Cottbus, Staatstheater Cottbus, TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner, IOCO Kritik, 17.02.2023
TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner
- Brangäne spinnt nornengleich den Schicksalsfaden und ein Netz daraus -
von Thomas Kunzmann
„Mild und leise“ hat man mich belächelt, weil ich in der Saison 2019/20, als Stephan Märki Intendant am Staatstheater Cottbus wurde, meinte, dass damit auch irgendwann ein „Tristan“ am letzten verbliebenen Vier-Sparten-Haus Brandenburgs zu erleben sein würde. ‚Dafür hätte man gar nicht die Sänger‘, hieß es aus den Reihen des Theaters. Stimmt, und doch gab es Grund zur Hoffnung.
Unter dem vorangegangenen Intendanten Martin Schüler wurden 8 der 10 Hauptwerke nach und nach auf die Bühne in Cottbus gebracht. Als ich ihn 2014 nach PARSIFAL oder TRISTAN fragte, meinte er jedoch „Eher würde ich mal eines der drei Frühwerke inszenieren“. Dazu kam es nicht mehr. Die Geschicke des Hauses übernahm nach Schüler übergangsweise Dr. Serge Mund, ihm folgte in der Saison 19/20 Stefan Märki. Mund und Märki kannten sich aus der gemeinsamen Zeit am Hans-Otto-Theater Potsdam. Märki wechselte 2000 nach Weimar, wo er unter anderem mit Nike Wagner zusammenarbeitete, die er für einen ausgesprochen interessanten Vortrag „Warum ein dritter Aufzug?“ am Premierentag gewinnen konnte. In Weimar erreichte Märki gegen den Willen der Thüringer Landesregierung den Erhalt des Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar DNT als eigenständiges Theater. Und dort begann auch die märchenhafte Karriere von Catherine Foster. Von 2012 bis 2018 leitete Märki das Theater Bern, wo für die Saison 2018/19 TRISTAN UND ISOLDE geplant war - mit Catherine Foster in der Titelrolle. Nach Märkis kurzfristigem Rücktritt hieß es zwar erst, er würde die Regie für TRISTAN noch behalten, letztlich kam es aber anders. Folgerichtig hatte er „seinen“ TRISTAN im Gepäck, als er nach Cottbus berufen wurde. Es war also nur noch eine Frage der Zeit. Dann platzte jedoch die Pandemie in den Beginn seiner Intendanz. Mittlerweile hatte er bei der Cottbuser CARMEN die Regie geführt, was allerdings faktisch eine Übernahme seiner Berner Inszenierung war.
In Cottbus lief TRISTAN letztmalig vor 33 Jahren. Unter der musikalischen Leitung von GMD Frank Morgenstern konnten, bis auf Tristan (als Gast aus Dresden: Spas Wenkoff), der Cast aus dem Ensemble besetzt werden. Noch heute klingt die Besetzung jedem, der das Theater regelmäßig besuchte, wie Musik in den Ohren: KS Rosa Steurich, KS Friedrich Krausewald, KS Horand Friedrich, Carola Fischer.
Auch unter Schüler und seinem GMD Evan Christ wurde Ensembletheater großgeschrieben und so konnten über seinen Schaffenszeitraum die Wagner-Werke mit nur wenigen Gästen qualitativ absolut hochwertig geboten werden. Schön, wenn sich das ein Theater auf seine Banner schreiben kann, großartig auch für die Publikumsbindung, die an Stadttheatern nun mal noch eine andere Bedeutung hat als auf den renommierten Bühnen Berlins, Dresdens, Münchens. Aber wo gibt es heute so etwas noch? Zumal an Häusern dieser Größenordnung?
Stefan Märki ist Intendant der Neuzeit: für Großprojekte dieser Art holt er sich die passenden Gäste auf und hinter die Bühne. Mit seinem Team habe er das Libretto zeilenweise durchgearbeitet, sagt er. Und, obwohl die Oper mit vielen großartigen Momenten gespickt ist, läuft natürlich nach etwa 3½ Stunden reine Musik alles auf diesen einen Augenblick hinaus:
- „In dem wogenden Schwall, in dem tönenden Schall, in des Welt-Atems wehendem All --- ertrinken, versinken --- unbewusst --- höchste Lust!“
An diesem Faden hangelt sich die Regie rückwärts und findet in der unendlichen Musik, in den innigen Duetten bis zurück zum Beginn, der Überfahrt nach Cornwall, die Losgelöstheit von Zeit und Raum – ja gar von aller gesellschaftlicher Bedrängnis, als wäre die Oper ein Gleiten durch das Universum, hin zu der einen, als unmögliche Utopie erscheinenden, transzendentalen Liebe. Zwei Parallelen, die im Unendlichen verschmelzen.
Das Bühnenbild ist lediglich der Bug eines Raumgleiters. (nicht nur kostentechnisch) aufwändig und nahtlos in den Bühnenraum eingepasst, schafft es den Ort für das kleine Kammerspiel der großen Gefühle. Zugleich eine hermetische Glocke, in der das Erfahrene, das Gesehene bleibt. Und wer nicht zugegen ist, kennt immer nur einen kleinen Teil der ganzen Wahrheit. So zumindest scheint die Idee. Akustisch bildet die Kulisse eine sängerfreundliche Reflektionsfläche. Lediglich der Klang des dahinter agierenden Chors leidet im ersten Aufzug ein wenig unter dieser Barriere.
