Darmstadt, Staatstheater Darmstadt, DON GIOVANNI - Wolfgang A. Mozart, IOCO Kritik, 13.02.2023
DON GIOVANNI - Wolfgang Amadeus Mozart - Lorenzo da Ponte
- Packend moderne Interpretation - mit spielfreudigem Darmstädter Ensemble -
von Ljerka Oreskovic Herrmann
Leporello vorne über dem Orchestergraben stehend, hinten auf der Bühne ein zerknautschtes Bett – Ton und Inhalt sind bereits in der Ouverture gesetzt, mehr braucht es tatsächlich nicht, wenn es um Don Giovanni geht. Von Gabriel Tellez, dem spanischen unter dem Pseudonym Tirso de Molina schreibenden Autor und Priester, erdichtet, über Molière oder auch Goldoni landete der Stoff schließlich bei Lorenzo da Ponte, der daraus den unauslöschlichen Opernhelden Don Giovanni schuf. Aber ohne Musik wäre er nie so wirkmächtig geworden, es ist die Komposition von Wolfgang Amadeus Mozart, die aus ihm den ewigen Verführer macht, selbst dann noch, wenn alle gegen ihn sind und er das Spiel vollends überreizt haben wird.
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Karsten Wiegand, regieführender Intendant des Staatstheater Darmstadt – er verantwortete zudem das Bühnenbild wie die Videoeinspielungen, für die ansprechenden Kostüm sorgte Judith Adam –, gelingt insbesondere in den intimen und solistischen Auftritten eine packende Interpretation des Stoffes, nicht zuletzt auch Dank eines spielfreudigen Ensembles. So ist Don Ottavio nicht der blasse, schwächliche Verehrer Donna Annas, sondern ein Mann, der sich seinen eigenen Begrenzungen bewusst wird und daran leidet. David Lee verleiht ihm eine beeindruckende stimmliche und darstellerische Kontur, rückt ihn damit ins Zentrum des Geschehens und erntet dafür den gebührenden Applaus. Das gilt auch für die anderen Mitwirkenden.
Donna Elvira von Solgerd Islav, als gepeinigte Geliebte, die unverdrossen und trotz aller Demütigungen von Giovanni hofft, und dabei nie ins Lächerliche abgleitet, ihn für immer zurückzugewinnen; Masetto von Eric Ander, der seine Wut – es ist noch die vorrevolutionäre Zeit, die später in der Gestalt des Figaro nicht mehr zu bändigen sein wird – unter Kontrolle halten muss, der Figur erfreulicherweise das übliche Tölpelhafte nimmt und ihm eine innere Größe zugesteht. Juliana Zara als Zerlina ist quirlig und ihrer eigenen Attraktivität gegenwärtig, kein naives Bauernmädchen, sie wird aber um die Gunst ihres Masetto kämpfen müssen, den Restzweifel, der sich bei ihm bezüglich ihrer Treue festgesetzt hat, vermag sie nicht ganz zu beseitigen; nur zögerlich eilt sie ihrem von Giovanni gedemütigten Bräutigam (im 2. Akt) zu Hilfe, so dass unverhohlen die Frage auftaucht, ob sie als Paar glücklich werden. Der Komtur, Zelotes Edmund Toliver, ist eine imposante Erscheinung, die ihre Wirkung auch stimmlich nicht verfehlt.
Für eine Überraschung sorgte Heather Engebretson, die offenbar so kurzfristig für die erkrankte Megan Marie Hart als Donna Anna einspringen musste, dass ihr Name nicht auf dem Programmzettel zu lesen war. Ihre Leistung ist somit, sich in der Kürze der Zeit in eine bestehende Inszenierung einzufinden, gar nicht genug hochzuschätzen – die Zerrissenheit dieser Figur gelingt ihr sehr anschaulich; eine Donna Anna, die zwar intensiv die Stimme ausreizend die Bestrafung des Mörders ihres Vaters ständig fordert und sich dennoch Don Giovannis verlockendem Wesen nicht entziehen kann. Dem Rhein-Main-Publikum dürfte sie seit ihrem erfolgreichen Debut 2022 an der Oper Frankfurt als Cio-Cio-San in Madama Butterfly bekannt geworden sein.
