Bielefeld, Theater Bielefeld, Das Rheingold - Richard Wagner, IOCO Kritik, 15.07.2018
DAS RHEINGOLD - Richard Wagner
- Lieblose Love-Parade -
Von Hanns Butterhof
Das Theater Bielefeld hat sich statt des ganzen Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner des Vorabends Das Rheingold angenommen und ist damit gleich bei der Götterdämmerung angekommen. In Mizgin Bilmens Inszenierung haben auch die Götter der Liebe entsagt und sind nicht wert, gerettet zu werden. In den Mittelpunkt der Aufführung stellt Bilmen den leidenden Mensch.
- Bielefelder Rheingold diagnostiziert den Untergang des Abendlandes -
Immer geschunden, fremdbestimmt und ausgebeutet ist der Mensch ohne Unterlass auf der Bühne des Theaters Bielefeld anwesend. Mizgin Bilmen hat ihm die Form einer Gruppe von Erdenwürmern gegeben. In schlammigen, schrundigen Ganzkörpertrikots (Kostüme: Alexander Djurkov Hotter) liegen sie schon zur Ouvertüre zum Rheingold auf dem Grund des Rheins. Hier wie überall ist der Mensch das eigentliche Gold, der Reichtum der Welt. Das wird deutlich, als Alberich (Yoshiaki Kimura), der von den Rheintöchtern (Nohad Becker, Hasti Molavian, Nienke Otten) geneckte und verschmähte Zwerg, aus einem dieser Erdlinge Goldstaub herauswühlt, bevor er ihn dann über die Schulter wirft und, der Liebe finster entsagend, zum Gewinn der Weltherrschaft aufbricht.
In seinem unterweltlichen Nifelheim sind diese Erdlinge dann zu einer Maschine geworden. Sie wird von Alberichs Bruder Mime (Lorin Wey) gewartet, ist zwar nicht selber aus Gold, produziert es aber wohl. Alberich beherrscht sie mit seinem inzwischen aus dem Rheingold geschmiedeten Ring, einem goldenen Schlagring. Auf seinen Wink hin malträtieren sie Mime, der einen Tarnhelm für sich statt für Alberich anfertigen wollte. Und sie machen, szenisch sehr überzeugend, Alberich unsichtbar und bilden die Schlange, in die er sich verwandelt. Wenn sie ihn ungeschützt lassen, als er die Gestalt einer Kröte annimmt, wird ihm das zum Verhängnis.
Später finden die Erdlinge - diesmal wieder unmittelbar als Nibelungengold - noch Verwendung dafür, die Göttin Freia (Melanie Kreuter) vor den Blicken der merkwürdig militärisch mit Gewehren ausstaffierten Riesen Fafner (Sebastian Pilgrim) und Fasolt (Moon Soo Park) zu verbergen. Nachdem Fafner seinen Bruder im Streit um das Gold erschossen hat, lässt er - ebenfalls merkwürdig – bis auf einen die Erdlinge liegen, aus denen dann die Götter wieder Goldstaub herauswühlen. Den schmieren sie sich selbstverliebt überall hin und bewerfen sich kindisch damit, um sich dann eines hübschen Goldregens aus dem Schnürboden zu erfreuen.
Das ist nicht alles ganz stimmig, lässt aber vielfältige Assoziationen über den Wert des Menschen als Täter und Opfer in der Welt zu, bevor man sich den Tätern und der Welt des Rheingold zuwendet.
Dass Krieg in dieser Welt ist, illustriert eine immer schneller laufende Videoprojektion (Video: sputnic/Malte Jehmlich) mit Bombenexplosionen, Geschützfeuer, menschenfeindlicher Dürre und ertrunkenen Flüchtlingen bei der rasenden Fahrt Wotans (Frank Dolphin Wong) und seines Helfers Loge (Alexander Kaimbacher) in die Unterwelt Nibelheims, wo sie Alberich den Nibelungen-Goldschatz abluchsen wollen. Inwieweit sie alle Schuld an diesem Zustand der Welt tragen, sei es dadurch, dass Wotan einen Ast von der Weltesche abgebrochen oder Alberich das Rheingold geraubt hat, wird nicht näher beleuchtet und kümmert sie auch nicht.
