Wagners Einfluss stehend. Und die Oper in Dessau hat eine lange und große Wagner-Tradition.
Doch ganz anders als einem Musikdrama von Wagner steht die Inszenierung von Roman Hovenbitzer in Dessau Shakesspeare und vor allem dem dualistischen humanistischen Gut-Böse-Denken des Freimaurers Arrigo Boito sehr viel näher.
Der Regisseur hat sich durch den Bühnenbildner Hermann Feuchter große sich drehende Raumschalen mit Gerüsten und Stangen in Schwarz und Weiß bauen lassen und die Kostüme von Judith Fischer werden ebenso von den symbolkräftigen, die Bühne beherrschenden Nicht-Farben Schwarz und Weiß bestimmt.
Lediglich ab und zu etwas Anthrazit und vor allem das goldblonde Haar Desdemonas brechen diese immer wieder optisch starken, unerbittlichen Kontraste von Hell und Dunkel. Zu Beginn des Werks, im Sturm und dem Huldigungschor der Kinder, glänzt fast alles noch weiß. Am Ende der Oper wischt ein breiter schwarzer Pinselstrich auf dem Portalschleier die Fläche vor dem toten Paar gänzlich tiefschwarz aus. Das Weiß auf den Kostümen und im Dekor wird aber mit schwarzen Strichen gebrochen. So ist schon optisch nie ganz klar, was oder wer weiß oder schwarz ist. Beide Seiten gehören untrennbar zum Menschen.
Diese schwarz-weißen Farbkontraste stehen in dieser Inszenierung von Roman Hovenbitzer aber nicht für den Rassekonflikt zwischen dem schwarzen Mohren von Venedig und der weißen Gesellschaft. Viel mehr zielt die Regie auf den ständigen Lebenskampf zwischen erhofftem Glück und unausweichlichem Tod und Vernichtung und die helle und die dunkle Seite in jedem Menschen.
Damit rückt der als tragische Figur gezeichnete Intrigant Jago als eine Art Kreuzung von Faust und Mephistopheles wie auch von ersehnter Desdemona-Helle und verhasstem Otello-Dunkel ins Zentrum des fast schon Mysterienspiel mäßigen Hell-Dunkel-Dramas dieser Inszenierung.
Jago sucht in sich das Helle der Frau Desdemona und das Finstere des Mannes Otello zu vereinen und aufzulösen. Daran scheitern schließlich verhängnisvollaneinander gekettet alle drei Figuren. Die erdrosselte Desdemona und der Hand an sich legende Otello sind in Jago untrennbar verbunden wie in einer Art ewiger verdammter Trias. Jago wird so zum Ende geradezu zu einem Todesboten mit der Aura des Jenseits.
Ihn gestaltet KS Ulf Paulsen mit stimmlicher und darstellerischer Perfektion zum schon in der musikalischen Charakterisierung bei Verdi, in Shakesspeares Drama und Boitos Libretto gar nicht so heimlichen Hauptakteur der Oper. Verdi wollte die Oper zu Beginn sogar Jago nennen. Gerade in seiner nie baritonal groben oderbrutalen, sondern immer kantablen und äußerst differenzierten Interpretation der Rolle mit vorzüglicher Diktion wird im Leisen das Bedrohliche, das unerbittlich in den Schmerz selbst sich unerbittlich verstrickende Böse und das Leiden am Vernichtungswillen eindrucksvoll deutlich. Dieser Jago rückt uns in dieser großartigen Interpretation menschlich auf ganz besonders schmerzliche Weise nah.
Auch der schwarze Startenor am Hause Ray M. Wade jr., der bereits in Dessau u.a. als Verdis Trovatore und Erik in Wagners Fliegendem Holländer Furore machte, ist kein grober heldentenoraler Stimmprotz, sondern steht von Anbeginn der Oper an eher im schwarz umflorten, kultivierten Dunkel seines tragischen Rollenprofils mit gelegentlich mehr lyrischer als metallischer Höhe. Beeindruckend, ja berückend ist es, wie Ray M. Wade ohne jede Ermüdungserscheinung inmitten oraler warmer Fülle und auf elegantem langem Atem auch die Spitzentöne mühelos setzt und bis zum Ende stimmlich intelligent gestaltet.
Ihm steht mit der in Dessau bereits seit Jahren in den großen Wagner-Partien der Senta und Brünnhilde und bedeutenden Verdi-Rollen brillierenden KS Iordanka Derilova eine Desdemona zur Seite, die nicht nur die großen Bögen gesanglich perfekt meistert. Die Wandlungsfähigkeit der Stimme dieser Ausnahmesängerin ist phänomenal. Auch ihre Piani bei Verdi berücken mit besonders fülligen, warmen und farbenreichen Tönen. Perlmuttartig verströmt ihre dunkel timbrierte Sopranstimme die vokalen Linien ihrer Partie. Sie vermeidet sowohl jede oft in dieser Rolle zu hörende hochdramatische Schärfe wie das ebenso manchmal manieriert daherkommende Mädchenhafte. Sie verkörpert das Weibliche an sich in diesem reifen Alterswerk Verdis.
Dieses großartig strahlende Triumvirat der Sänger bildet aber nur die Spitze eines wie in den letzten Spielzeiten von Dessau immer wieder so beglückend anzutreffenden Belcanto Festes.
Alle Rollen sind mit hauseigenen Kräften besetzt - bis auf den Cassio des sehr fein singenden Kwonsoo Jeon. Die Emilia wird von Rita Kapfhammer wie gewohnt durch ihren charismatisch timbrierten edlen Mezzosopran aufgewertet. In den kleinen Rollensingen David Ameln als Rodrigo, Michael Tews als Lodovico und Kostadin Argirov als Montano und stehen damit für das enorme sängerische Potential dieses Opernensembles, um das andere benachbarte Häuser die Oper von Dessau beneiden.
Der von Sebastian Kennerknecht und Dorislava Kuntscheva einstudierte Opern-, Extra- und Kinderchor des Anhaltischen Theaters Dessau singt hervorragend präzise, homogen und intonationsrein. Generalmusikdirektor Markus L. Frank beginnt zunächst eher verhalten und zurückhaltend mit der auch in dieser zweiten Vorstellung seit der Premiere glänzend aufgelegten Anhaltischen Philharmonie die Ankunft Otellos auf Zypern mit Bühnensturm. Das eigentliche musikalische und orchestrale Drama entfaltet sich dann behutsam in großen Steigerungsbögen. Dabei gilt auch den Details in den Klangfarben und Instrumentalsoli die besondere Aufmerksamkeit des Dirigenten, der nie die Sänger zudeckt. Es klingt weniger nach stürmischer Italianitá als nach einer großen düsteren Symphonie für Solisten, Chor und Orchester.
Otello am Anhaltischen Theater Dessau: Nächste Termine 10.11., 26.11., 26.12.2017
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