Braunschweig, Staatstheater Braunschweig, DANTE - Oper Benjamin Godard, IOCO Kritik, 10.05.2023
DANTE - Oper von Benjamin Godard
- Grandiose Neuentdeckung am Staatstheater Braunschweig -
von Christian Biskup
Benjamin Godard? Nie gehört! Jetzt aber schon, denn das Staatstheater Braunschweig bringt mit Godards Oper Dante eine richtige Rarität auf die Bühne. Doch wer war überhaupt dieser Benjamin Godard?
Geboren im Paris des Jahres 1849, wuchs Godard in einer musikliebenden Kaufmannsfamilie auf. Er erlernte Geige, ging an das Pariser Konservatorium, wo er unter anderen bei Henry Vieuxtemps studierte und fing dabei auch an zu komponieren. Im Grunde ist dies ein häufig anzutreffender Lebenslauf im musikalischen Frankreich des 20. Jahrhunderts. Und obwohl er nur 45 Jahre alt wurde, er starb an der Tuberkulose, hinterließ er ein umfangreiches Werk mit fünf Opern, von denen die Oper Dante aus dem Jahr 1890 die vorletzte sein sollte.
Das vieraktige Bühnenwerk handelt, besuchte Vorstellung 7.5.2023, wie sollte es anders sein, von Dante Alighieri, dem legendären Dichter der Göttlichen Komödie, wobei Librettist Édouard Blau verschiedene Szenen aus Dantes doch nur spärlich bekanntem Leben auf die Bühne bringt und sie mit einer Idée fixe, nämlich der Liebe Dantes zu Béatrice, verbindet. So finden wir uns im ersten Akt der Oper in einem Saal der Stadt Florenz wieder. Hier ist das Leben los – die Guelfen und Ghibellinen sind in einer lautstarken Auseinandersetzung, als Dante hinzutritt und vermitteln will, doch nur Spott erntet. Zurück in seinem Arbeitszimmer trifft der beunruhigte Dichter auf seinen alten, frisch verlobten Jugendfreund Simeone Bardi. Als Dank dafür, dass er einem einflussreichen Mann politisch helfen und aus einer Zwangslage befreien konnte, soll er dessen Tochter zur Frau erhalten. Zu Dantes Entsetzen ist es jedoch Béatrice, eine Jugendliebe, die er zurückgewinnen möchte. Doch auch Béatrice ist entsetzt über ihre eigene Verlobung. Sie liebt Dante, was sie auch ihrer Vertrauten Gemma berichtet. Die Situation eskaliert, als Dante – vom Volk zum Stadtoberhaupt gewählt – jegliche politische Einflussnahme ablehnt. Béatrice tritt vor die Menschenmasse und erklärt, dass er sich der Pflicht stellen müsse, um geliebt zu werden. Dante nimmt die Wahl an und verbannt im zweiten Akt seine politischen Gegner. Bardi – der um seine Hochzeit fürchtet und in diesem Eindruck auch noch durch das Ansinnen Gemmas, auf Béatrice zu verzichten, verstärkt wird – scharrt Dantes politische Gegner um sich, um das dichtende Stadtoberhaupt zu entfernen. Béatrice, die zunächst standhaft zu ihrem Versprechen gegenüber Bardi hält und erst spät Dante ihre Liebe gesteht, wird ins Kloster geschickt.
Der dritte Akt beginnt mit einer Gruppe junger Menschen, die sich begeistert mit dem Werk Vergils beschäftigt. Dante jedoch ist verzweifelt und fleht den antiken Dichter um Beistand für sein geplantes großes Werk. Und tatsächlich – plötzlich steht Vergil leibhaftig vor Dante und kündigt an, ihn in Sphären der Inspiration zu führen. So öffnet sich das Höllentor, gefolgt von einer Vision des Himmels, wo auch die geliebte Béatrice wieder für ihn erscheint. Doch es ist nur ein Traum. Kaum wach, steht Bardi vor Dante und bittet um Vergebung, die ihm gewährt wird, als er Dante zu seiner Béatrice lässt. Sie ist jedoch todkrank. Während sie noch von einer gemeinsamen Zukunft träumen, stirbt Béatrice. Die Oper endet mit Dantes Versprechen, sie in seinem Werk unsterblich zu machen.
