Bruckner - Lateinische Motetten - Latvian Radio Choir, IOCO CD-Rezension, 10.02.2021

Bruckner - Lateinische Motetten - Latvian Radio Choir, IOCO CD-Rezension, 10.02.2021
Anton Bruckner - Lateinische Motetten - Latvin Radio Coir - ONDINE CD Bestell Nr 10307350 © ONDINE
Anton Bruckner - Lateinische Motetten - Latvin Radio Coir - ONDINE CD Bestell Nr 10307350 © ONDINE
Anton Bruckner  -   Lateinische Motetten

Latvian Radio Choir, Sigvards Klava. CD - Ondine Bestell-Nr. 10307350

von Julian Führer

Anton Bruckner anders – Geistliche Chöre in beeindruckender Aufnahme aus Lettland

Anton Bruckner Wien © IOCO
Anton Bruckner Wien © IOCO

Anton Bruckner (1824-1896) - einerseits sehr bekannt, andererseits oft unterschätzt - ist vielleicht auch verkannt. Seine großen Symphonien sind heute noch Garant für seine relative Popularität, doch verblasst sein Ruhm etwas neben Namen wie Johannes Brahms (dem zu Lebzeiten der beiden weitaus mehr geschätzten Symphoniker), Piotr Tschaikowsky (vor allem für die Solokonzerte und die Ballette) und Richard Wagner, den Bruckner als Komponist sehr verehrte, dem er aber auf dessen Gebiet, der Oper, nie nachzueifern suchte. Gleichzeitig war Bruckner gläubiger Katholik, dem ein breites Œuvre an geistlicher Musik zu verdanken ist. Seine Messen sind mitunter im Konzertsaal zu hören (jedenfalls waren sie es, solange es noch Chorkonzerte gab).

Das finnische Label Ondine hat nun eine Einspielung der Lateinischen Motetten mit dem Lettischen Rundfunkchor unter der Leitung von Sigvards Klava herausgebracht, die eine andere Facette des Komponisten in Erinnerung ruft. Die Aufnahme entstand im März 2020 im Rigaer Dom und wurde von Agnese Strejca und dann im Tonstudio in Helsinki von Enno Mäemets aufbereitet.

Schon mit sechzehn Jahren leitete Bruckner den Kirchenchor von Windhag, im Jahr 1861 wurde er Leiter der Liedertafel Frohsinn, er war mit den Möglichkeiten und den Erfordernissen des Komponierens für die menschliche Stimme also bestens vertraut. Kronstorf, wo er ebenfalls wirkte, zählte zum damaligen Zeitpunkt nur etwa 150 Seelen. Im nahegelegenen Steyr konnte Bruckner aber auf eine gute Orgel und ein vergleichsweise reiches Musikleben treffen, so dass er immer wieder auch geistliche Gelegenheitskompositionen schrieb.

Als Motetten werden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Chorstücke meist geistlichen Inhalts bezeichnet, die aufgrund des liturgischen Kontextes lateinische Texte der christlichen Tradition in Musik setzen; die Abgrenzung des Genres ist hierbei nicht mathematisch streng, da die Stücke unterschiedliche Titel wie Graduale, Antiphon oder Hymnus tragen und auch Teile der Kronstorfer Messe auf der CD zu hören sind (das von Joel Valkila verfasste Beiheft der CD erläutert diese Verhältnisse auf informative Weise).

Anton Bruckner - Lateinische Motetten - Latvin Radio Coir - ONDINE CD Bestell Nr 10307350 © ONDINE
Anton Bruckner - Lateinische Motetten - Latvin Radio Coir - ONDINE CD Bestell Nr 10307350 © ONDINE

Die hier präsentierten Stücke für Chor haben entsprechend unterschiedlichen Charakter – mal nur anderthalb Minuten lang, mal (wie Christus factus est) ein Thema über fünf Minuten entwickelnd. Auch der Satz der Stimmen wird unterschiedlich gehandhabt – nicht immer sind Frauenstimmen dabei, teilweise wird der Satz bis in acht Stimmen differenziert. Schließlich kommt bei den Stücken 5, 12, 13 und 17 noch die von Kristine Adamaite gespielte Orgel dazu. Das Corpus der Kompositionen ist also heterogener, als es zunächst den Anschein haben könnte.

Die frühesten auf der CD vertretenen Kompositionen, Vertonungen des Hymnus Tantum ergo (auf Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert zurückgehend), schrieb er mit etwa 21, 22 Jahren, das Vexilla regis (nach einem bekannten Hymnus des Venantius Fortunatus aus dem 6. Jahrhundert) hingegen 1892 an seinem Lebensende als fast Siebzigjähriger, also noch nach der achten Symphonie.

Es ist nicht leicht, der Vielgestalt dieser Kompositionen gerecht zu werden – Bruckner komponierte im Laufe der Jahrzehnte und je nach Thematik der Stücke zu unterschiedlich. Einige haben mehr musikalischen Zuckerguss (der Schluss des Os Justi WAB 30, das Tantum Ergo WAB 42 und vor allem das Tantum Ergo WAB 43 mit Orgel), wo es sich dann prompt etwas nach Josef Gabriel Rheinberger anhört.

Virga Jesse (WAB 52) überrascht mit Chromatik und deutlich schnellerer Rhythmik. Tota pulchra es Maria (WAB 46) hingegen ist als Antiphon komponiert, bei der Janis Kurševs als Vorsänger mit klarem Tenor, der sich im Raum sehr gut entfaltet, aufhorchen lässt. Ein mächtiger Orgeleinsatz ist hier ein weiterer Kontrast zum sehr zurückhaltenden sonstigen Einsatz dieses Instruments.

Dies sind längst nicht alle Werke Bruckners, die man als Motetten bezeichnen könnte, vielmehr eine klug getroffene Auswahl, die Lust auf mehr macht. Am beeindruckendsten allerdings ist die Leistung des Lettischen Rundfunkchors: Die gut zwanzig Männer und Frauen haben einen sehr homogenen Klang, eine überaus sichere Intonation, und die Stimmen schaffen für jedes Werk eine eigene Stimmung. Wenn die Bässe ein langes F halten, wenn der gesamte Chor pianissimo singt, scheint das alles gänzlich mühelos zu sein, es wird sehr ruhig geatmet – eine Lehrstunde in kultivierter Gesangskunst. Sigvards Klava leitet den Chor so, dass die Phrasierung und die Dynamik stets zwingend erscheinen.

Leitung, Chor, nicht zuletzt aber auch die Orgel, der Raum und die Aufnahmetechnik machen diese ONDINE - CD zu einer schier idealen Umsetzung, gerade auch im Vergleich zu bereits bestehenden Aufnahmen.

---| IOCO CD-Rezension |---

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