Cottbus, Staatstheater, DIE LIEBE ZU DREI ORANGEN - S. Prokofjew, IOCO Kritik
Die Liebe zu drei Orangen: Am Theater des Hofes gerät man in einen Streit darum, welches Genre das Bedeutendste wäre. Man kündet versöhnend ein Spiel an, das alle zufrieden stellen soll: „Die Liebe zu drei Orangen“, und das geht so: Der Thronfolger ist krank ......
Oper in vier Akten und einem Prolog nach Carlo Gozzi von Sergej S. Prokofjew, Libretto von Sergej S. Prokofjew nach Wsewolod Meyerhold und Wladimir N. Solowjow, Deutsche Fassung von Werner Hintze
von Thomas Kunzmann
Tomo Sugao gab mit 19 Jahren sein Regiedebüt mit der Zauberflöte, arbeitete als Regieassistent und Spielleiter am New National Theatre Tokyo, dann 2008 bis 2012 in dieser Funktion an der Komischen Oper Berlin, inszenierte unter anderem in Zürich, bei den Salzburger Festspielen, in Saarbrücken, Würzburg, Bielefeld und an der Prager Staatsoper und ist seit Dezember 2022 als Hausregisseur und Stellvertretender Operndirektor in Cottbus tätig. Sein ambitioniertes Debüt mit Król Roger ließ den durchschlagenden Erfolg ähnlich vermissen wie seine Interpretation der Zauberflöte – nun wagt er sich wieder an ein eher selten gespieltes Werk, Die Liebe zu drei Orangen, mit Erfolg?
Am Theater des Hofes gerät man in einen Streit darum, welches Genre das Bedeutendste wäre: Tragödie, Komödie, lyrische Dramen oder Possen. Man kündet versöhnend ein Spiel an, das alle zufrieden stellen soll: „Die Liebe zu drei Orangen“, und das geht so:
Der Thronfolger ist krank, der alte König müde und im Staat intrigiert man um dessen Nachfolge. Der Tod des Prinzen würde die Nichte favorisieren. Dafür wäre sie bereit, „Kugeln oder Rattengift“ einsetzen zu lassen. Das will sie natürlich nicht selbst tun, sondern instrumentalisiert den Minister, dem sie im Falle des Erfolgs die Ehe verspricht. Dem fehlt jedoch der Mumm. Und wo die Entschluss-freudigkeit fehlt, da können sich die höheren Mächte austoben. Der wohlwollende, aber sich völlig überschätzende Zauberer Celio steht als Kämpfer für den Prinzen bereit und die garstige Zauberin Fata Morgana steht auf der Seite des Teams „Intrige“. Noch nichts davon ahnend, lässt der König für seinen Sohn ein Bankett ausrichten mit allerlei Unterhaltung, denn eine Diagnose lautet, der Prinz müsse nur mal wieder richtig lachen, um zu genesen. Das beabsichtigen die Intriganten zu verhindern und erhalten Unterstützung von Fata Morgana, die sich sicher ist, der Prinz könne das in ihrer Gegenwart nicht. Der vom König beauftragte Truffaldino mit seinen hilflosen Versuchen, sei es mit ordentlich Haudrauf-Theater oder derben Späßen, scheitert kläglich. Als jedoch Morgana unglücklich stürzt, was allzu komisch wirkt, kann sich der Prinz nicht mehr halten. Anfänglich ist es ein kleines „Ha-Ha“, das sich zu einem regelrechten Lachkrampf steigert. Fata Morgana verflucht ihn daraufhin, sich in drei Orangen zu verlieben. Von seiner Melancholie geheilt, zieht der Prinz in das neue Abenteuer zu Kreontas Palast, in deren Küche die Früchte zu finden sein sollen. Als Reisebegleitung wird ihm Truffaldino zur Seite gestellt. Vorbei am Teufel Farfarello, ständig verfolgt von Fata Morgana, ein bisschen beschützt von Celio, führt sie der Weg ins Schloss, in dessen Küche sie die Köchin überlisten, die drei Orangen entwenden und in die Wüste fliehen. Trotz einer früheren Warnung Celios öffnet Truffaldino, kurz vorm Verdursten, die erste Frucht. Ihr entsteigt eine Prinzessin, bittet um Wasser, bekommt keins und stirbt. Kaum länger dauert das Leben der zweiten Prinzessin. Erst bei der dritten hat der Chor erbarmen und bringt Wasser herbei. Prinz und Prinzessin verlieben sich, sie bittet den Prinzen, ihr angemessene Kleidung zu bringen, bevor sie vor den König tritt. Während der Prinz diese heranschafft, wird die Angebetete von Fata Morgana durch Smeraldina, ihrer Untergebenen, ersetzt und die eigentliche Prinzessin, Ninetta, in eine Ratte verwandelt. Der König trifft ein und verlangt trotz der Proteste des Sohnes, dass die Vermählung stattfindet. Da gelingt es dem sonst eher erfolglosen Magier Celio, den Zauber zu lösen. Die Bösewichter werden entlarvt und sollen gehängt werden. Dank Fata Morgana können jedoch Clarice, Leander und Smeraldina entkommen.
“Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es und wird augenblicklich durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt.
Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.” (D. Adams) muss ich unwillkürlich bei der Vorbereitung auf den Opernbesuch denken.
Im Vordergrund steht die Unterhaltung des Publikums mit allen Mitteln, der Hintergrund jedoch ist ernst. Sehr ernst. Was auf der Bühne unblutig als Streit ausgetragen wird, wird im realen Russland immer mehr zu einer Bedrohung für Künstler. Prokofjew verlässt 1918 das postrevolutionäre Russland und komponiert diese Oper als erstes Werk im amerikanischen Exil.
Mehrere Gedankenansätze kommen in den Sinn, unter anderem der allegorische der Kampf zwischen Gut und Böse, vertreten durch Celio und Fata Morgana. Und so durchlief auch in Cottbus die Konzeption mehrere Metamorphosen von Polit-Drama bis hin zur Tierfabel. Am Ende verzichtete Sugao jedoch auf komplexe Meta-Ebenen zugunsten einer an einen Kindergeburtstag erinnernden schillernden Märchenwelt, die in erster Linie von der kongenialen Ausstattung und unbändigen Spielfreude der SängerInnen sowie vielen kleinen und großen Regieeinfällen profitiert. Zum Publikumsliebling avancierte definitiv die Köchin als Zusammenspiel aus übergroßen, unabhängig voneinander beweglichen Augen, Nase, Händen und Mund.
Eigentlich kommt der Prinz fröhlich auf die Bühne. Erst als ihm eingeredet wird, dass er krank sei, verfällt er in seine Melancholie. Und was macht man mit einem zu Tode gelangweilten Königskind, das alles hat, was es will – aber nicht das, was es eigentlich braucht?
Raus aus dem Elfenbeinturm elterlichen Protektionismus‘, dem Kinderzimmer voller Star-Wars-Spielzeug, hinein in ein reales Abenteuer mit Kämpfen, Scheitern und am Ende doch Obsiegen. Erwachsen werden, Rebellion gegen den Vater, Verlustmomente, sowie die ersten Liebe und deren Schwierigkeiten. Oder ist das alles nur ein riesiges Rollenspiel?
Verblüffend, immer wieder neu und ständig in Bewegung ist das Bühnenbild von Carola Volles. Es schafft im Minutentakt neue Blickwinkel und Assoziationen, ohne überladen zu wirken. Davor, dahinter, drüber, drunter und mittendrin die äußerst fantasievollen Kostüme voll ausdrucksstarker Farbenpracht für die Solisten und der komplett in weiß gekleidete Chor. Alle im Stil der Commedia dell’arte geschminkt, jedoch jede(r) individuell gestaltet – großartig! Eine Unterscheidung in oben benannten Streitgruppen findet offensichtlich bewusst nicht statt.
Von wuchtig bis filigran, und ebenso homogen wie die Kostüme: der Chor! Ein Hörgenuss par excellence.
Duftig leicht und durchsichtig, fein nuanciert das Orchester unter Johannes Zurl, der in einer hochkonzentrierten Leistung die Sänger rücksichtsvoll trägt, ohne auf die hohe Dynamik der Partitur zu verzichten.
Lange habe ich in Cottbus auch keine so kompakte Solistenleistung erlebt. Natürlich spielen hier die stark überzeichneten Charaktere den SängerInnen in die Hände. Die impressionistisch geprägte Oper gibt viel Freiraum in der Rollen- und Stimmgestaltung.
Anne Martha Schuitemakers zart schillernder Sopran als Ninetta ist gegen Ende der Oper ein besonderes Highlight, der aber die beiden anderen Prinzessinnen Nicoletta und Linetta in nichts nachstehen. Ulrich Schneider – urkomisch sabbernd als Köchin, wie „sie“ ganz versessen auf das Schmuckband völlig seine Boshaftigkeit vergisst? Köstlich. John Ji’s Farfarello, der als gelangweilter Teufel denselben tut, sich von Celio einspannen zu lassen, überzeugt im Ausdruck stärker als sein Pantalone. Allerliebst auch Dirk Kleinkes Truffaldino. Ein bisschen leidet man ja mit ihm, da er es nicht schafft, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen. Dennoch gelingt es ihm, die Figur nie der Lächerlichkeit preiszugeben. Stimmlich war er voll auf der Höhe, was mir etwas hilft, seinen missglückten Evangelisten im „WO“ in Rostock zu vergessen.
