Berlin, Schlossparktheater, Paul Abraham - Musikalische Tragikomödie, IOCO Kritik, 21.11.2018

Berlin, Schlossparktheater, Paul Abraham - Musikalische Tragikomödie, IOCO Kritik, 21.11.2018
Schlosspark-Theater Berlin © Kerstin Schweiger
Schlosspark-Theater Berlin © Kerstin Schweiger

Schlosspark-Theater

Paul Abraham – Operettenkönig von Berlin

Musikalische Tragikomödie um das wechselvolle Leben von Paul Abraham

Von Kerstin Schweiger

„Vor dem Lächeln der Soubretten schmilzt die ganze Weltmisere“, Alfred Grünwald im Programmheft zur Uraufführung von Paul Abrahams Operette Ball im Savoy.

Berlin, Wien, Paris, Casablanca, Havanna, New York – die Lebensstationen des Komponisten Paul Abraham lesen sich so exotisch wie die Schauplätze einer seiner Erfolgs-Operetten, mit denen er zu Beginn der 1930er Jahre für Furore sorgte. Doch das Leben des genialen Tonsetzers verlief nur bis zum Januar 1933 operettenhaft – mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde es für ihn wie für viele andere Künstler zur Tragödie.

Seit Barrie Kosky 2013 an der Komischen Oper in Berlin mit einer bejubelten Inszenierung und einer persönlichen Würdigung auf der Bühne am Ende dieser Premiere von Paul Abrahams Ball im Savoy (youtube Trailer unten), ab März 2019 wieder auf dem Spielplan) die Wiederentdeckung seiner Musik eingeläutet hat, wird auch der Biografie des jüdisch-ungarischen Komponisten Paul Abrahams (2. November 1892 - 6.5. 1960)  wieder Beachtung geschenkt. Er teilte das Schicksal so vieler Komponisten, Textdichter, Künstler und Regisseure, die das Genre Operette zu einem der beliebtesten im politisch gebeutelten ersten Viertel des 20. Jahrhunderts machten.

 Abraham - Im Schlosspark Theater © Bo Lahola
Paul Abraham - Im Schlosspark Theater © Bo Lahola

„Die Nazis haben doch einen Krieg gegen die Operette geführt. Man kann doch keinen Krieg gegen die Operette führen. Was wollten sie denn spielen, wenn sie die jüdischen Operettenkomponisten nicht spielen durften?“, sagt Paul Abraham in Dirk Heidickes biographischem Theaterstück Abraham.

Am 12.September 1934 schrieb der Oberregierungsrat und spätere Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlösser in einem Bericht an Reichsminister Goebbels: „Bei der Machtübernahme war die Lage auf dem Operettenmarkt so, dass 80% der Produktion sowohl musikalisch wie textlich jüdischen Ursprungs war. 10% war den Komponisten nach arisch, den Librettisten nach aber ebenfalls jüdischen Ursprungs. Die rein arischen Werke endlich dürften 10% nicht überstiegen haben. Unter diesen Umständen war es in der vergangenen Spielzeit nicht möglich, die jüdischen Bestandteile in der Operette restlos auszumerzen."

In nur drei kurzen Jahren eroberte auch der ungarisch-jüdische Komponist Paul Abraham zwischen 1930 und 1933 die Bühnen der Stadt und das Berliner Publikum im Sturm. In Ungarn geboren, spielte Abraham neben dem Musikstudium in Caféhäusern und begleitete Stummfilme. Er schrieb 100 Schlager in der Woche. In der facettenreichen musikalischen Bühnenunterhaltungsindustrie der ausgehenden Weimarer Republik mit ihrem vielstimmigen Komponisten-Kreis fand er rasch irgendwo zwischen Lehár und Weill, Krenek und Künneke, Kálmán und Hollaender eine künstlerische Nische. Die Zusammenarbeit mit den erfahrenen Lehár-Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda erwies sich als äußerst erfolgreich.

In enger Folge entstanden hier mit den Operetten Victoria und ihr Husar (1930), Blume von Hawaii (1931, youtube Trailer unten)) und Ball im Savoy (1932, youtube Trailer unten) drei Welterfolge, von deren Tantiemen sich Paul Abraham ein Haus in der Fasanenstraße leisten konnte.

„Es ist so schön am Abend bummeln zu geh’n“, „Ball im Savoy“, „Meine Mama ist aus Yokohama“, „Mr. Brown und Lady Stern“ - Abraham schrieb für seine Operetten Hit über Hit.

„Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“, eines seiner bekanntesten Lieder aus Ball im Savoy, wurde für seinen Schöpfer nur zu schnell wahr. Direkt nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verließ Paul Abraham 1933 Berlin. Zunächst floh er nach Budapest, wo ihn in einer Aufführung rechtsnationale Komparsen angriffen. Abraham verließ Ungarn allein, seine Ehefrau Sarolta Feszely sollte er erst 1956 wiedersehen.

Paul Abraham - Im Schlosspark Theater © Bo Lahola
Paul Abraham - Im Schlosspark Theater © Bo Lahola

Besonders perfide ist, dass Abraham fertige Schlager zurücklassen musste. Sein Chauffeur soll diese an andere Komponisten verkauft haben, die sich mit der Urheberschaft schmückten. Abraham wurde nicht nur seines Vermögens, sondern auch geistig enteignet. Über Paris floh er weiter nach Casablanca und von dort nach Kuba.

Schließlich erreichte er nach New York, nur die künstlerischen Vorzeichen, unter denen er in Europa so erfolgreich gewesen war, erwiesen sich hier als komplett verändert. Die von ihm als Novum in seine Erfolgsoperetten integrierten Jazzelemente, die dort mit einer Jazzband zusätzlich zum Orchester zu seinem Markenzeichen und Stil geworden waren, fanden in der amerikanischen traditionellen Rezeption wenig Anklang. Hier verband man europäische Operetten nicht mit uramerikanischen musikalischen Stilelementen. Abraham erkrankte schwer und erfuhr in einer psychiatrischen Klinik mehr als 10 Jahre lang Behandlungen. Auf Initiative mehrere deutscher Freunde konnte er zusammen mit 52 anderen erkrankten Emigranten schließlich 1956 nach Deutschland zurückkehren, wo er jedoch wenige Jahre später verstarb, ohne seine künstlerische Karriere fortsetzen zu können.

Das kleine Berliner Schlossparktheater stellte nun in einem mehrtägigen Gastspiel rund um den Geburtstag des Komponisten Anfang November 2018 in einer Produktion der Kammerspiele Magdeburg und der Hamburger Kammerspiele eine szenische Biografie des Komponisten vor. In filmschnittartigen Rückblenden und mit wenigen Requisiten erzählt Dirk Heidicke (Regie: Klaus Noack) in seiner szenischen Biografie  das Leben des Operettenkomponisten Paul Abraham und dessen tragisches Schicksal nach.

Ein leises Stück der eindringlichen Töne. In „Paul Abraham – Operettenkönig von Berlin“ begibt sich Jörg Schüttauf, als Darsteller aus Theateraufführungen und zahlreichen TV- und Kinoproduktionen bekannt, auf leise und eindringliche Art auf die Spuren eines tragischen und rastlosen Lebens. Nur wenige Kilometer entfernt von Paul Abrahams früherem Wohnhaus in der Charlottenburger Fasanenstraße und den Schauplätzen seiner großen Erfolgsaufführungen an den Berliner Operettentheatern in der späten Weimarer Republik.

Ball im Savoy - Barrie Kosky Inszenierung an der Komischen Oper Youtube Trailer der Komischen Oper Berlin [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Schüttauf zeigt sich als Darsteller von hoher Wahrhaftigkeit. Er gibt der tragischen Figur Paul Abrahams eine Leichtigkeit, die fast beiläufig die melancholische Grundstimmung seines Schicksals auslotet. Dabei bleibt er stets dicht an der Figur.

Susanne Bard ist ihm dabei in einer Vielzahl an Rollen eine adäquate Bühnenpartnerin. Ihr unbestrittenes komödiantisches Talent, das gelegentlich ins Überzogene abdriftet, ist jedoch am besten eingesetzt, wenn sie als Sarolta Feszely, Abrahams Ehefrau, präsent ist. Hier zeigt sie mit Ruhe und Nähe zum Protagonisten eine dichte Figur.

Zusammen mit Jens-Uwe Günther am Flügel vollziehen beide Abrahams Lebensreise rückwärts nach, blicken hinter die Geschichte seiner Lieder. Günther webt immer wieder behutsam Abrahams Melodien in den gesprochenen Text, wie Erinnerungen, die für wenige Minuten aufblitzen.

