Bregenz, Festspielhaus, SIBERIA - Umberto Giordano, IOCO Kritik, 06.08.2022
SIBERIA - Oper von Umberto Giordano
- eine Geschichte um die Kurtisane Stephana -
von Marcus Haimerl
Die Bregenzer Festspiele spielen dieses Jahr auf der Seebühne Giacomo Puccinis Madama Butterfly und im Festspielhaus Umberto Giordanos Siberia. Zwei Opern mit einer besonderen Verbindung. Eigentlich hätte Puccinis Tragedia giapponese im Dezember 1903 an der Mailänder Scala uraufgeführt werden sollen. Puccinis schwerer Autounfall am 23. Februar 1903 hinderte den Komponisten für einige Monate an der Kompositionsarbeit, der Termin im Dezember war nicht zu halten. Stattdessen wurde am 19. Dezember 1903 Umberto Giordanos Siberia in Mailand aus der Taufe gehoben und Puccinis Madama Butterfly auf den 17. Februar 1904 verschoben. Erstmals gab es in der Geschichte des Mailänder Opernhauses zwei Uraufführungen in nur einer Saison. Eine weitere Verbindung ist neben dem gemeinsamen Librettisten Luigi Illica auch die Besetzung der beiden Opern: Rosina Storchio interpretierte Stephana und Cio-Cio-San, Giovanni Zenatello sang Vassili und Pinkerton, Giuseppe De Luca gab Gleby und Sharpless. Auch am Pult stand in beiden Fällen Cleofonte Campanini, der Nachfolger Arturo Toscaninis. So ist die szenische Umsetzung beider Opern ebenso dem gleichen Team zu verdanken. Während 1903 die Oper Siberia ein Erfolg war, scheiterte Puccini mit seiner japanischen Oper. Ob die möglichen Gründe dafür in der antijapanischen Stimmung nach Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges am 8. Februar 1904 oder ein von den beiden rivalisierenden Verlagshäusern (Ricordi und Sonzogno) inszenierter Skandal war, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Puccini überarbeitete nach dem Misserfolg seine Madama Butterfly, heute zählt sie zu seinen populärsten Werken, während Giordanos russische Oper Siberia aus den Spielplänen der Opernhäuser verschwand. Fast 120 Jahre nach der Uraufführung der beiden Opern bringen die Bregenzer Festspiele diese beiden Opern wieder gemeinsam zur Aufführung.
Der russische Regisseur Vasily Barkhatov ergänzt die Geschichte um die Kurtisane Stephana und ihrer Liebe zu Vassili um eine Rahmenhandlung, die sich mit ergänzenden Filmen auch auf der Bühne abspielen. Die Handlung dieser Inszenierung beginnt 1992 in Rom. Eine alte Frau begibt sich, mit einer Urne im Arm, welche die Asche ihres Bruders enthält, auf eine Reise nach St. Petersburg und Sibirien auf der Suche nach ihrer eigenen Vergangenheit in einem für sie fremden Land. Als sie in der Filmeinspielung an einer Türe läutet, hebt sich die Leinwand und die Bühne zeigt die St. Petersburger Wohnung von innen. Die alte Frau erlebt nun auf der Bühne die Geschehnisse des ersten Akts. Stephana, die Mutter der alten Frau, wurde einst von dem Kuppler Gleby zur Kurtisane gemacht. Sie führt nun ein Leben abseits finanzieller Nöte in den höchsten Gesellschaftskreisen. Besonders Fürst Alexis ist ihr zugetan und überhäuft sie mit Geschenken. Doch mittlerweile hat sie sich in Vassili verliebt. Diesem verschweigt sie ihr Leben als Kurtisane. Bevor er sich dem Militär anschließt, sucht Vassili seine Amme Nikona auf, die nun Stephanas Dienerin ist. In Stephana erkennt er seine Geliebte. Fürst Alexis überrascht die beiden, Stephana verkündet ihre Liebe zu Vassili und es kommt zum Zweikampf zwischen den beiden Kontrahenten, bei dem Vassili den Fürsten verletzt. Er wird festgenommen.
