DER FLUYTEN LUST-HOF - Jacob van Eyck - Simon Borutzki, IOCO CD-Besprechung, 31.01.2023
DER FLUYTEN LUST-HOF - CD - Jacob van Eyck - Simon Borutzki
- Künstler: Simon Borutzki (Blockflöten)
- Label: Klanglogo, DDD, 2021
- Bestellnummer: 11132554
- Erscheinungstermin: 15.1.2023
CD-Besprechung von Albrecht Schneider
Die Zauber-Flöte des Barock
Die Musikhistorie berichtet, die Flöte sei bereits im Jungpaläolithikum nachweisbar, was ein Alter von rund fünfundvierzigtausend Jahren bedeutet. Diese Vorzeit ist allzu grau, um sich nicht schleunigst nach vorn zu bewegen, hinein in die griechische Mythologie, gemäß deren Erzählung der Naturgott Pan gemeinsam mit den ihm anvertrauten Hirten häufig und gern die Flöte bläst. (Inwieweit auch Hirtinnen damals diese Kunst ausübten, bleibt bislang unerforscht.) Ikonographisch ist Picassos‘ Faun bekannt, musikalisch malt ihn Claude Debussy, indem er ihm ein Prélude, ein Vorspiel widmete, wobei er wohl davon ausging, der Faun würde den Nachmittag vorzugsweise mit Flötespielen zubringen. Das atmosphärische Stück Musik beherrscht eine träumerische, dahinfließende Flötenstimme, die das Bild und den Geruch einer im gleißenden Licht und nach Lavendel duftenden Provence zu beschwören vermag.
Im einem deutschen gutbürgerlichen Haushalt zählte lange Zeit die Blockflöte zu jenen Instrumenten, mittels derer früh eine aktive Musikausübung der Jugend befördert werden sollte, ehe das Klavier einladend oder drohend seinen Deckel aufsperrte.
So sehr diese Art Flöte bei minderer Fertigkeit der Spieler durch ihren blassen fiepigen Klang bald zu langweilen vermag, ein Virtuosen- oder Virtuosinnenmund indessen zaubert aus ihr, die in unterschiedlichen Formaten als Sopran- Alt- Tenor- Bassflöte und mit unterschiedlichen Mensuren auftritt, ganz andere Töne hervor, solche von Fülle und Farbe, mit denen sie sich ausdrücklich neben Violine Viola und Cello – cf. J.S. Bachs 4. Brandenburgische Konzert – und ebenso bei Händel, Telemann, Vivaldi et alii ganz und gar zu behaupten weiß.
Wer nun, in mangelnder Kenntnis der Qualitäten jenes Instrumentes, darüber die Nase rümpft oder es eben nicht für voll ansieht, den dürfte die am 15.1.2023 erschienene sieben CDs enthaltene Box der
Rondeau Produktion GmbH - jpc - Bestellnummer: 11132554 - link HIER!
rasch eines Besseren belehren. Was der Solist Simon Borutzki, ein Souverän dieser Flötenfamilie, mit technisch und interpretatorisch makelloser Könnerschaft vorträgt, wie er die Klangwelt des Komponisten Jacob van Eyck, verlebendigt, das ist beeindruckend und betörend zugleich. Dabei muss freilich betont werden, dass hier gleichermaßen ein geduldiges und sehr offenes Ohr nötig ist, um der Feinheiten, der Sensibilität aber auch bisweilen der Herbheit der Musik, also ihrer Vitalität rundum, gewahr zu werden.
Der Niederländer Jacob van Eyck (um1590-1657) ist in diesem dazumal geradezu musikträchtigen Raum ein Musiker gewesen, dessen Namen nicht weit herein in die musikalische Welt gedrungen ist. Riemanns Musiklexikon von 1972 weiß von ihm ebenso nichts wie HH. Eggebrechts profundes Werk: Musik im Abendland. Jener von Geburt an blinde Mann wirkte aktiv als Turmglocken- und Blockflötenspieler, zudem komponierte er, sammelte Volkslieder und Tänze, die er original oder in virtuoser Ausschmückung öffentlich vortrug und dann in dem umfangreichen Konvolut Der Fluyten Lust-hof publizieren ließ.
Begibt man sich in diesen Lusthof des Flötenspiels, kann sich der Besucher auf mannigfache Weise unterhalten und gegebenenfalls sogar begeistern lassen. Gleich am Eingang empfängt ihn ein knappes, temperamentvolles Preludium (1/1), und wenn er weiter lustwandelt, wird ihn eine Courante (1/12) vielleicht ein bisschen beschwingter machen. Hernach würde er die alte Geusenhymne Wilhelmus von Nassau – heute niederländische Nationalhymne (2/21+22) – womöglich außer ihren Paraphrasen mitsummen wollen, und bei weiterem Herumspazieren dürfte ihn einer Nachtigall (6/9) wahrlich eindringliches Getriller belustigen, bis ihn am Ende die Melodie des Psalms 137 (7/23) aus dem Genfer Psalter den nunmehr zufriedengestellten Gast aus dem heiteren wie besinnlichen Reich der Soloflötentöne hinausbegleitet.
Aus der vorliegenden Sammlung der 148 Stücke wurden einige hervorgehoben, die meisten anderen hätten es indessen nicht minder verdient. Wenn Simon Borutzki im Booklet schreibt, man solle die 7 CD nicht intellektuell, eher gemäß J.S. Bachs Hinweis zu den Goldbergvariationen, nämlich “zur Gemüths-Ergetzung verfertiget“, hören, so darf gleichwohl nicht unbeachtet bleiben, wie die etwas abseits des gängigen Repertoires beheimateten Stücke nicht einzig für ein empfängliches Gemüt verfertigt wurden, sie vielmehr auch eines achtsamen Sinns für Kunst und Phantasie dieses alten unauffälligen Niederländers bedürfen, der so meisterlich die vielfach schlichten Melodien zu setzen, sie variabel zu rhythmisieren und einfallsreich zu variieren verstand.
Kurzum, je öfter man sie sich dieser sehr intimen Musik verschreibt, desto mehr wächst das Vergnügen daran, und wer dieser Versicherung folgt, der wird immer am Ende, sofern er sich mitunter Pausen gegönnt hat, mit Gewinn für “Gemüth“ und Verstand durch den wirklich einzigartigen LUST-hof flaniert sein.