Berlin, Staatsoper Unter den Linden, Parsifal von Richard Wagner, IOCO Kritik, 08.04.2018
Parsifal von Richard Wagner
Ein Bühnenweihfestspiel - In der neuen Staatsoper
Von Karola Lemke
Die Inszenierung Dmitri Tscherniakov´s hatte ihre Staatsopern-Premiere am 28. März 2015 im Rahmen der Festtage 2015 im Schillertheater. 2016 übernahm die hochgeschätzte Waltraud Meier die Rolle der Kundry, wurde verdient gefeiert.
Karfreitag 2018 erklingt das Bühnenweihspiel erstmalig in der wiedereröffneten Staatsoper Unter den Linden, Schon vor Vorstellungsbeginn wird der Apollosaal das meistgesuchte Fotomotiv. Großes Fotointeresse dann nach Öffnung auch im Saal. Die Bestuhlung ist relativ eng und die Sitze sind stramm gepolstert.
Und wie hat sich die Akustik verändert? Während des Vorspiels wird deutlich, daß zumindest im ersten Rang das Klangerlebnis sehr angenehm ist. In weichen runden Klängen, sehr gedehnt, die fehlende Dynamik noch durch das Auskosten jeder Note verstärkend, zelebriert Daniel Barenboim dies ergreifende Vorspiel. Auch im weiteren Verlauf der Vorstellung mischen sich Orchester und Sänger ausgezeichnet.
1. Aufzug, Waldlichtung und Gralsburg
Gralsburg - Lieblose, kaum Licht durchlassende Fesnter
Im ersten Aufzug zeigt Tscherniakov, angelehnt an die frühe Bayreuther Tradition, die halbrunde Gralsburg. Lieblos wirkende Fenster, die kaum Licht durchlassen, wurden an unpassender Stelle eingebaut. Während der Gralserzählung des spirituellen Lehrers und Gralsritters Gurnemanz zeigen Bilder auf weißer Leinwand die Parsifal - Uraufführung 1882 in Bayreuth.
Richard Wagner hatte in seinem Parsifal dem um 1200 entandenen Versroman Parzifal Wolfram von Eschenbachs mit Kundry eine höchst komplexe Frauenfigur hinzugefügt. Tscherniakovs Kundry ist Nina Stemme, in beige Hose und Trenchcoat im Gegensatz zu den Gralsrittern gegenwärtig gekleidet. Die Gralsritter sind zu Gottestreue, Gehorsam und Keuschheit verpflichtet. Amfortas (Lauri Vasar) verstieß durch den Beischlaf mit Kundry gegen die Gelübde. Lauri Vasar gestaltet diesen Amfortas überzeugend mitleiderregend. Qualvoll fristet er in Folge als designierter Nachfolger seines Vaters Titurel (Reinhard Hagen) nach der Verletzung durch Klingsor und dem Verlust der heiligen Lanze seine Tage in der Gralsburg Monsalvat. Ansonsten: Männerwirtschaft in abgelegener kalter unwirtlicher Gegend: Grobe Bänke, ärmliche Bekleidung, verhärmt wirkende Gralsbrüder. René Pape gibt bei ausgezeichneter Textverständlichkeit einen vorzüglichen Gurnemanz
Der jugendliche Parsifal (Andreas Schager), in kurzen Hosen, Sweatshirt, modernem, hoch bepacktem Wanderrucksack und Armbrust, wirkt in dieser Szenerie exotisch. Parsifal, der Tor, wächst von der Welt abgeschottet auf, weiss weder von seiner adligen Herkunft noch von der Rolle, für die er auserwählt ist. Er ist reinen Herzens, aufrichtig und voller Demut. Aber er muß seinen Weg in einer Welt von Leid und Tragik erst noch finden. Dass der Tor die Regeln nicht kennt, zeigt sich bei Eschenbach, als Parzival nach der Tötung des roten Ritters dessen Rüstung an im Glauben sich nimmt, nun auch Ritter zu sein. Bei Wagner tötet Parsifal im heiligen Gebiet des Grals einen Schwan und zieht sich die Empörung der Gralsritter zu. Tscherniakv verzichtet auf die gegenständliche Darstellung des Schwanes.
