Boris Papandopulo - Komponist zwischen Tradition und Moderne, IOCO Portrait, 14.04.2020
Boris Papandopulo - ein Komponist zwischen Tradition und Moderne
cpo CD 3097679 - Klavierkonzert Nr. 2
von Ljerka Oreskovic Herrmann
Das Musik-Label cpo hat sich einen Namen mit „Neu- oder Wieder-Entdeckungen“ gemacht – dazu gehört auch die Veröffentlichungen von CDs mit Werken des kroatischen Komponisten Boris Papandopulo. "Wer bitte soll das sein, Papandopulo ?", mag sich der eine oder andere Leser fragen. Die Antwort: Papandopulo war der bedeutendste Komponist des 20. Jahrhunderts in Kroatien – und vor der Staatsgründung 1991/92 war er das auch im damaligen Jugoslawien. Dies markiert gleichsam auch seine Epoche. Geboren wurde Boris Papandopulo am 25. Februar 1906 allerdings in dem Rheinstädtchen Honnef, das sich ab 1960 Bad Honnef nennen darf. Sein Leben – er starb 1991 in Zagreb – umfasst nicht nur historisch nicht mehr bestehende Staaten und Kaiserreiche, es bildet zugleich eine ungewöhnliche europäische Biographie ab.
Maja de Strozzi, die Mutter von Boris Papandopulo, war Sopranistin, sein Vater ein russischer Baron mit griechisch-jüdischen Wurzeln aus Stawropol im Nordkaukasus, der Anfang des 20. Jahrhunderts im deutschen Kaiserreich weilte. In Wiesbaden erhielt Maja de Strozzi ihr erstes Fest-Engagement und gab in Daniel-François-Esprit Aubers Oper Fra Diavolo als Zerline ihr Debüt. Sie entstammte einer angesehen Künstlerfamilie aus Zagreb, welche wiederum Verbindungen zu der alten Florentiner Patrizierfamilie Strozzi aufweist. Zu dieser Zeit gehörte Zagreb, wie auch die restlichen Landesteile, zuu Österreichisch-Ungarischen Monarchie; Kaiser Franz Josef I. herrschte noch über den Vielvölkerstaat. Auch Konstantin Papandopulo lebte in einer Monarchie – dem Zarenreich unter Nikolaus II. Die Verwerfungen, die später fast alle herrschenden Monarchien in Europa hinwegfegen sollten, kündigten sich noch nicht an. Unter diesen scheinbar gegeben anmutenden Umständen lernten sich Maja de Strozzi und Konstantin Papandopulo in Honnef kennen; sie war zur Kur dort, er lebenslang ein kränklicher Mann, benötigte intensivere medizinische Betreuung. Schon bald wurde geheiratet, Boris kam zur Welt und die Familie kehrte nach Stawropol zurück. Doch Konstantin starb, der Sohn war mit zwei Jahren Halbwaise, so dass seine Mutter nur einen Ausweg sah: zurück nach Kroatien. Dort erhielt Boris Papandopulo seine erste musikalische Ausbildung – auch in Komposition –, später ließ er sich dem Ratschlag des Familienfreundes Igor Strawinsky folgend in der Meisterklasse von Dirk Fock am Neuen Wiener Konservatorium zum Dirigenten ausbilden.
Eine musikalische Nähe zu seinem „väterlichen Freund“ Strawinsky ist musikalisch nicht eindeutig auszumachen, doch hat Papandopulo immer wieder alle künstlerischen Strömungen verfolgt und aufgegriffen. So wurde er schon 1947 als bedeutendster Komponist Jugoslawiens nach Darmstadt zu den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik eingeladen. Papandopulo ist aber stets seinen eigenen Weg gegangen, der von der Dodekaphonie, über neoklassizistische Ansätze, dem Aufgreifen von Jazz- oder Tango-Elementen bis hin zur regionalen Volksmusik reicht – mit regional ist nicht nur das damalige Jugoslawien gemeint. Diese Bereitschaft für Musik jeglicher Ausprägung offen zu sein und Liebe zu den traditionellen Volksmusikformen haben viele Kritiker im Westen, salopp formuliert, als irgendwie nicht so richtig„salonfähig“ bewertet, weil es ja keine hohe Kunst sein könne. Doch auch ein Komponist wie Béla Bartók, der tatsächlich einen Einfluss auf das kompositorische Schaffen Papandopulos’ ausübte, war sich nicht zu „fein“, Volksmusiktraditionen aufzunehmen – im Gegenteil. Dass sich Bartók immer wieder für die bulgarische Volksmusik interessierte und sie einsetzte, bezeugt ein Blick in sein Werk; seine Leidenschaft für Melodien der Region, d.h. auch der slawischen Bevölkerung in der alten k.u.k. Doppelmonarchie, belegen die 14.000 von ihm akribisch gesammelten und transkribierten Melodien. Diese beinahe schon wissenschaftliche Sammelleidenschaft entfalte Papandopulo nicht, aber er schätze gleichfalls die Volksmusiktradition – seine Neigung besaß zudem eine persönlich Note und das im wörtlichen Sinn: die Opernsängerin Jana Puleva, seine damalige Frau, stammte aus Bulgarien. Den Beweis für seine Kenntnisse, wie auch Affinität zum jahrhundertealten Liedgut, liefert diese in jeder Hinsicht geglückte CD-Einspielung.
