Darmstadt, Staatstheater Darmstadt, Faust - Ein Mann ohne Eigenschaften, IOCO Kritik, 06.02.2017
"EIN MANN OHNE EIGENSCHAFTEN"
Charles Gounods Faust am Staatstheater Darmstadt
Von Ljerka Oreskovic Herrmann
In Darmstadt hatte Gounods Faust 1861 seine deutsche Erstaufführung erlebt und dort ist heute wieder eine Fassung von Margarethe – wie das Stück ins Deutsche rückübersetzt hieß – wieder mit dem authentischen Titel zu erleben. Es beginnt mit einer von drei Seiten mit Wänden versehenen Bühne, auf der in der Mitte ein Kasten mit einer Klappe thront. Dieser ist, wenn sie fällt, als das klaustrophobische Studierzimmer – allerdings ohne zu studierende Bücher – zu erkennen. In ihm, wie auch in seinem alten Körper, ist Faust gefangen, den nun der smarte (helle Smokingjacke, Lackschuhe und Sonnenbrille) Méphistophélès befreit und ein neues Leben verspricht.
Méphistophélès – darstellerisch und musikalisch überzeugend Adam Palka – ist jedoch weniger ein diabolischer Charakter als ein Magier und Strippenzieher, der wie ein Zocker Freude daran hat, den stark verjüngten, fast schon spätpubertierenden Faust mit den Verlockungen des Lebens zu verführen. Doch hier genau liegt das Problem. Es ist zwar verständlich, dass ein alter Faust – von Andreas Wagner als ein in jeder Hinsicht gefangener Mann dargestellt – ausbrechen möchte, weil das Leben an ihm vorbei gegangen ist. Aber der junge Faust – Philippe Do hat einen in der Höhe schön geführten Tenor – ist seltsamerweise blass und konturenlos. Singt der alte Faust noch, dass er den alles entscheidenden Schatz im Leben haben möchte („.. je veux un trésor / Qui les contient tous! ... je veux la jeunesse!“ ), so weiß der junge Faust mit der „jeunesse“, der Jugend, nichts anzufangen. Nur der alte Faust scheint in der Walpurgisnacht, die hier im Bordell spielt und ihn kurz auftauchen lässt, Gefallen zu finden; der junge wendet sich angewidert ab.
Er verliebt sich in Marguerite (Katharina Persicke), die rein und unschuldig in ihrem Puppenhaus (innen sind Kinderzeichnungen an den Wänden und ein Teddybär zu sehen) behütet sein sollte, verhält sich aber wie ein Nerd, der weder seine Gefühle vortragen noch verführen kann. Er hängt an Méphistophélès Leine, ohne erkennbaren Lustgewinn. Marguerite dagegen freut sich über Liebesbeweise und nicht nur weil sie von Méphistophélès mit dem Gold gekauft und geblendet wird – sowohl musikalisch als auch von der Regie wird dies beim „Rondo vom Goldenen Kalb“ hervorragend bezeugt. Sie hat bis zum bitteren doch erlösendem Ende eine Haltung, Faust nicht. Vielleicht ist es dass, was uns Karsten Wiegand auf den Nachhauseweg mitgeben wollte: Es kommt auf die Haltung an – eine zeit- und epochengültige Maxime. So gesehen hat dann dieser zurückhaltende junge Faust seine Aufgabe bestens erfüllt. An dieser haltlosen Seele scheint sich selbst Méphistophélès verzockt zu haben.
Der Abend zerfällt in zwei Teile, der erste mit der Wandlung des alten in den jungen Faust bis hin zur Verführung Marguerites; der zweite, der sich ihrem gesellschaftlichen Absturz widmet. Katharina Persicke ist die kindlich-naive lebensfrohe Marguerite und ihr schlanker Sopran rundet das Gesamtbild ab. Ingrid Katzengrubers Marthe Schwerdtlein, die andere weibliche Figur und Kontrast dazu, ist als eine Marilyn-Monroe-Version zu erleben – vielleicht doch zu jung für diese durchtriebene Person mit der selbst Méphistophélès seine liebe Not hat. Jana Baumeister als Siébel ist ein großer Junge, der seine Liebe zu Marguerite noch nicht richtig artikulieren kann, aber echte Gefühle hegt. Valentin, Oleksandr Prytolyuk, ist Valentin, der vom Krieg gezeichnete Bruder Marguerites.
Michael Nündel, 1. Kapellmeister in Darmstadt, begleitet die Sänger und Sängerinnen sicher durch den Abend. Er neigt eher der romantischen Interpretation als scharfen Kontrasten zu, was wiederum die Regie z.B. bei der Chorszene mit den siegreich heimgekehrten Soldaten und Marguerites Bruder Vincent konterkariert: Die Musik schwelgt in der „gloire immortelle“ während die Soldaten äußerlich unversehrt durch die verschiedenen Zuckungen die Traumata der Psyche freilegen. Auch das Schlussbild, wenn die drei Wände zur Hälfte hochgefahren sind, bietet durchaus eine beeindruckende Szenerie: der Chor als Trauerfeier-Gesellschaft, die bald zum „buisness as usual“ übergehen wird.
Für das klar strukturierte Bühnenbild zeichnet Bärbl Hohmann verantwortlich, die Kostüme stammen von Ilse Welter-Fuchs, die Heutiges und Zeitloses wie stets gekonnt miteinander verbindet. Die Leitung des bestens spielenden und singenden Chores hat Thomas Eitler-de Lint und auch die Choreographie von Otto Pichler sowie die szenische Einstudierung von Geertje Boeden sollten nicht unerwähnt bleiben.
Am Ende gab es neben dem starken Applaus für das Sängerensemble, Chor und Orchester aber auch Buhs für das Regieteam. Vielleicht richteten sich diese weniger gegen die Inszenierung selbst, als gegen die Tatsache, dass es sich um keine genuin Darmstädter Neuproduktion handelt. Es ist eine starke Überarbeitung einer bereits 2009 in der Staatsoper Unter den Linden und dann 2011 am Nationaltheater Weimar bzw. ab 2014 im Schillertheater Berlin aufgeführten Inszenierung des heutigen Darmstädter Intendanten. Nichtsdestotrotz ein interessanter Abend. Von Ljerka Oreskovic Herrmann
Faust von Charles Gounod, weitere Vorstellungen am Staatstheater Darmstadt: 18.2.2017, 10.3.2017, 14.4.2017, 4.5.2017, 12.5.2017, 19.5.2017, 6.6.2017, 24.6.2017
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