Auch Johannes Zahn, seit der Spielzeit 2021/22 am Staatstheater Darmstadt als 1. Kapellmeister verpflichtet, ist in der Region kein Unbekannter. Beim 9. Internationalen Sir Georg Solti Wettbewerb 2020 in Frankfurt gewann er den 2. Preis und zusätzlich den Publikumspreis. Zahn tritt in gewisser Weise in die musikalische Nachfolge eines Mannes, dessen Name ebenfalls mit Georg Solti verbunden war: Hans Drewanz war Soltis Assistent und später von 1963 bis 1994 GMD in Darmstadt. Das Dirigat Zahns, die Premiere leitete der seit 2018 engagierte GMD Daniel Cohn, zeichnet sich durch eine dynamische Balance aus, den Spannungsbogen gekonnt wahrend mit einem glänzend aufgelegten Orchester, dabei das Spielgeschehen vorantreibend, ohne jedoch forcierend zu sein. Für den gut einstudierten Chor zeichnete Ines Kaun verantwortlich, die Rezitative begleitete am Hammerklavier Giacomo Marignani.
Und Giovanni, die Titelfigur? Immer wieder wird der Diener mit seinem Herrn aus dem Zuschauerraum zur Bühne schreiten. Giovanni sogar – ganz offensichtlich mit Freude – dem Schauspiel, das er angerichtet hat, zuschauen. Schön ist auch die gemeinsame Szene mit der Mandolinistin Denise Wambsganß: beide sitzen auf der linken Seite über dem Orchestergraben – dem Titelhelden eine kurze Atempause verschaffend. Zu Giovannis Verführungskunst kommt bei der Canzonetta „Deh vieni alla finestra, o mio tesoro“ eine leichte Schärfe hinzu, der zärtliche Mandolinenton wird von ihm Lügen gestraft, die Aufforderung ans Fenster zu kommen, gleicht eher einem Befehl. Er kann auch anders, der Mann, der wie ein „kleines Kind“ (so Wiegand) aus dem Augenblick heraus agiert, um dann doch wieder ganz Kavalier, die Mandolinistin auf der linken Seitenbühne mit einem Handkuss zu verabschieden. Julian Orlishausens gelungene Interpretation weiß um die Ambivalenz seiner Figur, dass von ihr auch die Faszination und das Reizvolle dieses Mannes ausgeht, der anzieht oder auch abstößt, aber eben nie Gleichgültigkeit erzeugt. Johannes Seokhoon Moon, als Giovannis Gegenüber ebenbürtig, ein stimmlich und darstellerisch präsenter Diener Leporello, lässt sich nicht so leicht abfertigen, auch wenn ihn die mangelnden Empathie seines Herrn nicht nur ihm gegenüber irritiert.
Das Festessen im zweiten und finalen Akt findet an einem großen, sich unablässig drehenden Tisch, statt, an dem zwölf regungslose Männer Platz genommen haben; elf davon mit nackten Oberkörper, jeweils mit einem eingezeichneten Kreuz auf dem Rücken. Ein Stuhl ist leer, auf dem anderen sitzt in der Mitte der Komtur, dessen übergroßer Kopf zuvor – das nahende Ende ankündigend – von der Videoleinwand auf die Bühne blickte. Es sollte ein letztes Abendmahl sein, zumindest für Don Giovanni, doch dieser ist nicht Judas und auch kein Erlöser, höchstens einer, der die anderen von seiner Existenz befreit – wenngleich bis zum Schluss uneinsichtig ob seines Lebenswandels und schon gar nicht freiwillig.
Mit dem Tod Giovannis, gleichsam einem Mysterienspiel inszeniert, endet allerdings die Oper, was in der Lesart der Regie richtig wirkt. Doch Mozart und sein Librettist da Ponte wussten, dass das Verführungsspiel immer wieder von neuem beginnen wird, der Charmeur, Genussmensch und insbesondere Künstler der Verlockung ewiglich ist und jede Epoche ihren eigenen, mit mehr oder weniger Charme ausgestatteten, Don Juan beziehungsweise Don Giovanni hervorbringt; heutzutage verzichtet er allerdings auf die Dienste von Leporello und die analoge Kunst der Verführung, verlässt sich stattdessen auf diverse Dating Plattformen und wird so auf einen Trophäenjäger reduziert. „Viva la libertà“ singt Giovanni kurz zuvor, die Musik Mozarts preist die Lebensfreuden und Freiheiten triumphierend an, die in Le nozze di Figaro eine umso bedeutsamere Rolle spielen werden. Den Geschädigten und Leidtragenden, den Opfern Giovannis, das Sextett aus drei Frauen und drei Männern, die im zweiten Finale das Schlusswort behalten und Hoffnung auf eine bessere – vielleicht aber langweiligere - Zukunft verbreiten, bleibt es diesmal vergönnt von ihr zu künden.
Mit einem begeisterten Applaus für alle Mitwirkenden, dazu gehören auch Tänzer und Tänzerinnen des „Dance macabre“ (dem Tanzprojekt Entre deux entnommen), Kapellmeister Johannes Zahn, Orchester sowie Chor endet der Opernabend am Staatstheater Darmstadt.