Der Pianist Oliver Triendl hat eine beachtliche – mehr als 100 Einspielungen – Diskographie vorzuweisen, ist Gründer und bis 2018 Leiter des Internationalen Kammermusikfestivals Classix Kempten in Kempten im Allgäu gewesen – nicht nur dort hat er sein ausgesprochen feinfühliges Händchen für Ausgrabungen und Neuentdeckungen unter Beweis stellen können. Zusammen mit den Zagreber Solisten (Zagreb Soloists) hat er das Konzert für Klavier und Streichorchester Nr. 2 eingespielt. Dieses Werk entstand 1947, ist technisch anspruchsvoll und verknüpft das bereits erwähnte Liedgut Bulgariens mit der klassischen dreisätzigen Gestaltung eines Klavierkonzerts. Überhaupt verlangen Papandopulos Stücke viel Virtuosität und Können ab, und Oliver Triendl ist – nicht nur in Bezug auf Papandopulos Klavierkonzert – ein ausgezeichneter Interpret. Der erste Satz beginnt mit einer Prelude, con brio und Triendles ausdrucksstarkes Spiel kontrastiert und hält zugleich Zwiesprache mit den Streicherpassagen, und endet in immer kürzen werdenden Abständen zwischen Solist und Ensemble. Der Concerto grosso Charakter am Anfang, die Abwechslung zwischen dem Soloinstrument und den Tutti wie in einem barocken Musikstück, zeugen von Papandopulos’ Kenntnis der klassischen Musikliteratur und doch schlägt er eine andere Richtung an, insbesondere im zweiten und dritten Satz.
Der mittlere Satz (Andantino con moto) beginnt mit einer kreisenden, intensiver werdenden Streichersequenz, die dunkle Farben enthält ohne jedoch düster zu wirken, mit dem Klavierpart setzt auch die Volksmusik, auf dem Lied Bogdane, bog da te ubije (Bogdan, Gott töte dich) basierend, ein. Auch hier ist der Dialog zwischen Solist und Ensemble vom Komponisten beeindruckend gelöst worden; fungiert das Klavier beim Lied als Begleiter, wird es hier zum vorrangigen Ausdruckmittel, während die Liedmelodie den einzelnen Stimmen der Streicher überantwortet wird, um am Ende zusammenzuströmen und in einer überbordenden Aufwallung der Gefühle zu enden. Im dritten Satz (Allegretto vivace) dienen sogar zwei Volkslieder (Zalibil e mlad gidija, deutsch: Ein Jüngling verliebte sich, aus Bulgarien und Dafino vino crveno, deutsch: Dafina, Rotwein, aus Mazedonien bzw. heute Nordmazedonien) als musikalische Bausteine, die miteinander verschränkt werden und ein einzigartiges Strukturgeflecht erzeugen. Nicht nur im Hinblick des Verfahrens, im Textbuch wird dafür der Begriff „Filmmontagetechnik“ verwendet, sondern auch wegen der unterschiedlichen Rhythmen – 5/8 der bulgarische, 3/8 der mazedonische Takt – beider Lieder eine Herausforderung. Der bulgarische Takt gehört zu den sogenannten „unsymmetrischen“ oder wie Bartók sie einfach nannte „bulgarische Taktarten“, was für manche europäische Ohren etwas ungewohnt klingen mag. Papandopulo verknüpft beide nahtlos zu einem musikalisch runden und einheitlichen Ganzen.