Titurel in langem Mantel kommt auf die Bühne und steigt in einen Sarg, den die Gralsritter zuvor auf der Bühne abgestellt hatten. Hat Parsifal im Nachhinein ob der Tötung des Schwanes Gewissensbisse gezeigt, so ist er von der Gralsenthüllung (bei Tscherniakow ausreichend abstossend inszeniert) und den damit verbundenen Schmerzen Amfortas entsetzt. Die Verbände werden Amfortas abgeschnitten und das Blut aus der Wunde gepreßt. Mitleid kann Parsifal jedoch nicht zum Ausdruck bringen, der erhoffte Satz: „Was quält dich, mein König“ fällt nicht. Gurnemanz schickt Parsifal enttäuscht davon.
2. Aufzug, Klingsors Zaubergarten
Klingsor - Verbraucht abstoßender Mann in Uraltstrickjacke
Im unveränderten Bühnenbild taucht lediglich das Licht (Gleb Filshtinsky) alle Handlung in kaltes Weiß. Die Fenster erscheinen durchsichtig. Eine Textprojektion verkündet, dass Klingsor sich hier eine Heimstatt errichtet hat in der er mit seinen zahlreichen Töchtern, den Blumenmädchen, lebt. Beklemmend wirkt, wenn die blutjungen Blumenmädchen in Kinderröcken, mit geflochtenen Zöpfen oder „Affenschaukeln“ Spielzeug in den Händen halten; ebenso beklemmend, doch anders im Ausdruck, wenn die Gralsritter Amfortas Blut abzapfen. Das Bühnenbild der Inszenierung zeigt so in kurzer Folge zwei Seiten von Wahnsinn; beide Szenen nur schwer zu ertragen. Lyrisch weich klingt der Chor der Blumenmädchen, wenn sie die Ritter beweinen; ganz zart ihr „Komm, komm holder Knabe“.
Klingsor (Falk Struckmann) ist ein alter, verbrauchter, gestörter, abstoßender Mann in Uraltstrickjacke und Pantoffeln. Doch solch verstörte Erscheinung kann die von Gewalt geprägten Grobheiten des Klingsor gegenüber Kundry nicht glaubhaft transportieren. Interessant dagegen, die pantomimische Darstellung der Erzählung Kundrys „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“. Dargestellt wird die Szene durch Janine Schneider (Parsifals Mutter) und Christian Kreibich (Parsifal Double).
Großartig Schagers Ausbruch: „Amfortas! Die Wunde!“
Als Parsifal Kundrys Verführung widersteht, als er Amfortas Wunde begreift, ruft Kundry nach Klingsor´s Hilfe. Doch der heilige Sperr wird diesem von Parsifal entwunden. Inmitten der Kinder erticht Parsifal Klingsor. Wie schon 2017 in Bayreuth ist Andreas Schager ein phantastischer Parsifal, stimmlich und schauspielerisch so überzeugend, dass man wirklich den Selbstfindungsprozeß mit ihm durchleidet. Den Zerfall von Klingors Reich erzählt das Orchester, nicht das Bühnenbild.
„Du weißt, wo Du mich findest“
3. Aufzug, Waldlichtung und Gralsburg
Das Bühnenbild des ersten Aufzuges, nur alles noch etwas älter: Der alte bärtige Gurnemanz ist da, ebenso Kundry. Titurel ist in seinem Sarg verstorben (nun geschlossen). Die Verwandlungsmusik nach dem Tode Titurels korrespondiert mit der Verwandlungsmusik des ersten Aktes. Parsifal betritt als vermummter Kämpfer die Bühne. Kundry übernimmt dessen Fußwaschung. Es kommt zum Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Kundry und Parsifal.
Gänsehautmoment beim kraftvollen Chor der Gralsritter. In der gesamten Aufführung waren Staasopernchor und Konzertchor sehr überzeugend. Besondere Erwähnung verdient hier Natalia Skrycka sowohl als Blumenmädchen, als auch als Stimme aus der Höhe. Als sich Amfortas und Kundry umarmen, wird diese von Gurnemanz (René Pape stimmgewaltig wie gewohnt) von hinten erstochen. Tscherniakovs Sicht auf die Menschheit.
Insgesamt eine großartige Leistung des hochkarätigen Ensembles, des Chores wie der Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim.
Parsifal an der Staatsoper Unter den Linden; keine Vorstellungen in der laufenden Spielzeit
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