Collioure, Musée d´Art moderne de Collioure - Austellung "Plein soleil", IOCO

Austellung in Collioure: "Plein soleil. Collioure 1945 – 1985" - Nostalgischer Rückblick auf eine Künstlerstadt - Das Museum von Collioure geht dem Verschwinden der kleinen katalanischen Fischer-Stadt als Künstler-Stadt nach ....

Collioure, Musée d´Art moderne de Collioure - Austellung "Plein soleil", IOCO
Museum von Collioure @ Hanns Butterhof

"Plein soleil. Collioure 1945 – 1985" - Nostalgischer Rückblick auf eine Künstlerstadt - Das Museum von Collioure geht dem Verschwinden der kleinen katalanischen Fischer-Stadt als Künstler-Stadt nach

von Hanns Butterhof

In seiner neuen, höchst instruktiven Ausstellung "Plein soleil. Collioure 1945 – 1985" geht das Musée d'Art moderne de Collioure dem Verschwinden Collioures als Künstlerstadt nach. Diesen Status hatte die kleine katalanische Fischerstadt im Süden Frankreichs in der frühen Moderne erworben, als mit Henri Matisse als Leuchtfigur kein Maler von Format von André Derrain und Paul Signac bis hin zu Pablo Picasso umhinkam, ihrem besonderen Licht und den pittoresken Gassen Tribut zu zollen. Diesen Status bewahrte Collioure auch in der Zeit des 2. Weltkriegs, als sich auf der Flucht vor der deutschen Besatzung und auf dem Weg ins Exil viele Surrealisten um André Bréton hier aufhielten und malten. IOCO berichtet bereits hierzu im August 2023 - 1940 - HORROR IM PARADIES - link HIER!

Am südlichem Rand der kleinen Stadt liegt das kleine Musée d'Art moderne de Collioure in der „Villa Pams“ auf einem der ihren Fuß im Mittelmeer badenden Ausläufer der Pyrenäen.

Auf zwei Etagen erkundet das Museum in seiner von Claire Muchir, der Direktorin des Museums kuratierten Ausstellung „Plain soleil“, wie es in der Nachkriegszeit mit Collioure als Künstlerstadt weiter- und zu Ende ging.

Dass es überhaupt weiterging, war hauptsächlich  Willy Mucha zu danken. Der in Warschau geborene Künstler hatte sich auf dem Weg in den Spanischen Bürgerkrieg in die Stadt verliebt. Nach der „Retirada“, dem Rückzug der geschlagenen republikanischen Armee über die Pyrenäen nach Frankreich, war er nach Collioure zurückgehrt und dort geblieben. Er und die mit ihm befreundeten Besitzer des Hotel-Restaurants „Les Templiers“, René und Pauline Pous, wurden zum Anziehungspunkt vor allem für seine antifaschistischen Künstlerfreunde: in seinem Goldenen Buch, dem „Livre d'or“, das in der Ausstellung zu sehen ist, finden sich die Einträge der Freunde, von Picasso, Joan Miro und Marc Chagall bis zu Aristide Maillol, Georges Braque und Raoul Dufy;  Max Ernst wird eine Zeichnung auf der Rückseite einer Speisekarte des Hotels zugeschrieben.

Museum von Collioure @ F. Pons

Die ersten beiden Räume in der ersten Etage des Museums, die man über die typische katalanische Wendeltreppe aus Stein erreicht, ist konsequent Willy Mucha und  dem „Les Templiers“ genannten Freundeskreis gewidmet. Es sind lichte, sorglose Werke, wesentlich figurativ mit dezenten zeittypischen Abstraktionen. Liebevoll widmen sie sich Motiven aus dem Arbeits-Leben, die uns heute als authentisch erscheinen. Charakteristisch ist die alte katalanische Frau in ihrer schwarzen Tracht; Willy Mucha malt sie 1940 und 1946 leicht kubistisch, Édouard Pignon 1945 gesichtslos, und Loucien Coutaud stattet sie 1945 surrealistisch mit dem hintergründigen Lächeln einer Katze aus.