Die Sinfonietta für Streichorchester, op. 79, bei Schott Mainz verlegt, entstand 1938 in einer Zeit, in der eine Pluralität der Stile charakteristisch für die Zwischenkriegszeit war. Es gab den rhythmisch akzentuierten Neoklassizismus, die Neue Sachlichkeit, die um Schönberg etablierte Wiener Schule oder auch die Synthese verschiedenster Stile und Richtungen, um nur einige zu nennen. Papandopulo – durchaus mittendrin in den künstlerischen Strömungen – bediente sich der vielfältigen Neuerungen und Ausdrucksmöglichkeiten. So wird der erste Satz, Intrada, von einem Marsch „mediterraner Prägung“ bestimmt, während der zweite, Elegie, Anlehnung an die barocke Da-Capo-Arie, vor allem in der neapolitanischen Barockoper, findet – was die „mediterrane“ Stimmung beibehält und unterstreicht. Diese erfährt eine weitere Öffnung über das Folklorehafte hinaus, in der die orientalische Musik als Hintergrundquelle aufzuleuchten scheint. Der dritte Satz, eine „Toccata furiosa“, unablässig pulsierende Sechzehntel – nicht zufällig ist der Satz mit Perpetuum mobile überschrieben –, greift zwar im Schlussteil die Intrada vom Anfang kurz auf, um dann doch schwungvoll und heiter zu enden.
Die Pintarichiana für Streichorchester, 1974 entstanden, widmete der Komponist den Zagreber Solisten. Gegründet wurde das bis heute existierende Ensemble 1953 von Antonio Janigro; dieser war ein aus Italien stammender geschätzter Cellist und Dirigent, der die Streicherformation zu internationaler Größe und Bekanntheit führte. Berühmt ist ihre Aufnahme mit Alfred Brendel, der übrigens selbst seinen ersten Musikunterricht in Zagreb erhalten hatte. Sreten Krstic, Konzertmeister des Ensembles und seit 1982 Erster Konzertmeister der Münchener Philharmoniker, hat mit vielen namhaften Dirigenten gearbeitet – stellvertretend soll hier nur Sergiu Celibidache genannt werden, der das Münchner Orchester entscheidend geprägt hatte.
Der Namensgeber des Stückes Fortunat Pintaric (1798-1867), ein Franziskanermönch, schrieb neben liturgischer Musikliteratur auch Miniaturen für Tasteninstrumente. Auf diese Werke greift Papandopulo zurück, wobei seine Bearbeitung und Neuschöpfung als eine Hommage an beide – Pintaric wie die Zagreber Solisten – verstanden werden kann; zugleich ist es auch eine Verbeugung vor der Wiener Klassik. Leichtigkeit und Freude vermittelt dieses 10minütige Stück – eine Einstellung, die dem Werk Papandopulos inhärent ist – rundet diese Einspielung ab.
Bewundern konnte man dieses Werk im vergangenen Jahr – im August 2019 – bei dem zwar kleinen, künstlerisch aber anspruchsvollen Festival – der Papandopulijana in Tribunj – mit den Zagreber Solisten. Dieser kleine Ort in der Nähe von Šibenik, in Mitteldalmatien, war fast siebzehn Jahre lang das Zuhause von Boris Papandopulo, und nur wenige Meter von seinem damaligen Wohnhaus entfernt erklang auf der Freilichtbühne diese musikalische Miniature – seine Witwe, Zdenka Papandopulo, saß als Ehrengast wie schon die Jahre zuvor im Publikum. Hier komponierte er sein Alterswerk, schrieb für Musikzeitschriften und hörte den Klapa-Gesängen (ursprünglich männliche A-Cappella-Formationen in Dalmatien) mit großen Vergnügen zu. Bei der Papandopulijana erklingt nicht nur Musik des Namensgebers, vielmehr ist seine Musik ein Ausgangspunkt, der vergangene und zeitgenössische Musik verbindet, und dabei u.a. auch jungen angehenden Profimusiker/innen Gelegenheit gibt, ihr Können unter Beweis zu stellen. Papandopulo hat seinen Humor nie verloren, seine Musik strahlt(e) immer Lebensfreude und Zuversicht aus und ist (nicht nur in dieser pandemiewütigen Zeit) ein guter musikalischer Begleiter. Er sagte von sich selbst: „Es ist meine Aufgabe Musik zu schreiben und nicht über einen eigenen Stil nachzudenken. Ich setze mich hin und schreibe und philosophiere nicht, das erscheint mir am charakteristischsten. (...) Musik muss für sich selbst sprechen.“ Sie soll wirken.
Lassen wir uns deshalb von Boris Papandopulo, von seiner Begeisterungsfähigkeit mittels dieser wunderbaren CD 3097679 und dem Klavierkonzert Nr. 2 anstecken.
---| IOCO CD-Rezension |---