Cottbus, Staatstheater Cottbus, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, IOCO Kritik, 27.03.2017
"Aufrüttelnd - Diskussionswürdig"
AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY
Von Thomas Kunzmann
Es mag an diesem Abend Gäste geben, die in der 1930 entstandenen Oper von Kurt Weill und Bertolt Brecht Kapitalismuskritik sehen. Kaum anders ist die in der Pause aufgeschnappte Halbwissen-Phrase "Kommunisten-Scheiße" zu deuten - doch damit täte man dem Werk Unrecht, denn seiner Gesellschaftskritik stellen die Texte Brechts keinerlei Konfliktlösung entgegen. Auch keine kommunistische. Aus der Draufsicht - ohne dass man mit einem Charakter mehr oder weniger sympathisiert - entwickelt sich eine soziologisch nachvollziehbare Linie von Idee über Aufbau, Erfolg, Verwesung, Revolutionierung, Entgleisung bis zum Niedergang. Regisseur Matthias Oldag tritt nochmals einen Schritt zurück und lässt das Gaunertrio genau da stranden, wo früher einmal eine Zivilisation ihren Höhepunkt erreichte und von vormaligen Lustbarkeiten lediglich ein halbverfallenes Gerüst eines Karussells von einstigen Vergnügungen zeugt. Auf diesen Ruinen entsteht Mahagonny, die Netzestadt.
Als wären sie schon immer da gewesen, tauchen unter dem Gerüst die Huren auf (herrlich unterschiedlich die 6 Damen des Chors "Was dem einen üppig ist, ist dem andern mager"), später die Männer aus dem Norden, mit den Taschen voller Gold, Männer, die gern bleiben werden und die Vorzüge der Freiheit feiern und in Genüssen aller Art bis zum Überdruss schwelgen. Diese Sättigung, zusätzlich gepaart mit dem Heraufziehen eines Hurrikans, vor dem man sich sicher wähnte, entfesselt die Idee des `Endzeit-Hedonismus'. Das Ausweichen des Sturms bestärkt letztlich alle, nach den neuen Regeln zu leben, als gäbe es kein Morgen. Vier Postulate bestimmen die neue Gesellschaft:
"Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen, zweitens kommt der Liebesakt, drittens das Boxen nicht vergessen, viertens Saufen, laut Kontrakt."
Doch die Revolution frisst ihre Kinder, und so wird Einer nach dem Anderen an einem der Gesetze zugrunde gehen. Und am Ende wird auch das Karussell von Schlägerbanden zerstört, wie eine Reminiszenz an die tumultartigen Unterbrechungen der Uraufführung in Leipzig. Selbst die Kinder prügeln sich mit Spielzeug-Baseballschlägern - ein ewiger Kreislauf von Aufbau und Zerstörung, von Generation zu Generation.
Regisseur Oldag verzichtet bewusst auf tagesaktuelle Bezüge und lässt Musik und Text für sich wirken. Die Parallelen zum Heute bedürfen keines Regie-Eingriffs. Sogar die typisch Brechtschen Schilder bleiben leer und werden somit zur Projektionsflächeeigener Protest-Phrasen, was umgehend an das Eingangszitat erinnert.
Das Philharmonische Orchester unter Evan Christ spielt lustvoll auf, dehnt mal und strafft wieder die Partitur und lässt den Sängern Platz, sich zu entfalten. Besonders das Männer-Trio "Wundervoll ist das Heraufkommen des Abends" sticht durch Präzision, Textverständlichkeit und Homogenität mit choralhaft salbungsvoller Intonation hervor. Jens Klaus Wilde als Jim Mahoney wirkt über lange Strecken allzu lyrisch, auch wenn er in die Proklamation der neuen Gesetze Kraft zu legen sucht. Das ist jedoch in seiner herzzerreißenden Abschiedsarie "Wenn der Himmel hell wird / Nur die Nacht", auf intimste Art vorgetragen, vollkommen vergessen. Innigste Gefühlestatt des hohen C's - nur Puristen werden es womöglich vermissen. Im Zusammenspiel mit dem Orchester wünschte man, sie würde umgehend als Zugabe wiederholt werden und für immer im Ohr bleiben. Diese Gefängnisszene sticht auch deswegen hervor, weil sie das erste Mal bewirkt, dass sich das Publikum im Scheitern des Charakters mit ihm solidarisiert, wohingegen die revueartigen Massenszenen kühle Distanz Brechtscher Analytik ausstrahlen. Sparbüchsenbill Christian Henneberg könnte ein in die Inszenierung geschmuggelter Brecht sein. Nach der Pause versucht er vergeblich, dem nahenden Hurrikan seine Bauklötzchen-Türme entgegenzustellen: Was bleibt vom Menschen in Zeiten der drohenden Zerstörung? Und wollen wir nicht doch wider besseren Wissens etwas hinterlassen? Unserem irdischen Dasein Sinn und Zukunft verleihen? Dirk Kleinke (Jakob Schmidt) und Ingo Witzke (Alaskawolf-Joe), stimmlich großartig aufgelegt, profitieren als kongeniale Mitläufer bis zu ihrem bitteren Ende von ihrem Anführer Jim.
Vor rund 25 Jahren hat Carola Fischer am diesem Theater eine unvergessene Carmen gegeben und sich in vielen Rollen in die Herzen der Cottbuser gesungen. Als Begbick beweist sie auch großartiges Schauspieltalent. Debra Stanley hingegen als Jenny (16.03.) kokettiert mit ihren Reizen, sodass man sich am Ende wundert, warum sie sich nicht dem Nächsten zuwendet, um ihre Haut zu retten. Deutlich emotionaler, sowohl gesanglich als auch gestisch, gestaltet Liudmila Lokaichuk am 23.03.2017 die gleiche Rolle als Jimmys Geliebte, die um ihr privates Glück kämpft, ihn mehrfach von seiner Impulsivität abzuhalten sucht, in Zweisamkeit flüchten will, aber am Ende scheitern muss und ihn aufgibt.
Während zuletzt die Rostocker Inszenierung unter der Brecht-Enkelin Johanna Schall in der Darstellung des Fatty mit seiner nach (und durch) Mahagonny geretteten kleinen Pflanze "Kultur" eine Art Hoffnungsschimmer implizierte, bleibt Matthias Oldags Inszenierung zutiefst zukunfts-pessimistisch und damit aufrüttelnder und diskussionsträchtiger weit über den Abend hinaus.
Staatstheater Cottbus / AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY: Weitere Vorstellungstermine: Fr 07.4., Do 18.5. und Mi 31.5.2017, jeweils 19.30 Uhr
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