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Zu Beginn des zweiten Aktes sucht die alte Frau ein Archiv des Gulags in Sibirien auf und entdeckt die Geschichte ihrer Eltern. Vassili wurde nach seiner Festnahme als Zwangsarbeiter ins sibirische Straflager verbannt. Plötzlich erscheint dort Stephana, die ihre Besitztümer und auch ihr Leben in St. Petersburg aufgegeben hat, um ihrem Geliebten zu folgen. Während im Hintergrund die Klagen der Verurteilten erklingen, gehen die Beiden gemeinsam in die Verbannung. Der dritte Akt spielt in einer Strafanstalt in den Transbaikal-Minen. Es herrschen unerbittliche Zustände im Straflager, dennoch bestärken sich Stephana und Vassili in ihrer Liebe füreinander. Beide sind mittlerweile Eltern geworden. Der ebenfalls verbannte Gleby taucht plötzlich auf und verrät ihr einen Weg, um aus dem Lager zu fliehen. Sie weigert sich aber Vassili zu verlassen. Daraufhin verrät der gekränkte Gleby den Gefangenen Stephanas Vergangenheit als Kurtisane. Im Zorn klagt Vassili seine Geliebte an, bereut seine Worte jedoch schnell wieder. Jetzt wehrt sich Stephana und stellt Gleby als Lügner und Ausbeuter bloß. In der Osternacht beschließen Stephana und Vassili zu fliehen. Von Gleby alarmiert folgen die Soldaten den Fliehenden, es fällt ein Schuss. Stephana sinkt tödlich getroffen in die Arme Vassilis und stirbt. Auch die alte Frau der Rahmenhandlung ist an ihrem Ziel angekommen. Sie verteilt die Asche ihres Bruders und sinkt, vereint mit ihren Eltern, in den Schnee.
Die Rahmenhandlung von Regisseur Vasily Barkhatov fügt sich, wie auch die Filme (Kamera Pavel Kapinos, Schnitt Sergey Ivanov, Bildgestaltung/Video Christian Borchers) nahtlos und passend in die Handlung ein, wie auch die wenigen, von anderen kleinen Partien der Oper übernommenen Textzeilen der alten Frau (Clarry Bartha). Ein authentisches Bühnenbild und ebensolche Kostüme (Bühne Christian Schmidt, Kostüme Nicole von Graevenitz) unterstützen die ausgesprochen glaubwürdige Personenführung Barkhatovs.
Auch wenn Giordanos Oper über keine klassischen Ohrwürmer verfügt, beweist die musikalische Seite des Abends, dass diese Oper durchaus eine Wiederentdeckung wert ist.
Die kanadische Sopranistin Ambur Braid begeistert mit ebenso höhensicherem, wie hochdramatischem Sopran als Stephana und ist auch als starke, selbstbestimmte leidenschaftliche Frau mehr als überzeugend. Als Vassili steht ihr der russische Tenor Alexander Mikhailov zur Seite, der mit schönem Timbre und authentischem Spiel eine ausgesprochen solide Leistung abliefert. Scott Hendricks ist mit kräftigem, dunklem Bariton ein glaubwürdiges Ekel. Mit besonderer Strahlkraft, schöner Phrasierung und noblem Tenor begeistert Omer Kobiljak in der Partie des Fürsten Alexis. Berührend ist die Darstellung der schwedischen Sopranistin Clarry Bartha als alte Dame der Rahmenhandlung. Hervorragende Leistungen auch vom restlichen Ensemble: Frederika Brillembourg (Nikona), Manuel Günther (Ivan/Der Kosak), Michael Mrosek (Bankier Miskinsky/Der Invalide), Unnsteinn Árnason (Walinoff/Der Gouverneur), Stanislav Vorobyov (Der Hauptmann/Der Aufseher), Rudolf Med?anský (Der Sergeant) und Bronislav Palowski (Stimme der Mugiki), aber auch der hervorragend einstudierte Prager Philharmonische Chor (Chorleitung Lukáš Vasilek).
Valentin Uryupin dirigiert die unglaublich einsatzfreudigen Wiener Symphoniker ebenso feinfühlig wie präzise. Viel Applaus und Jubel vonseiten des Publikums für eine zu Unrecht in Vergessenheit geratene Oper. Die Produktion wird als Koproduktion ab dem 12. März 2023 vom Theater Bonn in geänderter Besetzung (nur Clarry Bartha ist wieder als alte Frau zu erleben) übernommen. Es bleibt zu hoffen, dass Siberia wieder Eingang in die Spielpläne der Opernhäuser findet.
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