Selten findet sich ein Bild der Stadt,  das Meer mit seinen Bewohnern sind bevorzugte Themen: In einem an Max Ernst erinnernden Stilleben versammelt Jean Picard Le Doux 1966 Seesterne und Muscheln, Willy Mucha deckt 1943 einen Tisch mit „Les Raies“, Rochen. In einem weiteren Raum schmückt mannigfaches Meeresgetier dekorative Teller und Fischplatten von Gumersind Gomila und anderen wie Jean  Lurçat. Der verziert seine Keramiken auch häufig mit dem Motiv der Eule. Dieses Tier der Erkenntnis fliegt ja bekanntlich in der Dämmerung und raunt vielleicht schon hier vom Ende der glücklichen Epoche, die von den Freunden um Mucha getragen wird.

Claire Muchir erläutert „Le pêcheur aux cordages“ von Alice Martinez-Richter @ Hanns Butterhof

Ein neuer Zeitabschnitt beginnt, als in den fünfziger Jahren der Versuch unternommen wird, Collioure als Künstlerstadt auch unabhängig vom Kreis der Templiers zu etablieren. Hotelier René Pous stiftet 1952 den „Prix Collioure“, der talentierten Jungkünstlern einen mehrmonatigen Aufenthalt im „Les Templiers“ ermöglicht, um sie den Flair der Stadt erfahren zu lassen. Dem gleichen Ziel gilt 1956 die Gründung der „Casa Roselló“ im Schloss von Collioure durch den Leiter der Ecole des Beaux Arts de Montpellier, Camille Descossy, für Meisterstudenten französischer Kunsthochschulen. Die folgende Räume zeigen Werke von Stipendiaten dieser Unternehmungen, meistenteils aus den Beständen des Museums. Da glühen noch einmal die roten Dächer der Stadt auf  Annie Rogers „Les Toits“ von 1956 und Jacky Bernads „Les Toits rouges“ von 1957 oder strahlt die Stadt mit Schloss, Hafen und Kirche im Abendlicht auf Marie-Helène Martins Chateau et reflets“ von 1956. Bilder von Toreros erinnern daran, dass es damals noch Stierkämpfe in Collioure gab; Camille Descossys meisterliches Stierkampf-Bild „Ahora“ von 1958 zeigt Stier und Torero im weiten Rund der Arena in dem Augenblick höchster Anspannung, bevor im nächsten Moment der Kampf um Leben oder Tod losbricht.

"Plein soleil. Collioure 1945 – 1985" @ Hanns Butterhof

Doch die Bilder der alten Freunde werden düsterer, matter. Im „Collioure“-Ölbild von Camille Descossy von 1960  ist die Stadt schon ganz verloren, aufgelöst in wenige stumpfe Flächen wie später noch blasser bei Claude Muchir 1965. Collioure erscheint auf dem undatierten „Le Fort Saint-Elme“ von Sébastienne Marre schon nächtlich düster. Mit der Schließung der „Casa Roselló“ nach nur drei Jahren bricht der Versuch ab, Collioure als Künstlerstadt zu erhalten.

Es sind dann Einzelne, die sich von den alten Themen Collioures inspirieren lassen. Antoine Martinez malt 1961 „Collioure et le fort Saint-Elme“ recht akademisch menschenleer mit Blick über Boote am Ufer und über den Hafen. Expressiv stellt Alice Martinez-Richter in „Le pêcheur aux cordages“ von etwa 1962 einen Fischer dar, der beim Trocknen seiner Leinen an den hoffnungslosen Kampf Laokoons gegen die Seeschlangen erinnert. Schon ganz vom hergebrachten Fischfang abgekommen und zum Moment der industriellen Fischerei geworden sind die dunklen, in kräftigen Farben als geometrische Flächen gemalten Fischer in den Bildern von Camille Amat. Deutlich verweisen sie auf die Veränderungen, die in Collioure und den benachbarten Städten die Industrialisierung des Fischfangs mit sich brachte.

