Cottbus, Staatstheater, TOSCA - Giacomo Puccini, IOCO

TOSCA in Cottbus: Premiere am 13.4.2024: Das Bühnenbild besteht im Wesentlichen aus einigen hohen, sternförmig von der Bühnenmitte abzweigenden Ziegelmauern, einem großen Esstisch und schafft eine eher traditionell zu empfindende Atmosphäre, kann Kirche, Palazzo und Engelsburg ......

Cottbus, Staatstheater, TOSCA - Giacomo Puccini, IOCO
Staatstheater Cottbus © Marlies Kross

 von Thomas Kunzmann

Es ist nicht der erste Ausflug des Schauspielregisseurs Armin Petras in musikalische Gefilde, aber möglicherweise seine bisher größte Herausforderung. Im Vorfeld witzelte er wohl, für seine „Operninszenierungen hätte er noch nie ein ‚Buh‘ geerntet, für seine Schauspiele schon“. Nun sind nur wenige Opern so konzentriert auf den Punkt komponiert, hat jeder Auftritt, jeder Seeleneinblick, jede Bewegung so eine detailverliebte musikalische Umsetzung, dass es wenig Spielraum für alternative Interpretationen gibt. Gelingt es trotzdem in Cottbus, die „No-Buh-Serie“ fortzusetzen?

Die Verortung der Handlung in die 90er Jahre, irgendwo im Osteuropäischen, vielleicht Jugoslawien-Krieg, findet sich mit einer kurzen Notiz am Ende des Programmheftes. Inhaltlich stört es nicht, bringt aber auch keine neuen Sichtweisen und zeigt lediglich, dass auch nach 200 Jahren in einem Machtvakuum lokale Autokraten in grenzenloser Selbstüberschätzung zu sadistischen Despoten mutieren können, sich dabei mit Kriegsbeute und Kunst präsentieren, aber auch jederzeit bereit sind, diese zu zerstören. Die Kunst - sei es Malerei oder Gesang - von sich glaubend, jenseits der Politik zu stehen, wird unvermittelt zu deren Spielball. 

TOSCA hier Szenenfoto mit Alexey Sayapin (Mario Cavaradossi) und Elena O'Connor (Floria Tosca) © Bernd Schönberger

Premiere am 13.4.2024: Das Bühnenbild besteht im Wesentlichen aus einigen hohen, sternförmig von der Bühnenmitte abzweigenden Ziegelmauern, einem großen Esstisch, einem riesigen Kronleuchter und einem Glitzervorhang im Hintergrund und schafft eine eher traditionell zu empfindende Atmosphäre, kann Kirche, Palazzo und Engelsburg ebenso sein wie notdürftig gemütlich gemachter Bunker, wohltuend traditionell, ohne altbacken oder gar kitschig zu wirken. Die Ausstattung von Jan Pappelbaum ist dem Vernehmen nach geschicktes Recycling von Requisiten verschiedener Theater von Berlin bis Weimar und bettet die Figuren historisch ein, ist ebenso modern interpretierbar und wirkt entsprechend zeitlos. Lediglich die Kostüme von Cinzia Fossati lassen recht eindeutig auf ein Spiel in der Moderne schließen: Toscas elegante Designer-Kleider und -Kostüme, Scarpias karminroter, völlig aus der Mode gekommener Zweireiher, an die Agenten in Matrix erinnernde Anzüge und Brillen bei Spoletta und Sciarone und die Trainingsanzüge weiterer Schergen im 3. Akt oder Cavaradossis Hawaiihemd.

