Bregenz, Bregenzer Festspiele, Nowhere - Ein Un-Ort mitten in der Stadt, 2.-9.08.2011
"NOWHERE" - EIN UN-ORT MITTEN IN DER STADT
Formentis Klavierperformance durchbricht übliche Konzertkonventionen
Für sein Projekt "Nowhere" spielt, lebt, atmet, isst und schläft der Pianist Marino Formenti für acht Tage in der Bregenzer K12 Galerie, die zuweilen zu einem erbarmungslos öffentlichen und zugleich privaten Raum wird. Mit diesem Musikprojekt überschreitet Formenti die Trennung zwischen Bühne und Leben, Tag und Nacht, lässt übliche Konzertkonventionen von Zeit, Programm, Ort hinter sich und erprobt seine eigenen Grenzen: Acht Tage voller Musik, die sich ebenfalls bewusst herkömmlicher Virtuositätsdramaturgie verweigern. Das Publikum ist eingeladen, über Stunden zu verweilen, zu kommen, zu gehen, wieder zu kommen, wieder zu hören und so Musik neu wahrzunehmen. Auch als Livestream kann das Projekt rund um die Uhr verfolgt werden.
Dabei steht der 1965 geborene Italiener dem Musikbetrieb als solchem durchaus kritisch gegenüber. "Es ist für den Musiker auf der Bühne nicht immer leicht, das eigene kleine Ego im Künstlerzimmer zu lassen. Wer das Gegenteil davon behauptet, macht sich etwas vor", so Formenti, der aus dieser Problematik die Konsequenz zog, alternative Konzertformate zu entwickeln. Bisheriger Höhepunkt seiner unkonventionellen Musikprojekte ist die Performance "Nowhere" die erstmals im vergangenen Oktober im Rahmen des Musikprotokolls des Steirischen Herbstes realisiert wurde. Für die Bregenzer Festspiele hat Marino Formenti das Projekt weiterentwickelt. Vom 2. bis 9. August 2011 spielt Marino Formenti täglich zwischen 10.00 und 22.00 Uhr Werke von Erik Satie, Morton Feldman und des Grazer Komponisten Klaus Lang, der dem Projekttitel mit seinem Zyklus "now.here" eine andere Leseart gegeben hat. "Hier" und Jetzt" statt "nirgends", das drückt es treffend aus, was bei diesem Experiment geschehen kann: "Dem Besucher steht es völlig frei, wann er kommen oder gehen möchte, zu kommen, zu gehen um wiederzukommen, wann immer er möchte, sich in Zeit und Ort zu verlieren, um zu einem intensiveren Erleben des Hier und Jetzt zu gelangen". Das unentwegte Musizieren und allumfassende Konzertformat gibt mir die Möglichkeit als Person im ‚Nowhere‘ zu verschwinden", berichtet Formenti. "Nowhere ist kein Marathon, auch kein Kraftakt, sondern lediglich ein Versuch, wenigstens für eine Woche ganz in Musik aufzugehen."
Für Formenti ist "Nowhere" aber zugleich auch ein irdischer Raum mit all seinen Höhen und Tiefen, dessen erweiterte Zeitdimensionen übliche Erfahrungserlebnisse sprengen. "Ich lerne dabei sehr viel über das Musikmachen und Musikhören. Bregenz ist für mich jetzt die zweite Etappe dieser Reise, die ich noch weiter führen werde. Dafür habe ich das Programm um John Cage und andere Komponisten erweitert." Gespräche mit Marino Formenti sind während der Performance nicht möglich, da am Ende nur das Hören stehen soll, welches der gesteigerten Intensität dient. "Das Ausgeliefertsein - Ausgestellt sein - der Kontakt zum Publikum ist bei dieser Performance ungeheuer stark, trotz des Verbots, mit mir zu sprechen oder anderweitig Kontakt aufzunehmen. Das Live Streaming rund um die Uhr verstärkt den Aspekt zusätzlich, mich von der Privatheit zu befreien. Eine Woche bin ich dann dort, wo in meiner Vorstellung jeder Musiker sein möchte: in der Musik." Bevor sich Formenti - gleichsam religiöser Exerzitien - mitunter der Schweigeregel unterwirft, hat das Publikum die Gelegenheit, den Künstler beim Festspiel-Frühstück am 31. Juli ab 10.00 Uhr im Bregenzer Festspielhaus zu erleben. "Nowhere" entsteht in Zusammenarbeit mit der K12 GALERIE, Bregenz, und mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Forberg-Schneider.
Termin: 02.08. - 09.08.2011, durchgehend von 10.00 - 22.00 Uhr; Eintritt frei
Veranstaltungsort: K12 Galerie Kirchstraße 12 Tel: +43 (0)664-1233 212
E-Mail: office@k12galerie.at www.k12galerie.at
Livestream rund um die Uhr auf www.marinoformenti.com und auf www.bregenzerfestspiele.com.
MARINO FORMENTI ÜBER NOWHERE
Ich habe vor ein paar Jahren für Wien Modern ein Projekt über Jani Christou realisiert, einen Komponisten, der die Frage Musik versus Leben radikal gestellt hat. Das Leben und die Performance müssen eins werden. Da ich die Musik so intensiv wie möglich mit "expressiver" Arbeit laden, gleichzeitig mein Leben auf die Performance vorbereiten, expressiv "aufladen" musste, filmte ich wochenlang mein ganzes Leben samt den vielen Stunden des Übens. Meine Vorbereitung wurde noch umfassender als sonst, so allumfassend wie es nur ging. Das war natürlich ein sehr beglückendes Gefühl. Nach dem Konzert hatte ich richtig Angst, keine andere Musik mehr spielen zu wollen. Ich wäre nämlich bald verhungert und für verrückt erklärt worden.
So unvernünftig wollte oder konnte ich doch nicht sein. Doch die Versuchung war groß, die eigentlichen musikalischen Fragen, die Fragen nach dem unergründlichen Übergang zwischen "Musik machen" und "Musik nicht mehr machen" zu stellen - und dies nicht zwischen Büroalltag und letzter U-Bahn, in der manchmal verheerenden Hektik des Konzertlebens. Ich möchte wissen, wie ein Sforzato nicht nach 20 Minuten, sondern nach 20 Stunden Pianissimo klingt. Ich möchte wissen, welche Form das Staunen über ein Werk, das Staunen über Musik überhaupt annimmt, wenn man das Werk, die Musik noch und noch und noch einmal spielt, sie zu seinem Leben macht, jenseits des eigenen privaten Vergnügens. Ich sehne mich nach einem Nowhere, einer Art heidnischen Kapelle, wo mein Leben wieder Musik werden kann, wenigstens eine kleine Woche lang noch. Als wegweisende Mitbewohner habe ich immer wieder neuen Komponisten aus mehreren Generationen gewählt, wie Erik Satie, Morton Feldman, John Cage oder Klaus Lang, die in der langen Ära des Ichs am liebsten verschwinden mochten und möchten.
Don‘t push the sounds around, sagt Morton Feldman. Lasst sie sein, lasst sie zu, verschwindet. Das könnte die Lösung sein. Wenn es eine gäbe.
Legen Sie sich am besten hin, und lassen Sie sich Zeit.
Pressemeldung Bregenzer Festspiele