Obgleich das Libretto einige Schwächen hat und unerklärte Kehrtwendungen aufweist, gelingen Édouard Blau, Foto oben, einige schöne Massenszenen und Konfrontationen, von denen – auch musikalisch – das Aufeinandertreffen von Gemma und Bardi im zweiten Akt den Höhepunkt bildet. Stellenweise lahmen Handlung und Musik, was jedoch aufgrund der bildgewaltigen und ausgefeilten Inszenierung von Philipp Himmelmann kaum auffällt. Dieser bringt das Libretto ohne große Umdeutungen auf die Bühne und beweist, wie man auch mit konventionellen Mitteln Symbolik und Deutungsansätze vermitteln kann. Schon zu Beginn, wenn die Parteien aufeinandertreffen, zeigt sich eine mitreißende Chorchoreografie, die die aufwallenden Gemüter vollkommen widerspiegelt. Die Personen werden hervorragend geführt und im dritten Akt gelingt ein eindrucksvolles Stück Theatermagie. Die jungen Literaten sitzen mit ihrem alten Lehrer in Dantes Studienraum. Bücherregale und ein großes florentinisch anmutendes Gemälde prägen den Raum. Wer das Programmheft gelesen hat, weiß natürlich, dass jetzt Vergil „plötzlich“ vor Dante erscheinen muss. Es tut sich aber lange nichts – bis eben plötzlich der antike Dichter mit Tunika und Lorbeerkranz aus dem strahlend erleuchteten Bild steigt. Kaum hebt er die Hände, gehen sämtliche Bühnenwände in die Höhe und geben Blick auf die Hölle frei. Gebrechen, Krankheit, Not, Dahinsiechen – das infernalische Bild ist gut getroffen. Dann beginnt sich die Drehbühne immer schneller zu drehen. Der Höllensturm beginnt – und inmitten der sündhaften Seelen zeigt sich bereits Bardi, umgarnt von den infernalischen Sündern. Seine Seele scheint bereits verdammt und verloren. Doch Vergil will auch den Himmel zeigen. Der Chor zieht sich zurück, bildet einen Halbkreis und wird zu Gottes Ehre verkündenden Engeln. Obgleich noch unter den Lebenden, setzt Himmelmann bereits hier Gemmas und Béatrices Seelen in den hohen Sphären. Hier offenbart sich das Schwarz-Weiß-Denken der Librettovorlage. Die Figuren entwickeln sich nicht. Dass der Abend trotzdem nie ins Stocken gerät, liegt zum einen an der Drehbühne, die mit Ihren aufwendigen Bildern (Bühne: Paul Zoller) und schnellen Szenenwechseln immer dynamisch bleibt, zum anderen an der ausgefeilten und detailreichen Personenführung Himmelmanns.
Musikalisch erlebt man einen durchweg beglückenden Abend. Bis in die kleinste Partie singt das Ensemble des Staatstheater Braunschweig. Allen voran überzeugt das „Paar“ Gemma und Bardi.
Zachariah N. Kariithi zeigt sich mit seinem volltönend-strahlenden Bariton bestens disponiert, und hinterlässt auch schauspielerisch einen starken Eindruck in seiner Rolle als vollkommen von Rache besessenen Bösewicht Simeone Bardi. Gemeinsam mit Milda Tubelyte als Gemma schaukeln sie sich in ihrer dramatischen Szene im zweiten Akt zu Höchstleistungen hoch. Ihr Sopran ist sehr flexibel im Ausdruck, glasklar und zeigt besonders in der Höhe eine glühend-volle Stimmfarbe.