Zur Regie von Armin Petras: Anders als im Sprechtheater sind Spannung erzeugende Pausen und Straffungen nicht beliebig dehnbar, sondern unterliegen der strengen Vorgabe der Partitur. Petras schafft sich etwas Spielraum durch das Einfügen einer stummen Rolle mit einer Assistentin Cavaradossis, die zum Beispiel die von der eifersüchtigen Tosca kurzerhand selbst auf schwarz umgemalten Augen der Maria Magdalena wieder abwischt, was der Szene auch im Spiel der beiden eine gewisse Komik verleiht. Ebenso der Mesner, der sich den Wein einverleibt, der Künstler, der das Weihwasser zur Erfrischung nutzt – nette kleine Ideen, die für Kurzweil sorgen. Cavaradossi ist mit einer ordentlichen Portion Machismus angelegt. Tosca hingegen eher ätherisch weltfremd. Fast scheint es, als verstünde sie den Rummel um die eigene Person nicht, ihre sonst übliche Koketterie weicht einer sich ständig repetierenden Selbstversicherung Cavaradossis, dessen Stärke ihre Stütze ist. Das funktioniert im ersten Aufzug wunderbar, auch wenn unverständlich bleibt, was die beiden innerlich zusammenhält. Wirklich beeindruckend ist Scarpias Auftritt zum Ende des ersten Aktes. Während im Hintergrund die Kanonen donnern (irre guter Sound!), die Wände dabei zittern und alle Anwesenden, einschließlich Publikum, die Köpfe mit jedem Bombeneinschlag einziehen, steht er, vom Kriegslärm völlig unbeeindruckt, seine Intrige spinnend und „Va, Tosca“ proklamierend an der Bühnenseite. Eine starke Stelle, die ein begeistertes Publikum in die Pause entlässt.

TOSCA - Szenenfoto mit (v.l.n.r.): John Ji (Sciarrone), Andreas Jäpel (Baron Scarpia) und Jens Klaus Wilde (Spoletta) Foto: © Bernd Schönberger

Auch der zweite Akt ist herkömmlich inszeniert. Die Folterszene wird unter die Bühne verlegt, grausig realistisch klingt das Brechen der Knochen und wenn Cavaradossi wieder erscheint, ist seine malträtierte Hand nur notdürftig verbunden. Scarpia macht es zu einem Spiel, sich immer neue, noch perfidere Quälereien auszudenken. Tosca erhält den Passierschein für sich und den Maler und nutzt, wie bekannt, die Gelegenheit und ein Messer vom Esstisch, Scarpia zu erstechen. Den Stift, den Scarpia zum Unterzeichnen des Dokuments verwendete, rammt sie ihm zusätzlich ins Auge – hier entlädt sich die gesamte Angst und Wut. Bis dahin: spannend, zügig erzählt, meist glaubhaft gespielt.

Für den dritten Akt hat sich Petras eine Traumszene vorgestellt: alles, was man sieht und hört, spielt sich lediglich in Toscas Kopf ab. Keine schlechte Idee, denn nach dem Blutbad könnte durchaus ein Trauma einsetzen. Immerhin hat sie eben den mächtigsten Mann gemeuchelt, der Geliebte wird zur Erschießung geführt, die Flucht ist noch nicht gelungen. Eine unglaubliche Stress-Situation. Leider sieht man davon nicht viel, obwohl mit entsprechendem Licht, veränderten Bewegungsabläufen oder ähnlichem leicht eine passend surreale Atmosphäre hätte geschaffen werden können. Ebenso wenig ändert sich das Bühnenbild maßgeblich. Tosca entschwindet, nachdem Cavaradossi tatsächlich erschossen wird und die Leiche Scarpias entdeckt ist, von den gelangweilt Zigaretten rauchenden Komplizen des Barons Spoletta und Sciarrone kaum beachtet, mit ihrem Reiseköfferchen in eine Rettungsweste gehüllt im Hintergrund zu der tobenden Musik, die normalerweise den martialischen Freitod klanggewaltig begleitet.

Hier verpufft eine gute Idee mangels erkennbarer Umsetzung. Das Publikum misst dem jedoch kaum Bedeutung bei und es tut dem Gesamteindruck offensichtlich keinen Abbruch. Die Premierenbesucher danach befragt, kommen Antworten wie „Großartig!“, „Fantastisch!“ und „Das war toll!“, bei der Frage nach dem 3. Akt jedoch eher Schulterzucken.