Märki lenkt von Beginn an die Aufmerksamkeit auf Brangäne, die nornengleich einen Schicksalsfaden spinnt und daraus ein Netz flechtet, in dem sich unsere Protagonisten verfangen. Aus der Spindel wird die Leuchte, die im zweiten Aufzug verlöschen soll (und eben nicht ein „alberner Miniatur-Tannenbaum“ ist, wie es offensichtlich einige Besucher vermuteten) und sie wird zur Waffe Melots, in die sich Tristan stürzt. Schlussendlich entsteht aus ihrem Geflecht die schützende Decke als Verband, die Kurwenal um Tristan im dritten Aufzug legt. Auch Isolde trägt dann ein Gewand aus diesem Netz, das sternenleuchtend beide mit dem Universum verschmelzen lässt, auch wenn die Lichttemperatur besser auf den Hintergrund abgestimmt sein könnte. Auf der Reise durch Zeit und Raum sind alle Charaktere gereift – oder zumindest gealtert. Bis auf unsere Titelhelden, denen die Liebe der Quell bleibender Jugend ist. Ein schlüssiges, konsequent verfolgtes Konzept. Regietheater? Ja, aber befreit von exaltierte Übertreibung. Eine Oper – nicht von dieser Welt, wörtlich genommen.
Schon auf die Fassade des wunderschönen Jugendstilhauses (man verzeihe mir mein Schwärmen, aber hier bin ich dem Musiktheater verfallen) wird Brangäne projiziert, die einen Faden spinnt und daraus ein Netz strickt. Auf der Bühne ist der Kelch von Anbeginn gefüllt – kein vertauschen der Elixiere. Brangäne plant offensichtlich schon längerfristig. Mit ihrem auffällig dunklen Timbre gibt sie ihrer Rolle zusätzlich etwas düster-bedrohliches und ist ihrer Herrin in Kraft und Ausdruck absolut ebenbürtig. Kurwenals dreiste Verhöhnung Isoldes verletzt sie deutlich stärker als die Entwürdigte, was wohl ihren Plan zusätzlich befeuert. Wunderschön und zu Tränen rührend ihre Warnung „Habet acht“ während des Liebesduetts im zweiten Aufzug.
Zum Ensemble des Hauses gehört Hardy Brachmann, den ich in über 25 Jahren schon in unzähligen Rollen erlebt und schätzen gelernt habe. Als junger Seemann und Hirte, beides Rollen, die irgendwie außerhalb des Geschehens wirken, passt sein leichter, gegen alle anderen hier fast ätherisch wirkender Tenor perfekt.
Andreas Jäpel, vom Holländer zum Kurwenal, kann sowohl stimmlich als auch darstellerisch kraftvoll und problemlos mit den großen eingekauften Namen mithalten. Gewaltig und mit großartiger Textverständlichkeit protzt er mit den Kampferfolgen seines Tristan, bleibt an dessen Seite bis zum Schluss und arbeitet mit plausibler Gestik heraus, dass er zwar nicht mit allen Entscheidungen Tristans glücklich ist, dennoch vasallentreu zu ihm hält. Am Ende streckt er Melot mit Jedi-Geste dahin, bevor er selbst verscheidet – an Altersschwäche. „Schade!“, denkt man, die Stimme hätte noch etliche Takte getragen.
Tristan und Isolde - besprochen von Stephan Märki (Regisseur), Philipp Fürhofer (Bühne und Kostüm), Julia Spinola (Dramaturgie) youtube Staatstheater Cottbus [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Nils Stäfe singt sowohl den Steuermann als auch Melot. Letzterer wird oft als der hinterlistige Verräter dargestellt. Stäfe gibt allein schon mit seiner stattlichen Figur den glaubwürdig Königstreuen, nicht den hinterhältigen Intriganten – Recht so! Nicht er ist es, der den Ärger heraufbeschwört, er entdeckt ihn lediglich dem König. Geradlinig im Auftreten, sauber intoniert und nur von Marke zu bremsen. APROPOS MARKE! von noblem Auftreten, ein klarer, tieftönender und nie orgelnder Bass mit viel Spielraum in Tiefen und Höhen, in der Konfrontationsszene mit TRISTAN gefasst, weltmännisch in Erscheinungsbild und Stimme.
Catherine Foster ist als Isolde eine Institution und singt in Cottbus in ihrer zehnten Inszenierung. Mühelos füllt sie die größten und akustisch schwierigsten Häuser – und wirkt in Cottbus fast ein bisschen überdimensioniert. Wunderbare, saubere Artikulation, gefühlsstark und mit einer Leichtigkeit in jeder Tonlage – wünschte ich mir dennoch, sie würde sich der Akustik des Hauses entsprechend etwas zurücknehmen. Besonders augen- bzw. ohrenfällig in den musikalisch sehr innigen Szenen gegen Ende des ersten Aufzuges sowie im Duett „O sink hernieder, Nacht der Liebe“, wo beide Stimmen mit der Musik bestenfalls verschmelzen.