Auch in der Götterwelt hat weder die Liebe noch die Mitmenschlichkeit ihren Platz. Und so lieblos, wie die Götter miteinander umgehen, verfährt auch die Regie mit ihnen. Sie sind eindimensionale Charaktermasken, die mit ihrer Schutzburg Walhall das Elend der Welt von ihrer Spaßgesellschaft fernhalten wollen. In ihren weißen, pornochicken Fantasiekostümen sehen sie aus, als entstammten sie einem Themenwagen der Love-Parade. Sie sind recht eigentlich schon Personal der Götterdämmerung, gleichsam Gibichungen mit Wotan als einem vorweggenommenen Gunter. Er ist in seinem weißen Pelzfummel, der klunkerbesetzten Offiziers-Schirmmütze und dem wie eine Vorhangstange dünnen, mit traurigen Fransen besetzten Speer ein aufgeblasener, verantwortungsloser Hohlkopf. Ohne seine hand- und kopfarbeitenden Helfer wie die Riesen und Loge bringt er nichts zustande. Seine Frau Fricka (Sarah Kuffner) - hohe weiße Stiefel, knappe Pants und Push-Ups - ist eine rechte Blondine. Sie hat außer den ehelichen Pflichten ihres Gatten und dem Geschmeide, das man aus dem Rheingold anfertigen könnte, nichts im Kopf. Ähnlich flach sind die restlichen Götter, Froh (Lianghua Gong) mit schmuckem Federkopfputz und Donner (Evgueniy Alexiev), dem zwar der Hammer fehlt, den aber die Hörner eines Schafbocks zieren. Kaum um ihrer selbst willen sorgen sich alle um Freia (Melanie Kreuter), trägt sie doch in einem Terrarium den Bonsai-Garten mit den Äpfeln auf ihrem Rücken, deren Verzehr den Göttern Kraft und Jugendlichkeit verleiht. Sie ist für sie so unentbehrlich wie Kokain für Investment-Banker oder Ecstasy für Discogänger. Walhall, eine kaltes, leeres Stahlgerüst eines Hochhauses in erheblicher Schieflage (Bühne: Cleo Niemeyer) ist jetzt schon dem Untergang geweiht, nur diesen Göttern dämmert das noch nicht.
Loge, der klarsichtige, aber allen Herren dienstbare Intellektuelle, sieht das Ende, das die eindrucksvoll aus der Masse der Erdlinge aufsteigende und ihnen eine Stimme gebende Erda (Katja Starke) den tauben Ohren der Götter prophezeit hatte. Wer mit den Göttern gemeint ist und wem die klare Botschaft gilt, macht die Regie am Ende mit einem bewährten Stilmittel deutlich: Zum Einzug der Götter in Walhall fährt eine Batterie starker Scheinwerfer herab und leuchtet schmerzlich ins Publikum – damit ihm vielleicht doch noch rechtzeitig ein Licht aufgeht.
Gesungen wird durchweg ordentlich, wenn auch nicht immer sehr textverständlich. Aus dem Ensemble ragen der darstellerisch und gesanglich äußerst bewegliche Tenor Alexander Kaimbacher, Sarah Kuffner mit klarem Sopran und Katja Starke mit vollem, geerdetem Mezzo heraus.
Alexander Kalajdzic dirigierte die etwas rauh klingenden Bielefelder Philharmoniker sängerfreundlich und flott, ohne mit großen Melodiebögen den Wagner-Sog zu entfalten, wohl ganz im Sinne der auf Einsicht statt auf Genuss zielenden, nur in Details differenzierten Regie Mizgin Bilmens.
Das Bielefelder Rheingold hat den Weg zur Götterdämmerung kurzgeschlossen, sich den Weg über den Hoffnungsträger Siegfried gespart und ist schlüssig auch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Welt von uns Göttern nicht mehr zu retten ist und das weiße, männlich geprägte Abendland untergehen wird. Mit dieser Diagnose, die Wagners ästhetischer Komplexität nicht voll gerecht wird, steht das Bielefelder Rheingold nicht allein.
Das Rheingold von Richard Wagner; besuchte Aufführung: 10.7.2018; zur Zeit sind keine weiteren Aufführungen geplant.
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