Berlin, Schaubühne, EUROTRASH - Christian Kracht, IOCO Kritik, 01.12.2022
EUROTRASH - Christian Kracht, Fassung Jan Bosse - Bettina Ehrlich
„Willkommen im Gefühls-Dschungel"
von Rainer Maaß
Die Schaubühne Berlin zählt zu den renommiertesten Theatern Berlins. Als Schaubühne 1962 am Hallischen Tor gegründet und zog 1981 zum Lehniner Platz in Wilmersdorf unmittelbar am Kurfürstendamm 153.
Die letzten Zuschauer sind, Aufführung am 20.11.2022, noch dabei, sich auf ihren Plätzen zurecht zu rücken. Da huscht ein bärtiges Männlein über die leere Bühne und drapiert hier und dort ein paar Gegenstände. Ein Bühnenarbeiter wie es scheint. Aber wie vieles in diesem Stück scheint es eben nur so. Schon wenige Augenblicke später verwandelt sich dieser Mensch. Wie aus einem Kokon ein Schmetterling wird, entpuppt er sich als besuchsfein gekleideter Sohn. Joachim Meyerhoff gewinnt in dieser Rolle schnell die Sympathie des Publikums. Er präsentiert sich als intelligenter, wohlhabender Mann mittleren Alters. Er gesteht dem Publikum, wie sehr ihm vor dem Treffen mit seiner kranken, schwierigen Mutter graut. Verständnis ist ihm sicher. Welche Tochter, welcher Sohn hat nicht gelegentlich oder oft oder immer wieder Probleme mit den Schrullen der Erzeuger. Mal wird darüber gelacht, mal ist es zum Heulen. Auf der Bühne wie im wirklichen Leben.
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Endlich erscheint die Mutter. Sie trägt ein gelbes Kleid, das wie ein Anstaltskluft aussieht. Angela Winkler als Mutter wirkt in dieser Rolle klein und zerbrechlich. Aber auch hier trügt der Schein. Sie ist böse und verbittert. Sie bestimmt ab jetzt das Geschehen. Die Reise durch den Gefühls-Dschungel beginnt. Eine fast zweieinhalbstündige Tour durch alle Probleme, die auf der familiären Tageordnung stehen können. Es hagelt Vorwürfe und Herabsetzungen. Schuldzuweisungen und Unverständnis für die Sorgen des anderen. Es geht um den Umgang mit Geld und Tabletten und um die Schatten der Nazi-Vergangenheit. Der anfangs so elegante und selbstbewusste Sohn leidet. Er sehnt sich nach dem Helden seiner Kindheit; David Bowie. Er gibt auf. Er entblättert sich förmlich und wird zum Diener der Mutter.
Er muss ihr die Haare bürsten und wechselt, von Mal zu Mal bereitwilliger, den vollen Stoma-Beutel.
Ein Höhepunkt des Stücks ist das Erscheinen der Segelyacht, die aus dem Bühnenboden wächst und zum Reisen auf dem Zürcher See dient. Mit diesem Verkehrsmittel machen sich die beiden auf, die Herzenswünsche der Mutter zu erfüllen. Mutter möchte einmal im Leben ein Edelweiß pflücken. Dafür fungiert das Requisit dann als Seilbahn bis hinauf zur Edelweiß Region. Anschließend geht es mit demselben Gefährt, diesmal als Flugzeug, nach Afrika. Denn Mutters zweiter Herzenswunsch ist ein Besuch bei den Zebras in Afrika.
Es ist Mutters letzte Reise. Denn sie endet in der Nervenheilanstalt Winterthur. Der Dschungel lichtet sich. Christian: "Manchmal habe ich das Gefühl, du bist gar nicht verrückt.“ Mutter: „Ha! Ich? Nein, Du warst es schon immer, nicht ich. Du bist verrückt.“
Dankenswerter Weise hat Jan Bosse das Stück als Tragik-Komödie inszeniert. Slapstick Einlagen des hyperaktiven Sohnes geben der Story etwas Leichtigkeit und erlauben dem Publikum gelegentlich befreiendes Lachen. Um am Ende den wunderbaren Darstellern mit langem Beifall zu danken
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