Bielefeld, Rudolf-Oetker-Halle, PARSIFAL - Richard Wagner, IOCO Kritik, 26.05.2023
PARSIFAL - Richard Wagner
- Wagner-Oper als Filmmusik - sie rundet sich nicht -
von Hanns Butterhof
Im Rahmen des achten Symphoniekonzerts haben die Bielefelder Philharmoniker Richard Wagners Bühnenweihfestspiel PARSIFAL von 1882 in der Rudolf-Oetker-Halle als Lichtspieloper konzertant aufgeführt. Das Wagnis kann nur in Teilen als gelungen angesehen werden, rund wurde sie nicht.
Die Teile, die sich bei diesem Parsifal deutlich voneinander abheben, sind zum einen das „Lichtspiel“, ein Film von Vincent Stefan, der auf drei an ein Triptychon erinnernden Großleinwänden auf der ganzen Rückfront der Bühne läuft. Zum andern ist es der Orchester-Part der Bielefelder Philharmoniker auf der Bühne, und schließlich der Gesang von fünf Solisten vor und des Chors hinter dem Orchester.
PARSIFAL - Theater Bielefeld - youtube Theater Bielefeld
[ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]Der Parsifal Richard Wagners ist ein außerordentlich textlastiges Stück Opernliteratur. Theatralische Handlung fehlt weitgehend in den Akten I und III. In ihnen liegt die Hauptlast auf Gurnemanz (Andreas Hörl), dem alten Hüter der Gralsburg. Er steht fast mittig am Rand der Vorderbühne, links und rechts von ihm kommen die übrigen Solisten zum statischen Einsatz. Gurnemanz erzählt, was alles zum Verständnis der Oper nötig ist, in Akt I vom Gral und dem heiligen Speer sowie vom Gralskönig Amfortas (Frank Dolphin Wong) mit seiner nicht heilenden Wunde, die ihm der verstoßene Gralsritter Klingsor (Yoshiaki Kimura) mit dem heiligen Speer zugefügt hat. Heilung bringe "ein reiner Tor, der durch Mitleid wissend" sei. Der dann auch kurz auftretende Parsifal (Alexander Kaimbacher), der von nichts weiß und von Kundry (Tuija Knihtilä) über seine Herkunft aufgeklärt wird, unterbricht Gurnemanz' Monolog, den er in Akt III mit der Schilderung des Niedergangs der Gralsritter-Gemeinschaft fortführt - ein Riesenpart, der Andreas Hörl an die Grenze seiner Sangeskraft bringt.
Theatralische Aktion findet sich hauptsächlich im II. Akt, in dem Parsifal in den Zaubergarten Klingsors eindringt, sich erst des verführerischen Chors der Blumenmädchen und dann der erlösungsbedürftigen Kundry versagt, die seit Jahrhunderten dafür büßt, dass sie Christus auf dem Weg zum Golgatha verlacht hatte. Weil sie Liebe und Sex nicht unterscheidet und daher nicht versteht, dass Parsifals mitleidige Liebe sie erlöst, verflucht sie ihn zu hoffnungsloser Suche nach der Gralsburg, zu der es ihn zurückdrängt. Was sich zwischen den beiden abspielt, zwischen Kuss und Fluch, ist fesselndes Musik-Theater, ohne dass die Szene naturalistisch ausgespielt wird; Stimmen und Körpersprache von Tuija Knihtilä und Alexander Kaimbacher schaffen die vollkommene Illusion. Bedauerlich, dass Klingsor nicht entsprechend inszeniert wird und der Chor zwar überaus wohlklingend, aber nicht zu verstehen ist.
Kein Problem mit der Verständlichkeit hatte, wer unter www.opera.guru/web das Libretto der Oper in seinem Händi aufgerufen hatte, wo es parallel zu dem gesungenen Text lief. Im Zusammenspiel mit dem Text erklärte sich die nur im Gesang stattfindende Handlung bis in Feinheiten hinein. Dazu kam ein weiterer Vorteil. Der Blick auf das Händi ersparte die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Verhältnis des Lichtspiels zu der Bühnenhandlung. Dessen Bilder begleiteten rätselhaft symbolisch das Geschehen mit Landschaften von emotionalen Werten, oft um eine senkrechte oder waagerechte Achse gespiegelt oder mit vage auf Szenen bezogenen Menschen. Man mag den Videos von Vincent Stefan einen eigenen ästhetischen Wert zusprechen. Da sie sich aber auf der gleichen nicht-naturalistischen Ebene aufdringlich konkurrierend zur Musik bewegen und bei mangelnder Textverständlichkeit und fehlender Erläuterung durch die Bühnenhandlung bei ihnen Rat gesucht wird, tragen sie entscheidend dazu bei, dass dieser Parsifal nicht rund wurde.
Dabei waren die Voraussetzungen für ein Gelingen gegeben. Die Solisten konnten begeistern, allen voran Andreas Hörl mit kräftigem Bass und sorgfältiger Artikulation. Alexader Kaimbacher gewann an tenoraler Ausdruckskraft und Spielfreude im Zusammenspiel mit der Mezzosopranistin Tuija Knihtilä, die Kundrys zwiespältigen Charakter mit großer Stimme zeichnete. Die Baritone Frank Dolphin Wong als Amfortas und Yoshiaki Kimura als Klingsor / Titurel konnten in ihren kurzen Auftritten gefallen wie der von Hagen Enke einstudierte, sehr wohlklingende Chor.
Die Bielefelder Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Alexander Kalajdzic vermieden alles unnötige Pathos, zelebrierten nicht bloß den suggestiven Wagner-Klang, sondern entfalteten ihn in allen seinen Schichten, von der eindringlichen Diatonik der keuschen Gralswelt und feierlicher Kirchenmusik bis zur bewegten Chromatik in der sinnlichen Gegenwelt Klingsors. Ihnen galt nach mehr als fünf Stunden der überschwengliche Beifall des Publikums, der auch alle weiteren an der Aufführung Beteiligten einschloss, vor allem Andreas Hörl, Tuija Knihtilä und Alexander Kaimbacher.
Besuchte Aufführung: 19.5.2023