Kwonsoo Jeon übernahm die undankbare Partie des Dante, dem Godard nur einen kurzen Moment mit Melodie und Lyrismen im ersten Akt vergönnt. Der erste Tenor des Hauses vermag gerade diese Stelle mit betörender Kopfstimme und Phrasierung zu singen, bevor er im Grunde ständig gegen das aufwallende Orchester anzusingen hat. Obwohl ohne große Pausen, zeigt Jeon bis zum Schluss keine Ermüdungserscheinungen und vermag seinen – teils etwas unsauber geführten – Tenor bis zum Schluss vollmundig einzusetzen. Ekaterina Kudryavtseva, seine Béatrice, ist zu Recht seit Jahren eine der gefeiertsten Sängerinnen am Staatstheater. Saubere Stimmführung, dramatische Höhe, lyrisch-intime Zurücknahme prägen ihre Gesangskultur, die ganz das Wesen der reinen, jugendlichen, aber auch verzweifelten Geliebten Dantes verkörpert. Die Rolle des Vergil, der Godard einen der dankbarsten Melodiehappen komponierte, fand seinen idealen Interpreten im Bassisten Jisang Ryu, der den antiken Dichter in gewichtiger, feierlicher Manier gab. Viel Applaus für das Sängerteam und den bestens einstudierten Chor und Extrachor.
Das Orchester unter die Leitung von Mino Marani nimmt sich der Musik leidenschaftsvoll an, gerät jedoch manchmal etwas zu dick, ohne dabei jedoch weitgehend die Sänger zuzudecken. Marani kostet den Pathos der Komposition mit den oft gewichtigen Schlusswendungen sehr aus und treibt das bestens disponierte Blech zu strahlend warmen Höhen. Die Komposition selber ist eine Mischung aus Gounod und Bizet, wobei vor allem harmonische Parallelen mit den Perlenfischer des letztgenannten auszumachen sind. Godard vermag allerdings nie die leidenschaftliche Intensität oder anmutende Melodik der Vorbilder zu erreichen. Zu oft verfällt Godard ins Floskelhafte und vermag auch nur wenige intime Momente zu schaffen. Die aufwallenden Wogen und dramatischen Schreie aus dem Orchester sind sehr präsent, es ist fast dauerhaft laut komponiert, als würde der Komponist mit Bleifuß auf dem Gaspedal durch das Stück leiten. Die Musik ist dabei aber nicht schlecht. Handwerklich ist das sehr solide, teils sogar wirklich inspiriert und mit Humor gespickt. Eindrucksvoll ist so das zupackende Thema in der Szene zwischen Gemma und Bardi im zweiten Akt, das mit seiner vorwärtsdrängenden, glühenden Begierde an die rund 10 Jahre später entstandene Begegnung zwischen Tosca und Scarpia erinnert. Auch die Höllenszene mit dem Jammerchor ist ein bemerkenswerter Musikeffekt mit großer Wirkung. Obgleich Godard Zeit seines Lebens behauptete, nie einen Blick in einer Partitur des von ihm verachteten Richard Wagner geworfen zu haben, belehrt die Höllenmusik die Zuhörer eines Besseren.
Was bleibt von dem Abend? Godards Oper Dante ist ein weiteres Beispiel für die französische Opernkultur zur Zeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bizet's Carmen, Gounods Faust sowie einige Werke von Massenet sind noch auf den Spielplänen geblieben, während ein Großteil ebenfalls qualitativer Bühnenstücke verschwunden ist.
Im Staatstheater Braunschweig gibt es mit der Oper DANTE eine wahre Rarität zu hören, die – wenn sie auch von der Komposition nicht immer überzeugen kann – doch vor allem eines zu zeigen vermag: Richtig gute Theater- und Ensemblearbeit existiert auch abseits der großen Opernmetropolen.