Cottbus, Staatstheater Cottbus, Otello - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 10.11.2021
Otello - Giuseppe Verdi
- die zerbrechliche Scheinwelt des siegreich heimkehrenden Otello -
von Thomas Kunzmann
Ein toter Baum steht auf der Bühne und sogleich denkt man „war der nicht eben im Holländer ?“Nein, war er nicht. Auch wenn es einen im Sinne der neuen Nachhaltigkeit nicht gewundert hätte. Das war ein anderer. Kleiner, dünner – aber genau so tot. Und es war auch nicht „eben“, sondern vor gut zwei Jahren. Es kommt einem nur so vor, weil „dazwischen“ nicht viel war. Und weil trotzdem einiges gleich ist: eine düstere Bühne, die musikalische Leitung, die Regie, der Bass, der Bass-Bariton, der Tenor – und sogar die (Stamm)Gast-Sopranistin (Senta, lustige Witwe, nun Desdemona und für weitere Rollen im Gespräch). Das ist ja oft so an einem Stadttheater, auch wenn es hier das Staatstheater Cottbus ist.
Und doch ist einiges anders: Jasmina Hadžiahmetovic, damals noch eingesprungen für die Regie, ist mittlerweile stellvertretende Operndirektorin, auch wenn ihr Lebensmittelpunkt offensichtlich Berlin zu bleiben scheint, noch ist sie nicht umgesiedelt. Wir sind in einer Post-Corona-Phase, oder halten sie zumindest dafür, und einige Anpassungen im Aufbau sind noch erforderlich.
Die Bühne ist so trostlos wie das Innere des Titelhelden. Otello kehrt siegreich, aber gebrochen zurück. Das Begrüßungsfeuerwerk ist ihm ein Raketenregen. Der Chor donnert ihm genauso wie dem Publikum Kriegsgeschrei in die Ohren, das eigentlich ein „warm welcome“ sein soll, er sucht seine Ruhe und findet sie vorerst in seiner Liebe zu Desdemona, die ihm, engelsgleich gekleidet und ausgeleuchtet, alles überstrahlend, entgegenkommt – nicht wie eine Braut, die glücklich den Geliebten einigermaßen unversehrt in die Arme schließt, sondern eher wie eine fürsorgliche Krankenschwester. Sie ist die Idealisierung in seinem Kopf, der sie gar nicht gerecht werden kann. Die Scheinwelt des Otello ist zerbrechlich, die äußere Fassade, hart erkämpft, kriegserprobt und hochdekoriert – könnte für die Gesellschaft, in die er emporsteigen will, reichen. Nur ein Kratzer reicht allerdings, sie aus dem Inneren heraus zum Einsturz zu bringen. Wäre er nur weiß! Wäre er nur von adliger Abstammung! Wäre er nur reich! Wäre er nur … es gibt so viele Hindernisse für ihn, dass die Hautfarbe eine absolut untergeordnete Rolle spielt. Da kann man auch die Dunkelmaskierung gleich weglassen. Danke dafür. Am Ende stolpert Otello nämlich über sich selbst, nicht über seine Hautfarbe.
Der Regieansatz kommt dem Tenor entgegen. Jens Klaus Wilde ist ein Cottbuser Urgestein, meine „älteste“ Begegnung mit ihm geht auf das Jahr 1999 als Zarewitsch zurück. Es folgten Rollen in Schülers Inszenierung Boris Godunow, Rigoletto in Pilavachis Interpretation, Rodolfo in La Boheme, Franz Waldung in den Rheinnixen, Radames in Aida, Edgardo in Hauke Tesch’s Inszenierung der Lucia di Lammermoor, Don José in Oldags Regie der Carmen, Aegisth in der absolut überragenden Elektra, sogar Cavaradossi an der Seite von Soojin Moon in Tosca. Dann kam Don Carlos 2016, Jim in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, beides Rollen, in denen man sich durchaus etwas mehr (Strahl)Kraft gewünscht hätte. Oder als Erik im Holländer – was hat er da gelitten? Andererseits, wie viele Vorstellungen rettete er schon in Cottbus? Seine Einsatzbereitschaft ermöglichte u.a. die Uraufführungspremiere von „ Effie Briest – und nun auch Otello.
Die Premiere sollte eigentlich Xavier Moreno singen. Wilde sprang mal wieder ein. Dass es sich dabei um eine Wunschrolle des Cottbuser Tenors handelt, spürt man nicht erst, wenn er sich beim Schlussapplaus auf die linke Brust klopft – er legt sein gesamtes Herzblut in diese Titelpartie und singt, spielt voller Inbrunst. Die Töne kommen sicher, auch wenn der Manierismus, die Noten aus einem kurzen Kopfton heraus anzugehen, oft übertrieben weinerlich wirken: es passt zum Regieansatz – ähnlich wie damals als Don Carlos. Auch wenn nicht jeder Besucher davon überzeugt schien, war es seit Langem seine mit Abstand beste Leistung.
