Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus, GLUCK FESTSPIELE 2024 - Teil II, IOCO

In den Bayreuther Gluck Festspielen 2024, stellt Intendant Michael Hofstetter die Frage nach dem Verhältnis von Mächtigen zur Menschlichkeit. Für eine tiefgehende und künstlerische Auseinandersetzung, die die menschliche Psyche ausleuchtet, hat Hofstetter einen Opernstoff gewählt

Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus, GLUCK FESTSPIELE 2024 - Teil II, IOCO

 von Ljerka Oreskovic Herrmann

In den Bayreuther Gluck Festspielen 2024, 09.05. bis 18.05.2024, stellt der Geschäftsführende Intendant Michael Hofstetter die Frage nach dem Verhältnis von Mächtigen zur Menschlichkeit. Für eine tiefgehende und künstlerische Auseinandersetzung, die die verschiedenen Aspekte der menschliche Psyche ausleuchtet, hat Hofstetter einen Opernstoff gewählt, der dies auf besonders eindringliche Weise thematisiert: La clemenza di Tito. Das Libretto Pietro Metastasios La clemenza di Tito versinnbildlicht dies in besonderer Weise: "Können Herrscher Milde öffentlich zeigen, sollten sie sogar in besonderem Maße dazu fähig sein?" Michael Hofstetter wählte zwei Kompositionen von LA CLEMENZA DI TITO aus, die in ihrer Gegenüberstellung besonders reizvoll sind: Christoph Willibald Glucks Version (Teil 1 - link HIER, bei IOCO bereits veröffentlicht) und, hier unten folgend, La clemenza di Tito von Wolfgang Amadeus Mozart.

LA CLEMENZA DI TITO, Bayreuth hier das Ensemble @ Beth Chambers

Pietro Antonio Domenico Bonaventura Trapassi, besser bekannt unter seinem Psyeudonym Pietro Metastasio, war ein vielbeschäftigter Dichter und Librettist des 18. Jahrhunderts, dessen Werke für eine bestimmte Art von Musik konzipiert waren. Doch mit der Opernreform von Christoph Willibald Gluck, einem größer werdenden Orchester, der Verwendung von Gesangsnummern und zunehmend auch von Ensembles waren neue Textdichtungen gefragt. Metastasios La clemenza di Tito gelangte mit der Musik von Antonio Caldara 1734 zur Uraufführung, Glucks Vertonung erfolgte 1752. Sein Werk erklang zur Eröffnung der diesjährigen Gluck Festspiele im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth. Zwei Tage später konnte man Wolfgang Amadeus Mozarts La clemenza di Tito erleben. Dass Glucks Oper nicht szenisch umgesetzt wurde, spielte keine Rolle, interessant war die Gegenüberstellung musikalisch und in der Ausgestaltung der Handlung. Glucks optimistische Grundstimmung ist bei Mozart einer anderen gewichen. Dazwischen liegen nicht nur fünfzig Jahre Entwicklungen in der Musik und den Anforderungen an das Libretto sowie den gesellschaftspolitischen Folgen der Französischen Revolution zugrunde, sondern auch die persönlichen Erfahrungen des Salzburger Komponisten.

Wolfgang Amadeus Mozart in Wien @ IOCO

Mozart kam 1790 bei der Krönung von Leopold II. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Frankfurt nicht zum Zuge, die Festmusik La missa solenne schrieb stattdessen der gleichaltrige Vincenzo Righini. Die Enttäuschung Mozarts meint man fast in der Festoper zu spüren, der Ton klingt dunkler, weniger optimistisch, alle Protagonisten leiden – an sich und an den anderen. Mozarts La clemenza di Tito wurde im September 1791 in Prag uraufgeführt, der Anlass war die Krönung Leopolds II. zum böhmischen König – verbunden mit der Vision oder auch Mahnung, ein Herrscher dürfe seine Macht nicht missbrauchen. Dabei war Leopold II. ein durchaus aufgeklärter Monarch, der zuvor als Großherzog der Toskana, wo er sich nicht nur persönlich wohl und zuhause fühlte, Reformen angestoßen hatte – auf die dort noch heute mit einem gewissen Stolz zurückgeblickt wird. Und nicht zuletzt wurde er als ein „Titus-gleicher“ Kaiser angesehen, der für eine lange Friedenszeit sorgen wird; doch Leopold II. starb verfrüht und unerwartet 1792, Mozart bereits ein Vierteljahr vorher im Dezember 1791.

An der Bearbeitung von Metastasios nicht mehr zeitgemäßem Libretto durch Caterino Tommaso Mazzolà hat Mozart mitgewirkt. Und auf den Komponisten ist auch zurückzuführen, dass der ursprüngliche zweite Akt beinahe komplett entfiel, dafür das Ende des ersten Aktes – das Kapitol brennt – einen äußerst starken theatralischen Moment erzeugte. Seine Oper trägt die Bezeichnung „Dramma serio“ und bildet den triumphalen Schlusspunkt der Opera seria, weist aber in eine neue Richtung, da Mozart vielmehr an den Charakterportraits der Protagonisten interessiert war. Titus, die titelgebende Partie, steht dabei nicht so sehr im Mittelpunkt wie Vitellia, ihre Figurenzeichnung dominiert das Werk. Sie ist die treibende Kraft hinter der Palastintrige, hierin gleichen sich beide Opern, aber ihr Agieren ist durchaus etwas „gemeiner“ und ihr Leiden umso heftiger. Gemeinsam mit Sesto, auch bei ihm steht die psychologische Figurenerforschung für Mozart im Vordergrund, bildet ihr Handeln und Austarieren den Kern der Handlung und beiden schrieb er virtuose Arien.

LA CLEMENZA DI TITO, Bayreuth hier das Ensemble @ Beth Chambers

In Kooperation mit dem Theater J.K. Tyla Pilsen und dem Stadttheater Fürth und unter der musikalischen Leitung von Michael Hofstetter zeigt sich Mozarts Titus frisch und modern, ja aktuell. Die Frage nach dem Zusammen-hang von Macht und Menschlichkeit stellt sich in einer packenden Inszenierung auch der Regisseur und Bühnenbildner ROCC. