Darmstadt, Staatstheater, TANNHÄUSER und der Sängerkrieg, IOCO Kritik, 11.05.2017

Darmstadt, Staatstheater, TANNHÄUSER und der Sängerkrieg, IOCO Kritik, 11.05.2017
darmstadt_logo

Staatstheater Darmstadt

Staatstheater Darmstadt © IOCO
Staatstheater Darmstadt © IOCO

"Die vergebliche Suche nach Glück"

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg von Richard Wagner am Staatstheater Darmstadt

Von Ljerka Oreskovic Herrmann

Die große romantische Oper Tannhäuser von Richard Wagner, die in Darmstadt von dem iranischen Regisseur Amir Reza Koohestani in Szene gesetzt wurde, beginnt mit einem großen Liebesbett. Dieses steht alleine auf der Bühne – sonst nichts, denn es gibt in der Welt der Venus nichts anderes als die körperliche Liebe. Und folgerichtig wird sie nach genossenen Freuden Tannhäuser nicht mehr ausfüllen, er sehnt sich nach Elisabeth und der Wartburg zurück. Die Welt der Ritter – welch ein Kontrast zum Venusberg – vermag zunächst Frieden stiften. Elisabeth ist die Verheißung und Liebe, nach der sich Tannhäuser gesehnt hat, das Glück der beiden könnte Erfüllung finden, wäre da nicht der Sängerwettstreit – und Wagners „Schwirren und Säuseln der Lüfte“ und seine nach Erlösung strebende Musik, die erst am Ende die beiden „getrennten Elemente, Geist und Sinne, Gott und Natur, umschlingen sich zum heilig einenden Kusse der Liebe“ vereint.

Staatstheater Darmstadt / Tannhaeuser - Deniz Yilmaz und Chor © Wolfgang Runkel
Staatstheater Darmstadt / Tannhaeuser - Deniz Yilmaz und Chor © Wolfgang Runkel

Koohestani bleibt sehr nah bei Wagner und der französischen Fassung von 1861. Für ihn ist Tannhäuser – Deniz Yilmaz findet immer mehr zu seiner Rolle – ein Getriebener: Dort, wo er nicht ist, ist das Glück. Er steht zwischen beiden Frauen, nirgends daheim gerät er so, laut Koohestani in „einen Zirkel des Unglücks“ – den heutigen Flüchtlingen durchaus ähnlich, die auch kein Zuhause mehr haben und deshalb vergebens das Glück in der Fremde suchen werden. Allerdings erliegt er nicht der Versuchung, dies auch szenisch zu illustrieren. Einzig die Kopftuch tragenden Damen des Chores verweisen auf „den“ Orient, geschickt verbunden mit der Erinnerung an das europäische Mittelalter – der Zeit des Sängerwettstreits –, als die Frauen ebenfalls ihr Haupt bedecken sollten.

Der „fremde“ Blick auf die eigene Tradition und Mythen verdeutlicht, was Wagners Oper ausmacht: Der Konflikt zwischen „Geist und Sinne“ –, an dem sich der Komponist abarbeitete und doch nicht (musikalisch) vollständig lösen konnte. Die Musik zirkuliert wie ihr Held zwischen außen und innen, die brüskierten und entsetzten Ritter im zweiten Akt stehen einer wortlos-verzweifelten Elisabeth gegenüber; ihr Entsetzen über Tannhäusers Bekenntnis, im Venusberg gewesen zu sein, wiegt schwerer und ist folgenreicher. Tannhäuser erfährt, nach der letztlich erfolglosen Pilgerreise nach Rom im Schlussakt, Erlösung durch Elisabeths Tod, nun vermag er endgültig die aufkommende musikalische Erinnerung an den Venusberg zu verdrängen.

