Bonn, Theater Bonn, Premiere Tamerlano von Georg Friedrich Händel, IOCO Kritik, 27.02.2011
Die Renaissance des Barock
Stimmenpracht vor suggestivem Bühnenbild
Auch das stark beschäftigte Theater Bonn pflegt die Barockmusik: Tamerlano von Georg Friedrich Händel hatte Premiere. Ausverkauft war das Haus. Auffällig jung, für eine Oper, die vielen Besucher. Gekommen, eine 300 Jahre alte Barockoper zu erleben.
Musikgeschichte lehrt, daß das Barockzeitalter von 1600 bis etwa 1770 reicht. Auch wenn Kastraten wie Giovanni Sassaroli, mit Richard Wagner gut bekannt, noch weit bis in 19. Jahrhundert sangen. Ab 1770 besaß "Barockmusik" einen eher abschätzigen Klang. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt die Wiederbelebung. Mit neuer Begeisterung explodieren Barock-Inszenierungen förmlich ab den 70er Jahren. Moderne Aufführungspraktiken, konzertante Vokalmusik und spezialisierte Ensembles hauchen dem Barock seither neue Intensität und Nachhaltigkeit ein.
Georg Friedrich Händel, 1685 - 1759, und seine 46 Opern sind der alte und neue Star der Barockmusik: 20% aller derzeit inszenierten Barockopern sind von Händel: Julius Cäsar hält den Spitzenplatz der Händelschen Aufführungsliga.
Georg Friedrich Händels 18. Oper, Tamerlano, entsteht in seiner kompositorischen und finanziellen Londoner Blütezeit der Jahre 1720 bis 1728. Titelheld ist der ebenso kriegerische wie kunstsinnige Tartarenfürst Timur-Leng alias Tamerlan (1336-1405), der nach dem legendären Dschingis Kahn ein zweites Weltreich der Mongolen begründete, das bis nach Indien und in die heutige Türkei reichte. Bei Ankara besiegte er die Osmanen und Sultan Bajasid I., genannt Bajazet. Händel komponierte in seinem Tamerlano die Brutalität von Macht und Tyrannei, die Verzweiflung, Tod und Selbstmord von Besiegten in radikaler Weise aus. Die Uraufführung von Händels Tamerlano am 31. Oktober 1724 im Londoner King’s Theater wird bejubelt. Sie sollte zu einer der dramatischsten Opern in Händels kompositorischem Schaffen werden.
Die Inszenierung im Theater Bonn von Regisseur Philip Himmelmann und die Bühne von Johannes Leiacker wird dominiert von übergroßen ineinander mehrfach geteilten Wandelementen mit schwarz-weißen Würfel- und Palastmotiven. Fortwährende, schleichende Drehbewegungen der Elemente generieren eine fast hypnotische Konzentration des Besuchers auf die agierenden Protagonisten. Mit dieser Inszenierung meidet Himmelmann - sehr dankenswert - den Mainstream für heutige Barockopern-Inszenierungen: Nämlich die ausdrucksvolle Barockmusik aus dem Graben mit modernen, meist platten Bühnenbildern zu konterkarieren. Himmelmanns erklärter Ansatz für diese Oper: Das Psychogramm der Handelnden mit Lichtstimmungen, kargem, aber suggestivem Bühnenbild zu vermitteln. So erzeugen das starken Ensemble des Abends, die Personenführung, wie das spürbar barockerprobte Orchester einen Handlungsstrang von unglaublicher Intensität und Schonungslosigkeit.
Dirigat, Orchester und Besetzung dieses Tamerlano stützen diese Inszenierung: Rubén Dubrovsky und das Beethoven Orchester Bonn brachten Händels barocke Ausdruckskraft und Dramatik voll zur Geltung. Die von Händel komponierte musikalische Charakterisierung der Personen entfaltete mit Rubén Dubrovsky farbige Brillianz. Die Wechsel zwischen gebundener Artikulation, Orchestertutti und dramatischen Soli erklangen filigran und sensibel. Das Ensemble war für das sehr spezielle Oeuvre des Barock in allen Partien ungewöhnlich gut besetzt. Sie beleben den Reichtum barocker Verzierungskunst mit ariosem Glanz. Asteria, Tochter des Bajazet, von Emilia Ivanova, ausdrucksstark und mit wunderbar lyrisch timbrierten Sopran dargestellt, rückt in den Mittelpunkt der Inszenierung, schauspielerisch anrührend. Die sehr anspruchsvolle Sterbeszene, ein Höhepunkt des Abends, meistert Martinez mit gleichbleibend brilliant geführter Stimme. Auch die kriegerischen Gegenspieler Tamerlano mit Mariselle Martinez und Bajazet mit Mirko Roschkowski waren im Bereich der Barockmusik hörbar und sichtbar zu Hause: Sie beherrschten langsame ans Herz gehende wie die dramatischen Koloraturarien mit ihrer kraftraubende Kehlkopfakrobatik über den gesamten Abend in bestechender Weise. Countertenor Antonio Giovannini sang den Andronico ausdruckvoll mit schöner Kopfstimme. Irene, von Susanne Blattert eindrucksvoll dargestellt rundete den Reigen eines selten homogenen Gesangsensembles ab.
Das volle Haus des Theater Bonn dankte zu Recht überschwenglich: Dem außergewöhnlich präsenten Ensemble, dem barockfesten Beethoven Orchester Bonn, dem Regisseur, dem Bühnenbildner, dem Lichttechniker für eine anregende und zeitgemäße Inszenierung von Händels Tamerlano. Diese Produktion wird den Spielplan des Theater Bonn lange bereichern, die Region hat eine Barockoper vom Feinsten. IOCO / Viktor Jarosch / 27.02.2011
Tamerlano im Theater Bonn: Weitere Vorstellungen sind am 20., 27., 31. März 2011.
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