Braunschweig, Staatstheater Braunschweig, Faust - Charles Gounod, IOCO Kritik, 24.12.2019
Faust - Charles Gounod
- Faust folgt dem Satan .... Spannungsreiche Inszenierung -
von Christian Biskup
Das Staatstheater Braunschweig kann seit der Uraufführung des Faust I. am 19. Januar 1829 im alten Hagenmarkttheater eine besondere Faust-Tradition aufweisen. Während Charles Gounods Oper als Margarethe bis zum zweiten Weltkrieg regelmäßig auf den Plänen des Theaters stand, so war das Stück danach nur noch selten zu sehen. Nun steht das Werk nach einem Libretto von Jules Paul Barbier und Michel Florentin Carré in einer temporeich-amüsanten Inszenierung wieder auf dem Spielplan.
Die Handlung ist schnell erzählt: Faust ist seines Lebens überdrüssig, er sehnt sich nach der Jugend und will sein Dasein mit einem Giftbecher beenden. Er hadert mit Gott, ruft Satan zu sich, der ihm Marguerite in einer Vision erscheinen lässt. Bei einem Volksfest unterstellt Valentin seine Schwester Marguerite dem Freunde Siebel, da er in den Krieg ziehen muss. Zur allgemeinen Erheiterung will Wagner ein Lied anstimmen, doch Méphistophélès unterbricht ihn und verkündet die tragischen Kriegsschicksale einiger anwesender Männer und höhnt Marguerites Schönheit. Valentin will ihn bekämpfen, doch Satans Macht ist stärker und die Menge geht auseinander. Nun hat Faust freie Bahn zu Marguerite, doch sie lehnt seinen Arm ab.
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In Marguerites Haus: Siebel bringt Blumen, Méphistophélès jedoch ein prächtiges Schmuckkästchen, welches Marguerite und Marthe in Begeisterung versetzt. Während Méphistophélès Marthe umspielt, kann sich Faust dem Objekt seiner Sehnsucht nähern und erlangt mit Satans Hilfe schließlich ihre Liebe. Ein Jahr später ist Marguerite jedoch allein – Faust hat sie verlassen, sie ihr gemeinsames Kind getötet. In der Kirche sucht sie Schutz, doch statt Gottes Trost verflucht Méphistophélès ihr Leben. Faust jedoch empfindet Reue, kehrt zu ihrem Haus zurück, wird dort von Valentin empfangen, den er im Duell tötet. Seine letzten Worte verfluchen seine Schwester. Faust und Méphistophélès zieht es zum Hexensabbat auf den Blocksberg. Faust jedoch will zu Marguerite, die auf ihr Richturteil wartet. Sie verzichtet auf Rettung durch den Satan. Während er sie verdammt, verkündet ein himmlischer Chor ihre Erlösung.
Auf dieses Bühnenwirksame Libretto komponiert Gounod eine Partitur, die ganz in der Tradition der Opéra-comique steht, jedoch auch schon einige Wagnerismen enthält. Die Inszenierung von Markus Bothe überzeugt durch eine lebendige Personenführung, großen Detailreichtum, raffinierte Nutzung der Drehbühne und ein hohes Tempo. Den ersten Akt verlegt Bothe von Fausts Studierstube in ein Krankenhaus, wo Faust in einem Bett zuckend vor sich hin siecht und schließlich zum Giftbecher (hier mit Schlaftabletten gefüllt) greifen möchte. Auf seinen Ruf „Satan erwache“, springt Satan hinter einem Vorhang hervor, der Faust mit ein paar pyrotechnischen Effekten von seinen übernatürlichen Kräften überzeugt. Gemeinsam ziehen sie in leicht morbides Wirtshaus, in dem fröhlich gezecht und gefeiert wird. Mit dem „Rondo vom goldenen Kalb“ merkt der Besucher spätestens, dass Méphistophélès im Fokus der Inszenierung steht und dass er alle Fäden der Handlung in der Hand hält. Er lässt die Feiergesellschaft – toll choreografiert – herumzucken und schließlich in der zweiten Strophe in eine große Prügelei übergehen. Weitere kleine Zaubertricks, wie die Verwandlung von Bier in Wein oder die Entwaffnungen Valentins, lassen auch die Gesellschaft erfahren, mit wem sie es zu tun haben. Faust und Marguerite rücken dabei etwas in den Hintergrund und können sich erst zum Ende des Aktes in den Vordergrund spielen.
Der dritte Akt spielt in Marguerites Zimmer. So unschuldig wie ihre Seele ist das Zimmer gestaltet (Bühne Robert Schweer). Weiß-hellblaue Tapeten, weiße Holzvertäfelungen, ein Kruzifix an der Wand, ein Fenster zum Park raus. Wie romantisch gelingt der Auftritt Siebels mit Blumenstrauß durch das Fenster, wie glänzend das Anlegen des Schmuckes, aus dem innerlich leuchtenden Schmuckkästchen! Doch auch hier zeigt der Regiesseur seinen Humor – direkt nach Méphistophélès Auftritt, hängt dieser seine Jacke über das Kruzifix. Durch stetige Auf- und Abtritte der Personen, aber auch durch die Allgegenwärtigkeit Méphistophélès, der gestisch das Geschehen im Zimmer auch von außerhalb kommentiert, wird der lange dritte Akt keinen Moment langweilig. Besonders sein Spiel mit Marthe ist an Komik kaum zu übertreffen. Trotzdem bleiben auch die Gefühle, auch Dank schöner Lichtregie, beim Zusammenkommen der beiden Protagonisten nicht auf der Strecke!
