Berlin, Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko - Neuer Chefdirigent, IOCO Aktuell, 10.08.2015
Kirill Petrenko 11. Chefdirigent der Berliner Philharmoniker
Die Überraschung gelang vollkommen: Im Juni 2015, so die offizielle, lakonisch klingende Mitteilung der Berliner Philharmoniker, "wurde Kirill Petrenko mit großer Mehrheit von der Orchesterversammlung der Berliner Philharmoniker zum designierten neuen Chefdirigenten des Orchesters und Künstlerischen Leiter der Stiftung Berliner Philharmoniker gewählt. Er folgt damit auf Sir Simon Rattle, der das Amt im August 2018 abgeben wird. Kirill Petrenko: „Man kann es gar nicht in Worte fassen, was in mir gefühlsmäßig vorgeht: von Euphorie und großer Freude bis zu Ehrfurcht und Zweifel ist da alles drin. Ich werde meine ganze Kraft mobilisieren, diesem außergewöhnlichen Orchester ein würdiger Leiter zu sein und bin mir auch der Verantwortung und der hohen Erwartungen bewusst. Vor allem erhoffe ich aber vom gemeinsamen Musizieren viele Momente des künstlerischen Glücks, die unsere harte Arbeit belohnen und unser Künstlerleben mit Sinn erfüllen sollen.“ Ulrich Knörzer und Peter Riegelbauer für den Orchestervorstand: „Es erfüllt uns mit großer Freude, dass Kirill Petrenko die Wahl zum designierten Chefdirigenten unseres Orchesters angenommen hat. Wir blicken voller Zuversicht in die gemeinsame musikalische Zukunft.“ Martin Hoffmann, Intendant: „Als Intendant der Stiftung Berliner Philharmoniker freue ich mich sehr über die Wahl und gratuliere dem Orchester und Kirill Petrenko herzlich.“ Sir Simon Rattle: “Ich bewundere Kirill Petrenko seit Jahren und bin hocherfreut, dass er mein Nachfolger bei diesem wundervollen Orchester wird. Ich gratuliere gratuliere den Berliner Philharmonikern zu dieser zukunftsweisenden Entscheidung.”
Wenige Musikprofis, auch nicht IOCO, hatten Kirill Petrenko auf ihrer Liste der möglichen Nachfolger von Simon Rattle. Doch meist, auch von IOCO, erntete die Entscheidung der Orchesterversammlung der Berliner Philharmoniker große Zustimmung.
Kirill Petrenko wurde 1972 in Omsk, Russland, in eine Musikerfamilie geboren. 1990 übersiedelte die Familie nach Vorarlberg, wo der Vater eine Stelle als Orchestermusiker und Musiklehrer annahm. Petrenko studierte zuerst weiter in Feldkirch und dann Dirigieren an der Musikuniversität in Wien. Ein erstes Engagement führte ihn an die Wiener Volksoper. Von 1999 bis 2002 war Kirill Petrenko Generalmusikdirektor am Meininger Theater. Im Jahr 2002 wirkte Kirill Petrenko als Generalmusikdirektor an der Komischen Oper Berlin. Daneben dirigierte Petrenko beim Maggio Musicale Fiorentino, an der Wiener Staatsoper, der Semperoper Dresden und anderen großen Theatern. Seit Sommer 2013 leitete er die Neuproduktion von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen (2015 zum letzten Mal). Seit September 2013 ist Kirill Petrenko GMD der großen Bayerischen Staatsoper. Große Premieren begleiteten seine ersten Spielzeiten in München. Dort folgte er Kent Nagano, welcher mit Intendant Klaus Bachler nie ein inniges Verhältnis herstellen konnte. Ab Herbst 2018 wird Petrenko der elfte Chefdirigent der Berliner Philharmoniker sein. Und verdrängt damit zahlreiche große Namen der Musikwelt, welche für diese Position gehandelt wurden.
1882 gab Hans von Bülow ehemaliger Chef der großen Meininger Hofkapelle in Berlin ein umjubeltes Konzert, welches im gleichen Jahr zur Gründung der Berliner Philharmoniker führte. Die Berliner Philharmoniker sind seither eines der bedeutendsten Philharmonischen Orchester der Welt. Der Standort Berlin und ein hoher wie stabiler Etat von €42 Mio. (Zuschüsse 2013 über 17 Mio.) sind die Treibmittel, welche gute Orchestermusiker und Dirigenten lockten. Klassik-Fan Angela Merkel besuchte das Silvesterkonzert 2014 der Philharmoniker.
Die lakonisch klingende Pressemitteilung der Berliner Philharmoniker vom Juni 2015 folgt langen, intensiv und laut geführten, öffentlichen Vermutungen um die Nachfolge von Chefdirigent Simon Rattle, an denen sich auch IOCO beteiligte. Simon Rattle hatte bereits im Januar 2013, gerade erst für fünf Jahre in seinem Amt bestätigt, seine Kündigung ausgesprochen: Für 2018! Simon Rattle damals trocken "Die Beziehung von Dirigent und Orchester sei eine Lebensabschnittspartnerschaft, keine Ehe." So formte sich Simon Rattle selbst öffentlich für fünf lange Jahre zu einem Übergangs-Chefdirigenten.
Von 1882 bis 2015, in 133 Jahren, führten nur 10 Dirigenten die Berliner Philharmoniker. Jeder Dirigent regierte im Schnitt über 13 Jahre. Mögen die großen Zeiträume Ausdruck von Trägheit, Brillanz oder musikalischer Selbstgefälligkeit auf hohem Niveau sein; unstreitig geprägt wurden die Berliner Philharmoniker von zwei Dirigenten: Wilhelm Furtwängler (25 Jahre) und Herbert von Karajan, welcher die Philharmoniker 34 Jahre, von 1954 bis 1989 leitete. Claudio Abbado (ab 1989) und Simon Rattle (ab 2002) traten in die Fußstapfen des Übervaters Karajans: Sie waren geschätzt, Eigene große Schatten warfen sie nicht. Kirill Petrenko, so heißt die neue große Hoffnung nun in Berlin.
IOCO /Viktor Jarosch / 15.08.2015