Ein Hingucker und -hörer auch Nils Stäfe als Leander. In seinem Glitzerfummel, angetrieben von Clarices Avancen und ausgebremst von einem Restfunken an Moral ist seine Figur ähnlich tragisch wie die des Königs. Und das bringt er stimmlich überzeugend zur Geltung. Rahel Brede, die ich letztmalig als Emilia in Otello sah (ebenfalls Cottbus) – jetzt in diametraler Rolle als Clarice. Expressiv arglistig bis berechnend verführerisch. „Kugeln und Rattengift“ kommt wie „Gift und Galle“ an. Gloria Jieun Choi als Smeraldina, Morganas Gehilfin in giftigem Grün hätte ich gern als Octavian erlebt nach dieser Vorstellung. Ihre Stimme, von devoter Zurückhaltung bis frohlockender Siegerpose – da war alles dabei, auch wenn sie etwas im Schatten ihrer Herrin steht: Gesine Forberger! Das ist ein Name, der in Cottbus seit ihrem dortigen Debüt als Pamina vor fast 30 Jahren Gewicht hat. In unzähligen Rollen, darunter Mimí, Aida, Salomé und Elektra, hat sie sich immer wieder neu erfunden und auch als Morgana verleiht sie der Figur etwas Unverwechselbares – sowohl in theatralischer Gestik als auch stimmlicher Gestaltung verdient – und erhält! sie – die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Andreas Jäpel als ihr Widersacher Celio ist eine ebenso feste Größe im Ensemble seit seinem Einstand als Reinmar im Tannhäuser 1999. Unvergesslich auch seine Rollen als Marcello, Gunther, Don Pizarro, Orest, Alberich – oder zuletzt, auch bei IOCO beschrieben, als Leporello, Holländer und Kurwenal. Und wieder ist es nichts anderes als reiner Genuss, wie er die Höhen und Tiefen seines profunden Bassbaritons in traumwandlerischer Sicherheit von lyrisch schwelgerisch bis hin zur Buffo-Manier auslotet.
Philipp Mayer, der König, siehe Foto oben, ist seit 2021 im Ensemble und aktuell neben dieser Rolle in der Zauberflöte als Sprecher und alter Tamino sowie als Baron Ochs im Rosenkavalier zu erleben. Allein schon, mit welchem Selbstverständnis er einen Teppich als Umhang trägt, ist ein Erlebnis. Mit seiner Stimme muss er sich jedenfalls nicht unter denselben kehren lassen: grandios, wie er den schwächelnden König mit dem Wunsch, in Ruhestand gehen zu können, auch stimmlich umsetzt, ohne vorzeitig die Macht abgeben zu wollen – einfach herrlich anzusehen und zu hören. Last but not least der Prinz. Wie es manchmal so ist: man liest einen Namen und denkt „Kennste doch irgendwie?!“ Na klar, das war doch gerade mein Rodolfo in Schwerin, mit gefühlten Anlaufschwierigkeiten?! Hier steigt er von Anfang an mit dem Selbstbewusstsein der zentralen Figur ein. Wie er sich die Zacken der Krone depressiv zu Ohrschützern zurechtzuppelt, provokant schlecht gelaunt über die Bühne schlurft und dabei das Gesicht schmerzvoll theatralisch verzerrt – all dies wäre von ihm auch dann nachvollziehbar zu hören, schlösse man die Augen.
Die Augen verschließen muss man nicht, optisch (und auch akustisch) schillert das Werk in allen erdenklichen Farben. Und auch, wenn die Regie keine neue Sichtweise präsentiert, überdauert das Gefühl, sowohl musikalisch als auch szenisch blendend unterhalten worden zu sein. Am Ende gibt es ehrlichen, langanhaltenden Applaus mit einem einzigen „Buh“-Rufer für die Regie im voll besetzten Haus. Und von mir eine klare „Ansehen!“-Empfehlung.
Trivia: Meine Alternativen für den Tag waren die Tristan-Premiere in Dessau und Elektra in Lübeck, von beiden Vorstellungen hört man nur Positives. Meine Entscheidung für DIE LIEBE ZU DREI ORANGEN in Cottbus habe ich jedenfalls nicht bereut!
DIE LIEBE ZU DREI ORANGEN - Cottbus - alle Termine, Karten - link HIER!
Besprochene Vorstellung:
Premiere: 27.01.2024
Musikalische Leitung|Johannes Zurl,
Regie| Tomo Sugao,
Bühne/Kostüm| Carola Volles,
Licht| Karl Wiedemann,
Choreografie|Ruben Reniers
Choreinstudierung|Christian Möbius
Dramaturgie|Julia Spinola
König| Philipp Mayer,
Prinz| Konstantin Lee,
Prinzessin Clarice| Rahel Brede,
Leander| Nils Stäfe,
Truffaldino| Dirk Kleinke,
Pantalone| John Ji,
Celio| Andreas Jäpel,
Fata Morgana|Gesine Forberger
Linetta|Isabelle Osenau
Nicoletta|Mirjam Widmann
Ninetta|Anne Martha Schuitemaker
Köchin|Ulrich Schneider
Farfarello|John Ji
Smeraldina|Gloria Jieun Choi
Herold|Alexander Trauth