Musikalisch hingegen bleiben kaum Wünsche offen. Mit GMD Alexander Merzyn lotet das Orchester die gesamte Bandbreite der Gefühle vom leisesten Pianissimo bis zum gewaltigen Forte aus. Neben der Dramatik kommen auch Witz und Poesie nicht zu kurz. Nur einmal entgleitet ihm der ansonsten diszipliniert, aber nie gefühllos aufspielende Klangkörper. Chor und Kinderchor agieren und intonieren fabelhaft.

Jens Klaus Wilde mit ungewohnt fester Stimme als Spoletta kaum wiederzuerkennen, kommt komplett ohne Manierismen aus. Spielfreudig und ausdrucksstark auch John Ji als Sciarrone. Rahel Brede mit dem kurzen, aber äußerst prägnanten Auftritt als Hirtenjunge setzt einen angenehmen Kontrapunkt in dieser maskulin dominierten Oper.

Elena O’Connors höhensicherer Sopran klingt als Tosca im ersten Akt noch etwas verhalten und droht schon ab der Mittellage in der Musik zu versinken. Sie öffnet aber nach der Pause das gesamte Spektrum ihres Stimmumfangs und verleiht dieser Tosca zwar eine ungewohnte, aber in sich schlüssige Farbe mit einer spannenden Mischung aus aparter Anmut und kühler Distanz auf der einen und sphärischer Fragilität auf der anderen Seite. Ihr bezauberndes Lächeln ist immer eines der Dankbarkeit, nie die professionelle Zurschaustellung einer Divenrolle.

Ein tolles Portrait des vor Selbstbewusstsein strotzenden Cavaradossi liefert Alexey Sayapin ab. Die vielfältigen Stimmungen, mal liebevoll scherzend, mal höhnend, über stählern standhaft bis brutal gequält weiß er punktgenau mit seinem manchmal allzu durchdringenden Tenor umzusetzen. Mit Leichtigkeit erklimmt er jede Höhe und kann in allen Lagen immer noch problemlos farbig gestalten.

Baron Scarpia! Eine, vielleicht DIE Traumrolle für Bariton. Abgrundtief böse! Gerissen! Schmierig! Und am Ende mit seinen Intrigen sogar über den eigenen Tod hinaus erfolgreich. Schon vor acht Jahren verkörperte Andreas Jäpel in der damaligen Schüler-Inszenierung diesen Fiesling.

TOSCA -Szenenfoto mit Andreas Jäpel (Baron Scarpia) und Elena O'Connor (Floria Tosca) Foto: © Bernd Schönberger

Vom bedrohlichen Auftritt in der Kirche über die durch die Zähne gepressten Pläne zur Vernichtung seiner Feinde oder die schulterzuckende Selbstverständlichkeit der Anordnung fortzusetzender Folter, bis hin zu der widerlichen Annäherung an das Objekt seiner Begierde – es ist faszinierend, wie vielschichtig er diesen hassenswerten Typus darzustellen in der Lage ist, in jeder Szene mit passender stimmlicher Modulation von elegant bis herrschsüchtig, von ungeschickt einschmeichelnd bis einschneidend – all das findet sich im Spiel und in seinem unangestrengten Vortrag.

Alexander Trauth als Cesare Angelotti, Ulrich Schneider (Mesner) und Seungho Shin als Gefängniswärter fügen sich nahtlos ein und man kann freudig von einer rundum mehr als nur zufriedenstellenden Premiere berichten.

Trotz des schwer nachvollziehbaren 3. Aktes gab keine Buh-Rufe in Cottbus, ganz im Gegenteil: der Abend wurde lautstark und lange mit vielen Bravi gefeiert. Und dafür gab es auch wirklich gute Gründe.

Leitung - Besetzung

Musikalische Leitung - GMD Alexander Merzyn

Regie - Armin Petras

Bühne - Jan Pappelbaum

Kostüme - Cinzia Fossati

 

Floria Tosca - Elena O'Connor

Mario Cavaradossi - Alexey Sayapin

Baron Scarpia - Andreas Jäpel 

Cesare Angelotti - Alexander Trauth

Mesner - Ulrich Schneider

Spoletta - Jens Klaus Wilde

Sciarrone - John Ji

Gefängniswärter - Seungho Shin

Hirtenjunge - Rahel Brede

Eine stumme Rolle

Nathalie Schörken

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