1968 verbrennt Collioure seine Fischerboote am Strand und wendet sich von Stadt und Meer ab und ganz dem Tourismus zu: Plain soleil, der Ausstellungstitel, bezeichnet diesen Wendepunkt. Doch der Blick in die volle Sonne, so bemerkt Claire Muchir im Gespräch, macht blind. Mit Ausahme des kleinen „Soleil“-Bildes von 1971, einem pastos gemalten durchsonnten Strandbild mit katalanischen Frauen von Charly Devarennes, verlieren die Bilder von Badenden am „Plage de Collioure“  bei Martin Vivès erst ihr katalanisches Aussehen, dann verschwindet bei dessen „Baigneuses à Collioure“ 1970 auch die Farbe.

Es erscheint nur konsequent, dass 1985 auf Betreiben vor allem von René Pous und Willy Mucha das „Musée d' Art moderne de Collioure“ ins Leben gerufen wurde, um die Erinnerung an die Künstlerstadt Collioure zu bewahren. Die Exponate im letzen Raum der Ausstellung könnten internationale Kunst sein wie das großformatige „Grand espace rosé 1“ von Vincent Bioulès von 1969, das halt nichts Näheres zu sein scheint als eben eine große rosa Fläche. Doch schon Bioulès' vertikale Farbbänder von 1974, deren Titel „Bandes verticales no 2“  behauptet, sie seien nichts anderes als eben vertikale Streifen, weisen schon über sich hinaus auf die Planken-Bemalung der Fischerboote, die es schon nicht mehr gibt. Am deutlichsten wird der Verweis auf das Vergangene bei Claude Viallats „Solarisation“ von 1989. Ein rosa Tuch ist mit drei Reihen zu je fünf großen Flächen in dunklem Rot bedeckt. Es scheint, als sei das Rosa der Grund, das Rot die Figur. Doch ist es umgekehrt, Viallat hat das rote Tuch der Sonne ausgesetzt und die fünfzehn Flächen abgedeckt. So wird „Solarisation“ zur definitiven Zustandsbeschreibung für Collioure nach 1968: Die Stadt hat sich der Sonne verschrieben, und dabei ihre Farbigkeit eingebüßt. Von dem alten Collioure, das die Künstler so liebten und in ihren Werken beschworen, sind nur die Flecken an den Wänden geblieben, die ihre  Bilder hinterlassen haben und jetzt wehmütige Erinnerungen wecken.

Der Ausstellung „Plein soleil. Collioure 1945 – 1985“ ist nicht nur ein wehmütiger Rückblick auf das Verschwinden von Collioure als Künstlerstadt. Ihr gelingt etwas Außerordentliches, indem sie an der Entwicklung von Kunst deren Zusammenhang mit der Entwicklung ihrer Lebenswelt zu zeigen vermag. Dabei lässt sie unaufdringlich erleben, wie Kunst mit und aus diesem Zusammenhang Sinn gewinnt und ohne diesen bestenfalls dekorativ bleibt.

Die Ausstellung „Plein soleil. Collioure 1945 – 1985“ ist bis zum 29. September geöffnet.

·     Der Eintritt: 3€, ermäßigt 2 €.

·     Ein umfänglich bebilderter Katalog zur Ausstellung mit 140 Seiten, informativen Texten in französischer und englischer Sprache kostet 25 €.

·     Geöffnet ist das Museum Collioure täglich von 10 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr, siehe auch der hier folgende link:

www.museecollioure.com ---contact@museecollioure.com

 

Fotos: 1)  Claire Muchir erläutert „Le pêcheur aux cordages“ von Alice Martinez-Richter

2)     Camille Descossys Stierkampf-Bild „Ahora“

3)     Eröffnung der Ausstellung „Plein soleil. Collioure 1945 – 1985“

Fotos: Hanns Butterhof