Clara Schumann: Zum Gedächtnis der Pianistin und Komponistin, IOCO Portrait, Juni 2016
Clara Schumann: "An den Flügeln Europas"
1819 bis 1896: Zum Gedächtnis der Pianistin und Komponistin
Die Frau in der Gesellschaft: Das ist einer der gegenwärtigen Debatten, bei der die Köpfe heiß geredet und worüber die Suppen kalt werden. Daran wird sich auch kaum etwas ändern, sofern nicht in den Gräben, aus denen heraus sie geführt werden, Leitern lehnen, damit die Disputanten herausklettern, um sie oben auf einem von Blumenrabatten eingefriedeten Parkbank, nebeneinander sitzend, zu einem friedlichen und allseits begrüßten, wennschon in unendlicher Ferne zu vermutenden Ende zu bringen. Von Albrecht Schneider
Im Neunzehnten Jahrhundert der Clara Schumann waren Dispute, in denen die Stellung der Frau hinterfragt wurden, schlichtweg undenkbar. Von der Geburt eines Mädchens an hatten Religion und Sitte dessen sozialen Status festgeschrieben, und sie bestellten die dem Gatten untergebene Ehefrau zu Hüterinnen der Kinder, des Herdfeuers und des Doppelbetts. Ein Ausbruch aus einem derartigem Gehege wurde, ohne wie dergleichen 'Damen' als lasterhaft denunziert zu werden, nur Künstlerinnen nachgesehen, gleichviel ob sie das Klavier traktierten, die Stimmbänder strapazierten, die Schreibfeder in die Tinte tauchten oder mit dem Malerpinsel über die Leinwand strichen. Obzwar dem braven Bürgersinn das Milieu, in dem sie sich nunmehr bewegten, stets verdächtig blieb, auf dessen Angebot von Romanen, Gemälden und Virtuosinnen wollte ein darauf erpichtes Publikum keinesfalls Verzicht leisten. Sofern sich dann eine zauberhafte Erscheinung von Dame wie Clara Schumann, welcher der Ruf einer begnadeten Pianistin und zugleich Muse des komponierenden Ehemanns, seiner sorgenden Ehefrau und ebensolchen Mutter seiner Kinderschar vorauseilte, am Flügel niederließ, durfte es sich dem Ereignis halbwegs bedenkenlos ausliefern und bei Gefallen zum Schluss auch enthusiastisch applaudieren.
Ein solches weibliches Ideal tatsächlich zu verkörpern, wäre selbst dazumal einer Frau nie und nimmer geglückt. Allen zwingenden und selbst gestellten Aufgaben gleichzeitig zu genügen, das lag gewiss in Clara Schumanns Absichten, und ähnlich gewiss war deren Scheitern von Vornherein absehbar.
Als Robert Schumann um seiner Clara Hand anhielt, sollte sie zwar weiterhin die Klaviatur beherrschen, aber bitte nicht minder begnadet auch den Haushalt. Seinem Wunsch, brieflich recht blumig formuliert, widersprach die Braut zwar nicht dediziert, aber für sie stand fest: keine eheliche Pflicht in welcher Form auch immer würde sie letztlich von ihrer schicksalhaften Berufung, dem öffentlichen Konzertieren am Flügel, auf längere Sicht abhalten können.
Clara Schumann erschien 1819 in Leipzig auf der Welt als Tochter des Klavierpädagogen sowie Musikalienhändlers Friedrich Wieck und seiner Gattin Marianne. In früher Klarsicht für seines Mädchens musikalischer und insbesondere pianistischer Begabung betrieb der Vater dessen Ausbildung nicht einzig mit dem Ziel einer brillierenden Virtuosin, sondern legte neben der unabdingbaren Fingerfertigkeit gleichermaßen Wert auf Anschlagskunst, Legatospiel und Phrasierungsverständnis. Kenntnisse in Komposition, Kontrapunkt, und Partiturlesen wurden ihr von anderen Fachleuten vermittelt, kurzum, sie sollte in die Lage versetzt werden, jederzeit und überall Struktur, Charakter und Farbe des jeweiligen Musikstücks zu erfassen und es ohne technischen Mangel als ein verstandenes, und, falls angebracht, auch virtuoses Kunstwerk den Zuhörern anzubieten. Zusätzlich wurden von ihm die Aufgaben einer Schule übernommen, ein Ort, in dem sie sich nur achtzehn Monatelang aufhielt; den einer Höheren Tochter angemessenen Wissensstand wollte der Vater privat und persönlich verantwortet haben.