Umso krasser wirkt die Trostlosigkeit des Raumes im vierten Akt – fahles Licht, ein fast leerer Raum. Dazu passt auch der moderne Kircheninnenraum der Kirchenszene. Geradezu widerwärtig, lässt Markus Bothe Méphistophélès hinter dem Altar erscheinen, sich über diesen zu Marguerite emporräkeln, um in einem Höhepunkt seine Arme verfluchend um sie, von einem bedrohlich maskierten Chor umgeben, zu schlingen.
Der letzte Akt ist im Vergleich zu den vorherigen starken Akten etwas schwach geraten. Während der Bacchanal-Musik von Louis Schindelmeisser räumen Bühnenarbeiter die Bühne leer und geben den Blick auf ein gigantisches Skelett im Bühnenhintergrund frei, dessen Bedeutung sich dem Autoren nicht erschließt - Marguerite steht, von Leere umgeben alleine in der Mitte, Faust kann nicht richtig zu ihr vordringen. Die Szene wird so aufgelöst, dass Marguerite in den Hintergrund geht, der himmlische Chor schirmt ihn von seiner Geliebten ab.
Neben der starken Regie, ist auch die teils überragende Leistung des Ensemble ein Grund die Produktion zu sehen. Mit Ekaterina Kudryavtseva stand der Publikumsliebling der Braunschweiger als Marguerite zur Verfügung. Mit ihren langsam zum dramatischen neigenden, flexiblen Sopran konnte Sie das Publikum schnell für sich gewinnen. Anmutig, schlicht und anrührend gestaltete sie das Lied des "Königs von Thule", wenige Minuten später mit gezielten Spitzentönen und flüssigen Koloraturen die Juwelenarie. Ihr unschuldiges Spiel ist glaubhaft, umso stärker wirkt ihre Verzweiflung, die sie auch stimmlich in dramatischen Ausbrüchen umsetzen kann. Das Publikum dankte mit viel Applaus und Bravo-Rufen.
Als Faust agierte der Koreanische Tenor Kwonsoo Jeon. Sein stimmliches Material, seine gute Diktion, aber auch sein Spiel, überzeugte. Seine Höhe hat strahlkraft und beeindruckt besonders durch die scheinbare Mühelosigkeit, die selbst beim hohen C der Kavatine „Salut, demeure chaste et pure“ keine große Anstrengung verrät. Dennoch bleibt er aufgrund der satanistischen Überpräzens etwas blass.
Valentin Aniken singt als Méphistophélès und besonders spielt die komisch-bösartige Figur so stark, dass man sich wahrscheinlich keinen besseren Darsteller mehr vorstellen kann. Groß, schlaksig und mimisch enorm wandlungsfähig füllt er die Rolle köstlich aus. Das er nicht nur die zahlreichen kleinen Gags des Regisseurs, sondern auch dämonische Boshaftigkeit kann, zeigt das Ende des dritten Aktes: Faust erringt Marguerite und Satan hat seinen Vertrag erfüllt – dämonisches Lachen!
Stimmlich verfügt Aniken über einen voluminösen, volltönenden Bass mit starker Tiefe und baritonal glänzender Höhe. Leider ist seine Diktion und Aussprache teilweise so ungenau, dass man gar nicht feststellen kann, in welcher Sprache die Oper gerade gegeben wird. Dennoch wird das „Rondo vom goldenen Kalb“ nicht nur szenisch, sondern auch gesanglich ein Fest für die Ohren.
Neben den drei Hauptpersonen, konnten auch die Sänger der kleineren Rollen – übrigens wurden sämtliche Rollen aus dem Ensemble besetzt – überzeugen. Wunderbar naiv in ihrer Hosenrolle gestaltete Milde Tubelyté die Partie des Siebel. Zachariah N. Kariithi übernahm die Rolle des Valentin, die er besonders beim Verfluchen des Schwester ausdrucksstark auszufüllen vermochte. Beim Gebet des Valentin blieben die Emotionen aufgrund des etwas übermäßigen Vibratos zum Teil auf der Strecke. Weniger überzeugen konnte Zhenyi Hu als Marthe, was sicherlich auch an der etwas undankbaren Partie lag. Jisang Ryus wohlgeformt-klare Bassstimme konnte man in der kleinen Partie des Wagner hören.
Ebenfalls zum Erfolg des Abends trug das Staatsorchester Braunschweig unter Leitung des 1. Kapellmeisters Christopher Lichtenstein bei. Nachdem es bei der recht schwachen Ouvertüre noch zaghaft zuging und ein wenig im Zusammenspiel wackelte, änderte sich der Klang ab der ersten Gesangsnummer. Französische Leichtigkeit, Eleganz aber auch duftige Harfenarpeggien erfüllten den Theatersaal. Gerade kirchlich anmutende Elemente kostet er aus. Das Zusammenspiel zwischen Bühne und Graben war einwandfrei. Lichtenstein dirigiert sängerfreundlich, die Balance ist stets gegeben, wobei er dem Temperament auch freien Lauf ließ. Das orchestrale Highlight war dabei sicher das mitreißende Bacchanal von Schindelmeisser in der Walpurgisnacht. Der Chor (Einstudierung Georg Menskes) agierte bestens disponiert und mit großes Spielfreude!
Das Publikum dankt allen Mitwirkenden mit großem Applaus.
Besprochene Vorstellung vom 20.12.2019 19.30 Uhr
Faust von Charles Gounod am Staatstheater Braunschweig; letzte Vorstellung dieser Spielzeit am 28.12.2019Vorstellungen
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