Berlin, Philharmonie, Festliches Opern- und Operettenkonzert, IOCO
Mit exakter Schlagtechnik wählte Stanley Dodds souverän die Tempi, erzeugte Spannung und baute gekonnt und bisweilen sehr schwungvoll Höhepunkte auf.
Festliches Opern- und Operettenkonzert - Berliner Philharmonie
Oper, Operette und Ballett, Werke aller Gattungen und Zeiten als Populärmusik und das ganz ohne Stars?
von Michael Adler
Wohin geht ein Kulturjournalist am Christtag mit seinen Freunden in Berlin? Angebote hat die pulsierende deutsche Hauptstadt ja zur Genüge. Hat man als Begleitung keine typischen Klassik-Freaks, die unbedingt Stars hören müssen, so werden einem bald die populären Konzerte in der Berliner Philharmonie empfohlen, die bis heute über 3,5 Millionen Konzertbesucher aus Berlin und der ganzen Welt genossen haben. Der Idee des Gründers, Prof. Victor Hohenfels, folgend, offeriert die Konzertdirektion Prof. Victor Hohenfels seit mehr als 60 Jahren beliebte und bekannte Meisterwerke großer Komponisten ohne staatliche Subvention mit dem Ziel, diese vielen Menschen zugänglich zu machen und junge Talente zu präsentieren. Oper, Operette und Ballett also als Populärmusik und das ganz ohne Stars? Man fragt sich, wie das gelingen kann und – wird eines Besseren belehrt! Zum Erfolg dieser Idee tragen viele Komponenten bei: Da wäre zum einen das Konzept „Klassik für jedermann“, dass überwiegend die bekanntesten und populärsten Werke der Musikliteratur dem Publikum präsentiert – die Ohrwürmer also, die sowohl die Klassikaffinen, als auch solche, die es erst werden (wollen), ansprechen.
Zum anderen steuert der Aufführungsort selbst das Seine zum überaus positiven Eindruck bei: Im immer noch ungewöhnlichen und einmaligen großen Konzertsaal in dem 1963 nach den Plänen von Hans Scharoun erbauten Gebäude der Berliner Philharmonie steigern Architektur und Akustik das musikalische Erlebnis. Das in einer Bauzeit von 37 Monaten erbaute Haus (Grundsteinlegung: 15.9.1960, Eröffnung: 15.10.1963) bietet mehr als 2.400 Konzertbesuchern Platz. Was den Gästen im ausverkauften Haus von Dirigent, Orchester und Solisten geboten wird, ist letztlich aber auch hier das, worauf es ankommt, das, was dem Konzept schließlich zum Erfolg verhilft. Und diesbezüglich besitzt die Konzertdirektion Prof. Victor Hohenfels offenbar ein außerordentlich glückliches Gespür bei der Auswahl der solistischen Nachwuchstalente. An diesem Christtag überzeugen sie alle in der Wechselwirkung mit dem Sinfonie Orchester Berlin. Das seit einigen Jahren erfolgreich mit Mitgliedern der Berliner Philharmonie wie auch der Wiener Philharmoniker zusammenarbeitende Orchester ist im Grunde eine Mischung aus sehr erfahrenen Orchestermusikern und jungen, teils freischaffenden Musikern. Sie alle sind auf ihren seit der Spielzeit 2014/2015 amtierenden Chefdirigenten Stanley Dodds fokussiert, vertrauen und folgen ihm in jedem Augenblick. Sie liefern die wohlbekannten Ohrwürmer nicht nur ab, sondern vermitteln eindeutig den Eindruck, dass diese ganz spontan entstehen und mit wirklichem Enthusiasmus und höchster Professionalität musiziert werden. Der in Kanada geborene, in Australien aufgewachsene und in der Schweiz, Österreich und Deutschland ausgebildete Stanley Chia-Ming Dodds ist seit 1994 Geiger der Berliner Philharmoniker und empfing während dieser Zeit bedeutende Impulse von Claudio Abbado, Sir Simon Rattle und Kirill Petrenko.
Mit exakter Schlagtechnik wählte er souverän die Tempi, erzeugte Spannung und baute gekonnt und bisweilen sehr schwungvoll Höhepunkte auf. Ein Musiker, der weiß, was er will und wie er mit dem ihm anvertrauten Klangkörper und den jungen SolistInnen umgehen muss, um aus allen das Optimum herauszuholen. Den Bogen spannte er im Opernfach von Delibes (Lakmé), Mozart (Die Hochzeit des Figaro, Zauberflöte) über Saint-Saëns (Samson und Dalila) und Verdi (Rigoletto) bis zu Wagner (Tannhäuser, Rheingold). Im Operettenfach wurden Lehár (Giuditta, Land des Lächelns), Offenbach (La Périchole), J. Strauss (Fledermaus, Radetzky Marsch) und Kálmán (Csárdásfürstin) präsentiert. Weitere Musikstücke erklangen von Di Capua, Bernstein und Loewe. Die leichtfüßige Eleganz der Berliner Tänzerinnen des Ballett- und Tanzstudios Zehlendorf unter der Leitung von Franziska Rengger durfte man bei Salut d’Amour von Elgar, der Mazurka aus dem Ballett Les Sylphides von Chopin und dem Holzschuhtanz aus Lortzings Zar und Zimmermann bewundern. Die beiden Solistinnen, die Sopranistin Alyson Rosales aus Chile mit Hochschulstudium in Stuttgart, und die Mezzosopranistin Asahi Wada, ausgebildet an der heimatlichen japanischen Musashino Akademie, wurden ihrem Ruf als begabte Newcomerinnen gerecht. Rosales wurde bereits 2022 am Teatro Colón in Buenos Aires als „rising star“ bezeichnet, was sie mit der Arie der Susanna („Deh vieni, non tardar“) hervorragend in den zärtlichsten Tönen, die sogar im Piano in den höchsten Höhen wunderbar strahlten, untermauerte. Man wünscht sich, sie auch an großen Häusern als Mimì, Adina oder Susanna zu hören. Mit „La donna è mobile“, „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ und „O sole mio“ holte sich der in Sri Lanka geborene, in Deutschland aufgewachsene und ausgebildete junge, höhensichere lyrische Tenor Thaisen Rusch mehr als nur einen Achtungserfolg. Sicher im Umgang mit komplexen Höhen verknüpfte er bei „Dein ist mein ganzes Herz“ sehr gekonnt Gefühl und Präzision, Pathos und Temperament, was ihm das Publikum herzlich dankte. Die große Überraschung des Abends war der österreichische Bariton Thomas Weinhappel, der bereits von der Presse als kommender Wagner-Göttervater bezeichnet wurde.
Mit seinem stimmgewaltigen, majestätischen „Abendlich strahlt der Sonne Auge“ aus dem Wagnerschen Rheingold entsprach er diesem Nimbus vollkommen. Damit nicht genug empfahl er sich auch im Verdi-Fach mit „Cortigiani“ als verzweifelter, in allen Lagen versierter Rigoletto; auch andernorts hat man diese Partie lange nicht so ausdrucksstark gehört. Dem überzeugenden Konzept der Konzertdirektion Hohenfels, mit populärer klassischer Musik aufstrebenden KünstlerInnen eine Chance zu bieten, war mit diesen SolistInnen, allen voran dem jungen Bariton Weinhappel, ein tatsächlich beeindruckender Erfolg gelungen, der den Vergleich mit großen Opernhäusern nicht zu scheuen braucht. Das äußerst zufriedene Publikum honorierte mit nicht enden wollendem Applaus.