Berlin, Berliner Philharmoniker, Der lange Abschied des Simon Rattle, IOCO Aktuell, 08.01.2015
Berliner Philharmoniker: Zukünftig ohne Chefdirigent?
Hans von Bülow, ehemaliger Chef der großen Meininger Hofkapelle, gab einst, 1882, in Berlin ein umjubeltes Konzert, welches noch im gleichen Jahr zur Gründung der Berliner Philharmoniker führte. Die Berliner Philharmoniker sollten bis heute eines der bedeutendsten Philharmonischen Orchester in deutschen Sprachraum bleiben. Der Standort Berlin und ein hoher wie stabiler Etat von €42 Mio. (Zuschüsse 2013 über 17 Mio.) sind die Treibmittel, welche gute Orchestermusiker und Dirigenten lockten. Klassik-Fan Angela Merkel besuchte das Silvesterkonzert 2014 der Philharmoniker.
Von 1882 bis 2015, in 133 Jahren, führten nur 10 Dirigenten die Berliner Philharmoniker. Jeder Dirigent regierte also im Schnitt über 13 Jahre, Zeiträume, welche nachdenklich stimmen. Mögen sie auch Ausdruck von Trägheit, Brillanz oder musikalischer Selbstgefälligkeit auf hohem Niveau sein. Unstreitig geprägt wurden die Berliner Philharmoniker von zwei Dirigenten: Wilhelm Furtwängler (25 Jahre) und Herbert von Karajan, welcher die Philharmoniker 34 Jahre, von 1954 bis 1989 leitete. Claudio Abbado (ab 1989) und Simon Rattle (ab 2002) traten in die Fußstapfen des Übervaters Karajans: Sie verwalteten das Erbe ordentlich, waren geschätzt. Eigene Schatten warfen beide nicht.
Auffällig wurde Simon Rattle erst im Januar 2013, als er, gerade für fünf Jahre in seinem Amt bestätigt, seine Kündigung aussprach: Für 2018! Simon Rattle lakonisch: Die Beziehung von Dirigent und Orchester sei eine Lebensabschnittspartnerschaft, keine Ehe. Doch, eine Kündigung kurz nach Vertragsbeginn hat immer das fade Geschmäckle einer visionsleeren Versorgungsehe. Jedem Anfang sollte ein Zauber inne wohnen, nicht so bei Simon Rattle. Dirigentische Erstklassigkeit vermissen inzwischen viele bei ihm: Gustav Mahlers Fünfte Symphonie mißriet im Ungefähren, Nichts-Sagendem. Die Schumann Symphonien der neuen Philharmoniker-CD wirkt lackiert, glatt, ohne Konturen. So dominieren bei Rattle seit 2013 überwiegend die Gerüchte um seinen Nachfolger.
Doch, es geht aber auch ohne Chefdirigent: Die Wiener Philharmoniker im Wiener Musikverein, gefühlt das beste philharmonische Orchester der Welt, operieren seit 25 Jahren ohne eigenen Chefdirigenten. Der Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper besitzt im Musikverein musikalischen Einfluss, doch weisungsbefugt ist er nicht. Franz Welser-Möst schied kürzlich im Unfrieden und fristlos bei Staatsoper und den Wiener Philharmonikern aus. Er wird wenig vermisst. Für das Neujahrskonzert 2015 hatten die Philharmoniker Zubin Mehta ausgesucht. Er machte seine Sache gut: Orchester und Publikum waren mit ihm zufrieden. Vielleicht lädt man Mehta wieder ein, in Wien zu dirigieren.
Perfekter Interim wie strategischer Kandidat könnte Daniel Barenboim, (1942, Argentinien) sein. Seit Jahren in Berlin ansässig, bis 2022 als Chef der Berliner Staatskapelle und GMD der Lindenoper bestellt, ab 2016 von seinen Aufgaben an der Mailänder Scala befreit, wäre Barenboim als elder Statesman mit enormem KnowHow geeignet, einen regulären oder vorzeitigen Abgang Rattles professionell zu regeln. Und dabei, den Wiener Musikverein als Maßstab, für die Berliner Philharmoniker und ihre 200 Mitarbeiter einen modernen Führungsansatz installieren.
IOCO / Viktor Jarosch / 07.01.2015
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