Bonn, Theater Bonn, AIDA - Fern klassischer Klischees, IOCO-Kritik, 17.03.2014
Der fortschrittliche wie feinsinnige ägyptische Vizekönig Khedive Ismail Pasha, Beiname Der Prächtige, 1830 – 1895, bewunderte Europa und seine Kultur. Ismail Pasha baute den Suezkanal, führte die Baumwollkultur ein und reformierte das Steuersystem seines Landes.
Das Opernszenarium zu AIDA stammt von Auguste Mariette, dem damaligen Leiter der ägyptischen Antikenverwaltung und ist vermutlich einer alt-ägyptischem Papyrusschrift entnommen. Mariette sandte Verdis Don Carlos – Librettisten, Camille du Locle, einen Entwurf zur Oper AIDA. Diesem Initial folgte auf Umwegen der mit 150.000 Goldfranken reichlich entlohnte Kompositionsauftrag von Ismail Pasha an Giuseppe Verdi: Eine wahrhaft ägyptische „Volksoper“ zu schreiben. Der Rest ist bekannt: AIDA wurde nach vielen Verwicklungen am 24.12.1871 in Kairo mit großem Erfolg uraufgeführt und ist seither von großen Bühnen der Welt nicht mehr wegzudenken. Über eine Million Menschen sehen AIDA jedes Jahr allein im deutschen Sprachraum. AIDA spielt etwa 700 v. Chr. zur Zeit der Pharaonen: Feldzüge, Kriege, Heerführer, Sklaven und Liebeskonflikte bestimmen die anspruchsvolle Handlung des Oper.
Viele Opernfreunde sehen AIDA nur in der Arena di Verona oder ähnlich imposanten Bauwerken passend aufgehoben. Das Theater Bonn passt naturgemäß nicht in solche Klischeewelten und überrascht mit einer spannenden AIDA-Produktion der modernen Art.
Regisseur Dietrich Hilsdorf bricht mit klassischen Monumental-Erwartungen und entstresst den kriegerischen Unterton der Oper durch Großleinwand-Projektionen einer bewegten, sommerlichen Rheinidylle. Derartige Regieeinfälle relativieren den martialischen Grundton der Oper, geben ihr im Theater Bonn ein modernes, aufgeklärtes Gesicht. Pausenansagen bitten die Besucher in sechs Sprachen, inkl. Letzebuerger Platt z.B. zum „Festakt nach dem Sieg über die Horden der barbarischen Aggressoren“ ins Foyer, während Lametta in den Zuschauerraum fällt. Soldaten und Offiziere tragen zeitlose Allerwelts-Uniformen, Priester einfache Talare, die Kriegsgefangenen abgerissenes etwas. König Ramses, konterkariert seine eigene hohle Kriegsrhetorik als ordensbestückter zittriger k.u.k. – Greis und erinnert an Karl Kraus´ “Letzte Tage der Menschheit“, welches die Absurdität von Kriegen durch sarkastische Überhöhung karikiert.
Optischer Höhepunkt der Bonner Inszenierung ist der zweite Akt und sein - prachtvoll dirigierter - Triumphmarsch zum Sieg über die Nubier, in welchem Hilsdorf die latent scheinende Kriegsromantik der Oper spektakulär aufbricht: Nicht kräftige, gesunde Soldaten und malerische Blumenmädchen zelebrieren im Theater Bonn den Sieg. Hilsdorf lässt verletzte Kriegsveteranen vorüber humpeln, Witwen weihen lustvoll ihre Kinder für den nächsten Krieg, Töchter und Söhne gefallener Soldaten proben ein Tänzchen, Jungfrauen tragen Körbe voller abgetrennter Gliedmaßen (Bild), Rüstungsindustrielle defilieren in Elefantenköpfen vorbei. Während zwei attraktive Cheerleader-Girls, die „Memphis-Twins“, das Publikum mit fetzigen Tanzeinlagen faszinieren. Ramses, welcher aus einer Seitenloge des Hauses gefangenen Soldaten hoheitsvoll die Freiheit versprach, wird zum Ende des Aktes kurzerhand und lebensnah erschossen. Es folgt die skurrile Pausenansage: „Bitte verlassen Sie unverzüglich das Auditorium und folgen im Foyer den Anweisungen der Sicherheitskräfte“. Der dritte Akt dagegen kehrt klassisch mit wenig Bühne und fast kammermusikalischer Dramatik zurück zum Untergang von Aida und Radames.
Will Humbug, ein ausgewiesener Verdi-Spezialist, leitet das Beethoven Orchester Bonn mit gefühlsreicher Intensität. In der zentralen Triumphszene gelingt die komplexe Koordination des auf Bühne und Zuschauerraum verteilten großen Chores ausgezeichnet. Für Überraschung sorgte jedoch das stimmlich formidable Sänger-Ensemble des Theater Bonn: George Oniani gestaltet seine dominante Partie des Radames kultiviert und in der Höhe mit verblüffend strahlender, heldischer Tenorkraft. Seine anspruchsvolle Auftrittsarie „Celeste Aida“ meisterte Oniani sicher wohltimbriert, mitsamt des darin so gefürchteten hohen B. Die Partie des Amonasro, König von Äthiopien, besetzte Mark Morouse, mit eindringlichem Bariton ebenso herausragend. Die Sopranistin Yannick-Muriel Noah differenzierte die große, vielschichtige Partie der Aida stimmsicher und großer Darstellungskraft, ihre elegisch gefärbte Arie „O patria mia“ war ein stimmlicher Höhepunkt des Abends. Doch auch Chariklia Mavropoulou füllte die Partie der Amneris pathetisch durchtrieben und stimmsicher aus. Rolf Bromann als Hohepriester Ramfis und Priit Vollmer, als darstellerisch überaus präsenter König – Pharao, rundeten die anspruchsvolle Leistung des AIDA-Ensembles am Theater Bonn begeisternd ab.
Das Theater Bonn und Regisseur Dietrich Hilsdorf schufen mit ihrer, neben der Dramatik der Handlung auch die Absurdität von Kriegen fokussierenden Produktion eine sinngebende moderne Alternative zu klassisch monumentalen AIDA-Inszenierungen. Mit einem bestens disponiertes Ensemble und Orchester war ein lebendiger Abend garantiert. Das am 15.März 2014 vollbesetzte Haus dankte dafür lange und laut.
IOCO / Viktor Jarosch / 17.03.2014
Weitere Vorstellungen: 23. März 2014; 4. April 2014; 20.4.2014; 30.4.2014; 17.5.2014; 25.5.2014; 31.5.2014; 5. Juni 2014; 18.6.2014; 20.6.2014; 29.6.2014
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