Die musikalischen Höhepunkte setzen allerdings die Kontrahenten Jago und Desdemona. Sie, in Otellos Kopf, in dem die Oper spielt, romantisch verklärt, das personifizierte Gute, mit glasklarem Sopran, die Töne, wenn nötig, aus einem Hauch des leisesten Nichts hin zu strahlender Leuchtkraft entwickelnd bei geradezu hypnotischer Bühnenpräsenz, auch wenn mangels einfallsreicher Regie manche ausdrucksstarke Szenen („Aus dir spricht eine Furie“) in antiquierter Opernpose steckenbleiben. Nicht immer in der erwarteten düster-dramatischen Warmherzigkeit, aber passend zur darzustellenden Verklärung. Im „Piangea cantando nell’erma landa“ schmilzt man nicht, man berauscht sich an der Zartheit. Jago hingegen ist das Böse in Reinform. Nicht oft ist in einer Oper eine Figur so von Grund auf niederträchtig und sagt das auch von sich selbst:
„Ich glaube an einen grausamen Gott, der mich nach seinem Bilde erschuf, und den ich im Zorn nenne! Aus der Niedrigkeit eines Keims oder Atoms bin ich in Niedrigkeit geboren! Ich bin ein Bösewicht, weil ich ein Mensch bin, und fühle den Schlamm meines Ursprungs in mir!“
Selten spuckt einem eine Opern-Figur diese Bosheit so selbstverständlich um die Ohren – und noch seltener entwickelt man dafür Sympathien: diese distinguierte Herrschafts-Clique! Bestehend aus Emporkömmlingen, Kriegstreibern, Intriganten, Höflingen, Vorteilssuchern – eine zutiefst verlogene Gesellschaft – und darum funktioniert ein Jago im fragilen Otello-System. Er zündet die Kerzen im Ego-Trip der Figuren, die immer einen Schritt hinter ihm bleiben.
Andreas Jäpel als Jago wirkt darstellerisch gebremst, als wolle die Regie ihm nicht das Feld überlassen – warum eigentlich nicht? Am Ende geht sein Plan doch sowieso auf? Und das Publikum will den Bösen, das Verruchte?! Jäpel lotet die Rolle aus, gefesselt, aber unglaublich mächtig.
Rahel Brede als Emilia wirkt in ihrer Geradlinigkeit sowohl stimmlich als auch habituell wie ein moralisches Regulativ in dieser aus den Angeln gehobenen Welt. Trotz solider Sängerleistung bleibt Kleinke als Roderigo ebenso wie Alexey Sayapins Cassio farblos. Ulrich Schneider hatte als Daland deutlich mehr Gewichtigkeit.
Merzyns Orchester spielt auf der Hinterbühne, lediglich durch einen Gaze-Vorhang getrennt, und bringt die Partitur glaubwürdig mit martialischer Kraft zur Geltung. Das erinnert an Evan Christs Turandot-Dirigat, kostet allerdings mitunter Durchsichtigkeit. Akustisch hochinteressant ist der facettenreiche Chor, der vom ersten Rang agiert. Die Nähe zum Publikum kostet zwar etwas Homogenität, bietet aber dafür eine unglaubliche Intensität und selten erlebten Raumklang.
Die Damen und Herren unter Leitung von Christian Möbius proklamieren mit jedem Ton: WIR SIND WIEDER DA! Allein dieses Hörerlebnis macht es leicht, einen Besuch dieser Oper anzuraten.
Auf dem Vorhang erlebt man stimmungssteigernde Videoprojektionen: je höher das Innere Otellos kocht, desto höher schlagen die Wellen des Meeres. Kann man so machen. Nun ist (vorproduziertes und in jeder Vorstellung gleiches) Video einfach mal das genaue Gegenteil von „live“ und entbindet das Publikum von der Entwicklung eigener Fantasien, die man alternativ auch durch Lichtführung, Regie, Dirigat hätte anheizen können. Und genau das war es unter anderem, was Cottbus für Opernbesucher so attraktiv gemacht hat – der weitgehende Verzicht auf Instant und der wohldosierte Einsatz von Pfeffer, Salz, Paprika und Kräutern. Aber es macht die Inszenierung leichter zugänglich – womöglich eine Konzession an das durch eine lange Opernpause entwöhnte Publikum, das die Leistung mit wohlverdientem, lang anhaltendem Applaus und einigen Bravi honoriert.
FAZIT: Ein mit wenigen Abstrichen gelungener Opernabend, ein düsteres Infernal und das Bekenntnis eines kleinen großen Theaters, fulminante Oper trotz widriger Umstände auf die Bühne zu bringen
Musikalische Leitung – GMD Alexander Merzyn, Regie – Jasmina Hadžiahmetovic, Bühne und Kostüme – Christian Robert Müller
MIT: Otello – Jens Klaus Wilde, Jago – Andreas Jäpel, Cassio – Alexey Sayapin, Roderigo – Dirk Kleinke
Lodovico – Ulrich Schneider, Montano – Dániel Foki, Ein Herold – Alexander Trauth, Desdemona – Tanja Christine Kuhn, Emilia – Rahel Brede,
Otello im Staatstheater Cottbus; die folgenden Termine 12.11.; 28.11.; 1.12.; 25.12.2021; 28.01.; 20.02.2022
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