Darmstadt, Darmstadtium, GUDRUN – Carl Amand Mangold, IOCO

1850 konzertant und 1851 szenisch in der Geburtsstadt des Komponisten aufgeführt, wurde das Werk am 6. Oktober 2024 halbszenisch unter Verwendung des originalen Notenmaterials der Uraufführung aus dem Dornröschenschlaf erweckt.

Darmstadt, Darmstadtium, GUDRUN – Carl Amand Mangold, IOCO
Darmstadtium-Aussenansicht © Lothar Keuch

von Michael Adler

 175 Jahre nach der Uraufführung erklang im Darmstadtium Carl Amand Mangolds Oper Gudrun unter der bravourösen Leitung des gebürtigen Heidelbergers und Bernstein-Mitarbeiters Wolfgang Seeliger mit dem von ihm 1977 gegründeten Konzertchor Darmstadt und der Darmstädter Hofkapelle, zu der schon vor der Komposition der Oper Mitglieder der Familie Mangold und der Tondichter selbst gehörten. 1850 konzertant und 1851 szenisch in der Geburtsstadt des Komponisten aufgeführt, wurde das Werk am 6. Oktober 2024 halbszenisch unter Verwendung des originalen Notenmaterials der Uraufführung aus seinem Dornröschenschlaf erweckt. Mangolds Ansinnen war es, für Deutschland identitätsstiftende Werke zu schaffen, wie dies schon 1821 Weber mit dessen Freischütz gelungen war, um damit die Dominanz der italienischen Opern auf den Spielplänen zu untergraben. So schrieb er bereits 1846 einen Tanhäuser (sic!), dem die Gudrun – diesmal mit selbst verfasstem Text – folgte. Er bediente sich dafür des Heldenbuches von Karl Simrock, der sich damit als Übersetzer mittelhochdeutscher Gedichte und nordischer Epen einen Namen gemacht hatte. Im ersten der sechs Bände fand Mangold die Gudrunsage, die nach dem Nibelungenlied, das im zweiten Band zu finden war, das bedeutendste deutsche Epos ist. Der Darmstädter schuf – in der Tradition von Meyerbeer und im Gegensatz zu dem im gleichen Jahr wie Mangold geborenen Zeitgenossen Wagner – eine Nummernoper mit Rezitativen, Arien und großen Finali am Ende eines jeden der vier Akte. Große Bedeutung schenkte er den Chören, die als Gudruns Vertraute, Gefolgsleute an den beiden Höfen und Kriegern und auch in den Solonummern auftreten.

Dem Konzertchor Darmstadt ist es zu danken, dass diese fast volkstümlichen Chöre in höchster Qualität bei der Erstaufführung am 6. Oktober 2024 erklingen. Je nachdem zu welcher Gruppe sie gehören, tragen sie in Ermangelung der Möglichkeit, Kostüme bei einer konzertanten Aufführung zum Einsatz zu bringen, nach der Idee des für die szenische Einrichtung der halbszenischen Aufführung Verantwortlichen Thomas Kiemle verschiedenfarbige Bänder, was deren Zuordnung zum jeweiligen Protagonisten erleichtert. Die Chöre werden ebenso wie die Solisten gekonnt von der wunderbaren Darmstädter Hofkapelle begleitet, die jedes musikalische Detail perfekt auslotet. Was zur Verbesserung des Verständnisses des Werkes beiträgt, das musikalische Erlebnis aber stellenweise schmälert, sind die Regieanweisungen, die Sprecher Frederic Böhle ausgezeichnet vorträgt. Im Zentrum stehen die beiden Protagonisten Gudrun (die lettische Sopranistin Margarita Vilsone) und Raimund (der österreichische Heldenbariton Thomas Weinhappel, der kurzfristig eingesprungen ist, um die Aufführung zu retten): Die entführte angelsächsische, den Friesenherzog Alfred (André Khamasmie) Liebende und der von ihr verschmähte, normannische König Raimund, der sie entführt, ihren Vater Baldur (den deutschen Bariton Sebastian Noack) tötet und schließlich selbst von Alfred getötet wird. Die angelsächsischen Vasallen König Baldurs, Ritter Horand (der deutsche lyrische Bariton Richard Logiewa Stojanovic), Graf Siegfried (der deutsche Tenor Richard Resch), Graf Wate (der deutsche Bass Thomas Huy) und Baldurs Sohn Ortwin (die Sopranistin Lea Ostgathe) feiern stimmkräftig mit Gudruns Freundin Hilda (der isländischen Sopranistin Bryndis Guodjonsdottir) und dem Chor das Happyend für Gudrun und Alfred im Schlussgesang genannten Ende der Oper (Über die Berge, über die Wellen). Gudruns Arie im 4.Akt (Entschwunden sind drückende Sorgen) und ihr Gebet (Preghiera: Zum Himmel streck ich meine Hände) lassen Gudruns Verwandtschaft zur Agathe von Weber vermuten. Margarita Vilsone, die bereits 2023 als berührende Chrysothemis in Würzburg überzeugte, gelang mit ihrem ausgesprochen höhensicheren Sopran eine beeindruckende Gestaltung der Titelheldin, die auch das Piano brillant beherrscht und ihre Stimme erstaunlich souverän führt, was sie besonders in ihrer Arie im 2.Akt (Verwaist steh‘ ich allein) beweist.

v.l.n.r.: Sebastian Noack (Baldur), Thomas Weinhappel (Raimund), Wolfgang Seelinger (Dirigent), Margarita Vilsone (Gudrun), Lea Ostgathe (Ortwin), André Khamasmie (Alfred), Thomas Huy (Graf Wate), Bryndis Guodjonsdottir (Hilda), Frederic Böhle (Sprecher), Thomas Kiemle (Szenische Einrichtung) © Wolfgang Seeliger

Man versteht die Hingezogenheit des deutschen Tenors André Khamasmie, der sie als Herzog Alfred mit allen einem Tenor zu Gebote stehenden Mitteln unglaublich klangschön und absolut strahlkräftig befreien will (1. Akt Arie: Die rasche Tat ziemt Helden nun). Gegen die Liebe der beiden kann – trotz aller außergewöhnlicher Qualitäten – Thomas Weinhappel nichts ausrichten. Er setzt die Regieanweisung „halbszenisch“ optimal um, denn er versteht es, sowohl seine exzellente Wagner-Stimme als auch Mimik und Gestik mal als charmanter, mal als aggressiver normannischer Entführer Raimund hervorragend einzusetzen (2.Akt Duett mit Gudrun: Verschmähst du sanfte Ketten; Arie: Mein Hass folg‘ der Betörten). Er verkörpert den Bösewicht vollkommen, auch ohne Kostüm und Maske! Summa summarum bot der Abend Glanzleistungen in vielerlei Hinsicht und man durfte sich glücklich schätzen, diese wertvolle musikalische Rarität erleben zu dürfen. Die mehr als angebrachte Gratulation an alle Mitwirkenden möge zu einer ebenso ausgezeichneten Wiederholung anregen!

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