Was immer er tat, geschah aufgeklärt, die letzten Einsichten fortschrittlicher Pädagogik keineswegs vernachlässigend, und ohne den anderswo gern ausgeübten Drill. Von seiner Vorstellung einer perfekten Künstlerin wich der konsequente und strenge Präzeptor Wieck niemals ein Jota ab. Und mit derselben Unerbittlichkeit verstellte er bald ein Jahrzehnt hindurch den beiden Liebenden, Clara Wieck und Robert Schumann, den Weg zueinander. Um nichts in der Welt war er dazu bereit, die >allein von ihm gebildete und erzogene Tochter< einem Mann zu überlassen, den er - nicht ganz zu Unrecht - bezichtigte, niemals deren standesgemäßen Unterhalt bestreiten zu können, und den er später in einem Schreiben ans Gericht, hier ganz und gar bösartig, als >für das soziale Leben vollkommen verloren< denunzierte.
Den Intentionen des lehrenden Vaters und väterlichen Lehrers folgte das Töchterchen, die Schülerin und die Studentin solange absolut, bis sie sich früh in den ebenfalls im Hause Wieck Klavierunterricht genießenden, neun Jahre älteren Robert Schumann verliebte und sich mit ihm1837 verlobte. Sie achtzehn, er siebenundzwanzig Jahre alt. Kraft des Vaters Verbot waren die beiden bereits zuvor achtzehn Monate ohne persönlichen wie brieflichen Kontakt geblieben, und nach dem Wiedersehen und Eheversprechen fand, neuerlich von dem alten Wieck erzwungen, ihre innige wie - aufgrund des körperlich wie psychisch labilen Verlobten - prekäre Beziehung ein weiteres Jahr ohne jede Begegnung, doch immerhin auf dem Papier statt. Der Briefwechsel zwischen dem daheim sich selbst suchenden Komponisten und der anderswo in Europas Metropolen gastierenden Pianistin ist nach wie vor das lesens-werte Zeugnis einer der großen Lieben des Neunzehnten Jahrhunderts, sofern man die zwischen Frédéric Chopin und George Sand oder Richard Wagner und Mathilde Wesendonck als solche zu werten geneigt ist.
Eine Handlungsweise wie 'Auflehnung wider familiäre männliche Autorität' lag nun ganz und gar nicht in Clara Schumanns fügsamer wie feinfühliger Natur. Nein, von Anfang war sie des Vaters gehorsames Kind, nach seinem Begriff ein ihm gehörendes Instrument, das er gefertigt, dem er die Saiten aufgezogen und das er gestimmt hatte. Es ihm zu entwinden, bedurfte es der Justiz. Das von den Verlobten angerufene Appellationsgericht zu Leipzig erteilte die von Friedrich Wieck verweigerte Eheerlaubnis. Dessen zweifellos geliebter und kostbarster Besitz ging mit der Heirat 1840 endgültig in die Hände Robert Schumanns über. Gleichwohl vergaß dessen Gattin niemals, was der eigensinnige, quälende Vater und vorzügliche Pädagoge aus ihren Anlagen gemacht und bis zu welcher Meisterschaft er sie geführt hatte.
Als Schumanns körperlicher Zerfall und seine arme kranke Seele ihn in der Heilanstalt Endenich 1856 sterben ließen, war die Gattin Clara siebenunddreißig Jahre alt. Acht Kinder, von denen eins bereits nicht mehr lebte, benötigen ihre Fürsorge. An die zwölf Konzertreisen quer durch Europa und vielfache Auftritte hierzulande hatte sie bewältigt. Von ihr wurde der immer offener Symptome einer manisch-depressiven Erkrankung aufweisende Ehemann unter Anstrengung am realen wie an seinem kreativen Leben erhalten, der Haushalt besorgt, die Töchter und Söhne unterrichtet, manchen Fremden Klavierstunden erteilt und zu den wenigen Stunden, die ihr der komponierende, hypersensible Gatte einräumte, am Flügel geübt. Zudem notierte sie selber noch eigenständige, zeitgemäß romantische Musik, darunter ein Trio für Klavier. Den hohen Anspruch an sich selbst als Künstlerin inbegriffen, hatte sie sich sehr oft sehr schwer getan, jeder Forderung des Tages zumindest fragmentarisch gerecht zu werden. Was beim Studium ihres Stundenplans einleuchtet.
Eine dermaßen ausgestaltete, in nahezu jeder Hinsicht erschöpfende weibliche Existenz mutet im 21. Jahrhundert schier exotisch an, und taugt als Selbstverwirklichungsmodell der 'Postmoderne' bestenfalls zur Vorlage für einen sentimentalen Frauenlebenroman oder einen Film gleicher Beschaffenheit.
"Gott gebe mir die Kraft, zu leben ohne ihn", schrieb sie, die unter dem wennschon absehbaren endgültigen Abschied von ihrem Mann noch mehr litt, als es fünfzehn Jahren beim Weggang vom Vater der Fall gewesen war. Clara Schumann, die große Liebende, hatte sich dem genialen Komponisten, dem an sich leidenden Menschen und sie vergötternden Robert Schumann ergeben. Auch wenn das, zu seinem Missmut, bei weitem nicht ausschließlich geschah, so wäre er ohne sie noch früher verloren gewesen, und sie hätte sich ohne ihn nicht weiterhin zu jener Frau und Künstlerin zu vollenden vermocht, als die sie nunmehr in Erscheinung trat.