Das große Verdienst des Stückes ist es, die Geschichte Paul Abrahams exemplarisch nachzuerzählen für die Biographien so vieler anderer jüdischer Künstler mit ähnlichen Schicksalswegen. Im Stück geschieht das berührend konkret, wenn es z.B. um die jüdisch-stämmigen Librettisten Abrahams, Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald geht: Grünwald gelang noch rechtzeitig die Flucht, Löhner-Beda wurde ins KZ Buchenwald verbracht, wo er 1942 ermordet wurde. Den gemeinsamen Erfolg ihrer Operetten hat Löhner-Beda, der vergeblich auf eine Intervention seines langjährigen Kollegen und Komponistenpartners Franz Lehár gehofft haben soll, nicht erlebt. Abraham hat physisch überlebt, doch seine Seele und sein musikalischer Verstand haben die Verfolgung und Irrfahrt ins Exil nicht überstanden.

Am 5. Januar 1946 wurde er auf einer Verkehrsinsel in New York City verhaftet, wo er mit weißen Handschuhen ein imaginäres Orchester dirigierte.

Blume von Hawaii Paul Abraham Youtube Trailer des TfN Hildesheim mit IOCO Rezension [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Die folgenden 10 Jahre, bis es einer Initiative seines Freundeskreises gelang, eine Einreisegenehmigung der bundesdeutschen Regierung zu erwirken, verbrachte er in einer Klinik in New York. In Hamburg lebte er bis zu seinem Tod 1960 wieder vereint mit seiner ungarischen Ehefrau in einer ruhigen imaginierten Welt, in der er Briefe über kommende Broadwayprojekte verfasste. Die Situation auf der Verkehrsinsel ist zu einer wiederkehrenden Spielsituation im Stück geworden. Jörg Schüttauf gelingt es, sie als tragisches Abbild von Paul Abrahams gestohlenem Leben lebendig zu machen.

Das Schlossparktheater

Das Schlossparktheater am ehemaligen Gutshaus Steglitz in Berlin Steglitz gelegen ist ein theaterarchitektonisches Kleinod mit Tradition und bewegter Geschichte. Ca. 1885 wurde das Gebäude des jetzigen Schlosspark Theaters vom Kaufmann Hans Heinrich Müller auf dem Gelände des Wirtschaftstraktes des Wrangelschlösschens (Gutshaus Steglitz) erbaut und zunächst als Tanzsaal und Restauration genutzt. 1921 fand nach einem Umbau das Theater mit 440 Plätzen in diesem Gebäude eine neue Unterkunft.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1945 führte Boleslaw Barlog das Theater 27 Jahre, bis 1972; er inszenierte dort über 100 Stücke. Zum damaligen Ensemble der „Stunde Null“ gehörten unter anderem Hildegard Knef, die im Schlossparktheater ihr Theaterdebüt gab, Klaus Kinski und Martin Held. In der Nachkriegszeit feierten deutschsprachige Erstaufführungen berühmter zeitgenössischer Dramatiker hier Premiere, so zum Beispiel 1953 Samuel Becketts bekanntes Stück Warten auf Godot in der Regie von Karl Heinz Stroux. 1950 wurde das Schlossparktheater als Teil des Schillertheaters zum Staatstheater ernannt und war dessen kleinere Spielstätte. Zum legendären Ensenble gehörten dann Klaus Kinski, Erich Schellow, Johanna von Koczian, Klaus Kammer, Gudrun Genest, Bernhard Minetti, Berta Drews, Walter Franck, Marianne Hoppe, Carl Raddatz, Arthur Wiesner und Peter Ustinov. Nach der Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin im Jahre 1993 wurde das Schlossparktheater als Privattheater mit staatlichen Zuschüssen betrieben. Aus der Konkursmasse der nach der Wende abgewickelten Staatlichen Schauspielbühnen übernahm zunächst Heribert Sasse das Schlossparktheater als Privatbühne. Ab 2004 war der Unterhaltungskonzern Stage Entertainment, für kurze Zeit Partner des Schlossparktheaters. Unter  der künstlerischen Leitung von Regisseur Andreas Gergen fand dort u.a. die gefeierte Deutsche Erstaufführung des Musicals Pinkelstadt  statt. Im Dezember 2008 übernahm der Kabarettist und Schauspieler Dieter Hallervorden das Schlosspark Theater, um es unter seiner Leitung als Sprechtheater ohne festes Ensemble zu bespielen. www.schlossparktheater.de

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