Staatstheater Darmstadt / Tannhaeuser - Deniz Yilmaz und Statisterie © Wolfgang Runkel
Staatstheater Darmstadt / Tannhaeuser - Deniz Yilmaz und Statisterie © Wolfgang Runkel

All dies hat der iranische Regisseur mit seiner Bühnenbildnerin Mitra Nadjmabadi konsequent umgesetzt: Dem überbordenden Liebesbett folgt auf der Wartburg eine Welt mit harten Regeln, die allerdings eher modern-ritualisiert einer Casting-Show ähnelt, nur die Kostüme der Ritter (dunkele Gehröcke) verweisen auf ihren Ursprung: das Mittelalter. Doch zuletzt ist diese Welt verlassen und verloren – heutzutage im Abend- wie Morgenland –, so dass nur noch der innere Rückzug für Elisabeth übrig bleibt. Die hehre und glitzernde Welt der Wartburg (übertragende Kameras inklusive) wird zu Gebetsstätte, in der am Ende der grandiose und überwältigende Chor (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint) Hoffnung bietet. Die musikalische Leitung unter Will Humburg verstärkt den musikalisch herausragenden Eindruck: Das Orchester spielt packend und präzise bis zum Schluss, vermag so die Spannung zu halten und auch die Inszenierung musikalisch zu behaupten.

Edith Hallers musikalische wie darstellerische Interpretation der Elisabeth ist überzeugend und bildet den gewünschten Kontrast zur sinnlichen Venus von Tuija Knihtilä. Hier das lose Kopftuch, den Körper durch ein seidiges Oberteil und Jeans nicht betonend, dort die vollkommene Verführung: rotes enganliegendes Kleid im Schlussakt (Kostüme: Gabriele Rupprecht). Doch die für tote Elisabeth von den trauernden und darum schwarz tragenden Choristinnen abgelegten Lilien – das christliche Symbol der Reinheit schlechthin – zeugen von ihrem Sieg.

Staatstheater Darmstadt / Tannhaeuser - Deniz Yilmaz und Statisterie © Wolfgang Runkel
Staatstheater Darmstadt / Tannhaeuser - Deniz Yilmaz und Statisterie © Wolfgang Runkel

Die Ritter, allen voran ein gut agierender David Pichelmaier (Wolfram von Eschenbach), der eine zaghafte Annäherung an Elisabeth sucht, sind in ihren körperlichen Entfaltungsmöglichkeiten bewusst reduziert: Die Welt des Rittertums verlangt Zurückhaltung. Martin Snell mit seinem eleganten Bass verleiht der Figur des Landgrafen Hermann nicht nur stimmlich eine würdevolle Haltung. Jun-Sang Han (Walther von der Vogelweide), Nicolas Legoux (Biterolf), Musa Nkuna (Heinrich, der Schreiber), Thomas Mehnert (Reinmar von Zweter) sowie Amelie Gorzellik (junger Hirte) runden zusammen mit Ingrid Katzengruber, Aviva Piniane, Katja Rollfink und Hildegard Schnitzer (vier Edelknaben) den musikalisch schönen Gesamteindruck ab.

Einhelliger Applaus für Chor, Orchester und Solisten. Mit Buhrufen und Applaus wurde dagegen das Produktionsteam empfangen. Wie schrieb Amir Reza Koohestani in seinem Beitrag für das Programmheft: „Wenn der Vorhang aufgeht und die verschleierten Frauen auf der Wartburg erscheinen, wird das wohl viele Fragen aufwerfen und wahrscheinlich das kontroverseste und fragwürdigste Bild sein.“ Er sollte Recht behalten – dabei hatte er Wagner, die von ihm verschränkten Mythen und einen gewissen religiösen Grundimpuls der sich dahinter offenbart, nur sehr genau gelesen.

TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG: Premiere  22.4.2017 Weitere Vostellungen 30.4.2017, 14.5.2017, 25.5.2017, 15.6.2017

---| IOCO Kritik Staatstheater Darmstadt |---

Read more

Ulrichshusen, Schloss, WINTERKONZERTE DER  FESTSPIELE MECKLENBURG-VORPOMMERN, IOCO

Ulrichshusen, Schloss, WINTERKONZERTE DER FESTSPIELE MECKLENBURG-VORPOMMERN, IOCO

Musizieren in seinen schönsten Erscheinungsformen 14.- 15.12.2024    Der „Festspielfrühling“ auf Rügen im März, der dreimonatige „Festspielsommer“ zwischen Juni und September landesweit und nun, im Dezember, ein „Festspielwinter“, der am zweiten und – hier in Rede stehend – am dritten Adventswochenende in Ulrichshusen das wieder beeindruckend erlebnisreiche Jahresprogramm der Festspiele

By Ekkehard Ochs