Dass dies nicht optimal erfolgt, ist leider auch der Wahl des Tristan geschuldet. Bryan Register - ich sah sein beachtliches Debut in dieser Rolle vor 10 Jahren in Kiel neben Jane Dutton (Isolde) und Alexandra Petersamer (Brangäne) - wirkt gegen die stimmlich deutlich präsenteren Haupt- und Nebenrollen allzu lyrisch und die kraftraubende Partie hinterlässt bei ihm deutliche Spuren. Es wackelt mal im zweiten Aufzug, aber er fängt sich wieder. Mit Technik und einigen Oktavsprüngen schafft er auch den dritten Aufzug durchaus respektabel. Eventuell wäre der sängerschonende Tag-Nacht-Strich angebracht gewesen. Spielerisch bietet er einige sehr interessante Momente. Insbesondere am Ende des zweiten Aufzugs: ertappt von König und Jagdgesellschaft, wirkt er nahezu befreit, schaut nicht reumütig zu Boden, sondern lächelt unentwegt verklärt Isolde an. Die gemeinsame Flucht von dieser für beide unmögliche Welt rückt in greifbare Nähe.
Merzyns zweiter Wagner nach dem flotten Holländer (2019-22) gelingt deutlich gereifter und wirkt kompakt, ohne klangmalerische Übertreibungen, aber mit wohldosierten, Spannung erzeugenden Pausen. Sich mehr Dynamik zu wünschen, wie in Pausengesprächen zu hören, hieße Tristan noch mehr leiden zu lassen. Dahingehend sind Tempi und Lautstärke sinnvoll gewählt und erzeugen einen überzeugenden Wagner-Klang voller emotionaler Momente, frei von Kitsch.
Was funktioniert und was weniger?
Mancher meinte, dass diese Weltraum-Idee nicht über die 3h40 trägt, dass es unlogisch sei, wie sich das Cockpit öffnet oder plötzlich eine Waldlandschaft im Hintergrund erscheint. Ging mir nicht so. Die Ästhetik der Inszenierung hat etwas Wohltuendes in Zeiten von Laboren und Versuchsanstalten, Weltkriegsszenarien oder gar Comic-Stilistik. Über die Sternenprojektionen wird das Auf und Ab der Gefühle gespiegelt, wenngleich bestimmte Sternenkonstellationen sich in wenigen Sekunden wiederholen. Natürlich darf man solche Allegorien nicht mit realistischen Maßstäben betrachten. Den Rest erledigt das wohldosierte Licht, jedoch könnten die Verfolger etwas präziser arbeiten. Kritik gab es vom Publikum auch an der wenig vorhandenen Intimität zwischen Tristan und Isolde. Ob es nun die größere Sehnsucht nach dem gemeinsamen Freitod als nach trauter Zweisamkeit ist oder Unfähigkeit eines Paares jenseits der Sturm- und Drangphase, bleibt mir ebenso unaufgelöst wie Isoldes doch recht augenfälliges Schwangerschaftsbäuchlein im zweiten Aufzug, um den sie sich aber nicht kümmert und der auch im dritten Aufzug keinerlei Folgen hat, sodass man sich fragt, ob es vielleicht doch nur ein unvorteilhaft geschnittenes Kleid war?
Gemessen am Alterungsprozess liegen zwischen zweitem und drittem Aufzug um die 20 Jahre. Wieso Kurwenal erst einen Tag vor Tristans Erwachen nach Isolde schickt und auch Brangäne ihr Geheimnis König Marke so spät verrät, möge mir gern einmal jemand kundtun. An dieser Stelle endete mein Abstraktionsvermögen. Oder das Wissen um Zeitreisen. Aber letztlich gehören zu TRISTAN UND ISOLDE auch Mysterien, oder?
Wäre die Inszenierung länger im Repertoire, könnte man eventuell ein paar kleinere Nachjustierungen vornehmen. Aber es folgen nun noch vier Vorstellungen, Termine siehe unten, je zwei relativ nah beieinander, sodass der ziemlich umfangreiche Bühnenaufbau nur zweimal erfolgen muss. Trotz einiger Kritikpunkte bleibt es eine mittelgroße Sensation, was das Staatheater Cottbuser unter Märkis Führung sowohl personell als auch bühnenbildnerisch und musikalisch auf die Beine, respektive Bühne stellt. Und das wird vom Premieren-Publikum mit lauten Bravi und langanhaltendem Applaus völlig zurecht honoriert. Cottbus meldet sich eindrücklich zurück auf der Topografie der sehenswerten Wagner-Inszenierungen. Eine klare Empfehlung sei ausgesprochen, nicht nur an die dort heimischen Opernfreunde. Letztlich ist die Stadt von Dresden, Leipzig und Berlin aus ziemlich gut erreichbar. Oder von Weimar, woher gleich zwei Busse zur Premiere kamen. Die Anreise wird jedenfalls mit einem äußerst würdigen Opernerlebnis belohnt.