Noch in des Komponisten besseren Tagen hatte Johannes Brahms in Düsseldorf bei Schumanns gastiert, von dem Hausherrn herausgegebenen und redigierten >Neue Zeitschrift für Musik< als >als starker Streiter< in der musikalischen Welt willkommen geheißen. Bei seines Lobredners Witwe übernahm der zweiundzwanzigjährige, durchaus schon gereifte junge Mann die Funktion der dritten und zudem letzten männlichen musischen wie profanen Autorität. Was Fragen der Musik, Vor- und Ratschläge betreffs ihrer Gastspielreisen, des Umgangs mit den Kindern anbelangte, stand er ihr als kompetente Instanz zur Seite. Sie indessen wurde ihm zu einer Freundin, liebend, besorgt, bisweilen fast mütterlich. Ein wechselweises Geben und Nehmen zweier großherziger Menschen und begnadeter Künstler. Inwieweit ihre enge Beziehung sich auch zu einer zweier Liebender steigerte, und wie nahe sie sich überhaupt kamen, darüber raunte man ausgiebig. Allein wie es sich letzten Endes verhielt, das enthüllte sich der Öffentlichkeit nicht. Und im Grunde brauchte es bis heute auch niemand zu wissen.
Wiewohl des allerbesten Freundes Verhalten bisweilen verstörte, Missverständnisse auf beiden Seiten zeitweilig die Stimmung verdarben und die Herzensbindung sich lockerte, niemals führten Querelen bloß annähernd zu einer Entzweiung. Die Vertrautheit zwischen ihnen währte bis 1896, bis zu der Freundin Sterben mit fünfundsiebzig Jahren.
Clara Schumanns zweite Lebenshälfte, mit des Gatten Tod als Schnittpunkt, verlief ähnlich geschäftig, unruhig, sorgenvoll aber auch beifallumrauscht und beglückend wie die erste. An die fünfzig Konzertreisen durch Europa mit unzählige Auftritten in deutschen Landen waren zu verkraften, und mit ihnen die Kümmernisse mit unbeständigen oder kranken Kindern sowie der Verlust der Tochter Julie, siebenundzwanzig Jahre alt, durch Tuberkulose. Und der ihrer Söhne Felix und Ferdinand musste hernach ebenfalls ertragen werden. Periodisch hemmten und verhinderten rheumatische Schmerzen das Klavierspiel, die geringeren Einkünfte erschwerten dann den Unterhalt der Großfamilie. Allein die von ihrer Berufung geradezu besessene Frau floh aus Bürden und Gram regelmäßig in Tourneen und Soireen. Nachgerade übertraf ihr Ruf den der konkurrierenden Tastenlöwen Ignaz Moscheles und Friedrich Kalkbrenner, er kam dem des allergrößten Franz Liszt sehr nahe. Und die Honorare fielen wieder entsprechend aus.
Dem Auditorium, nicht immer davon angetan, versuchte sie neben dem fast vergessenen J.S. Bach das Werk Robert Schumanns näherzubringen, von 1878 bis 1892 lehrte sie am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main und gab zudem Privatstunden. Ihr öffentliches Konzertieren endete 1891, zu ihren Zuhören hatten Cherubini, Meyerbeer, Chopin, Mendelssohn-Bartholdy, die damaligen 'Stars' der europäischen Musikszene ebenso gezählt wie die der literarischen, nämlich Goethe, Heine und Grillparzer, der ihr sogar ein Gedicht widmete. Wobei längst nicht alle genannt sind.
Diese Pianistin repräsentiert wie jene hochgeschätzten Kollegen die musikalische Welt des 19. Jahrhunderts. Künstlerin, Gattin und Mutter in sich vereinend, kann der Clara Schumann eine emanzipatorische Bedeutung beizumessen so falsch nicht sein.
Im Unterschied zu ihrer Schwester im Geiste und der leiblichen des Felix Mendelssohn-Bartholdy, jener genialen Fanny Hensel, die sich von Vater und Bruder die Karriere gleichsam verbarrikadieren ließ, indem ihr von beiden lebenslang ein öffentliches Auftreten am Flügel und als Komponistin untersagt wurde, hatte sich Madame Schumann wider eine männliche Autorität, die ihre Vorrechte aus dem 'Männlichen' schlechthin herleitete, durchzusetzen gewusst, hingegen geistige und künstlerische stets anerkannt und in der Überzeugung der eigenen Ebenbürtigkeit gewürdigt.
Nicht zuletzt dank ihrer Wirkung begann sich der eindimensionale Blick des Publikums auf das Podium zu weiten, denn nicht länger setzte sich dort eine Tastenakrobatin an den Flügel, sondern ein Mensch und eine Künstlerin, wie sie in Clara Schumann, geb. Wieck, vorbildlich und bewundernswert Gestalt gewannen. IOCO / Albrecht Schneider / 18.06.2016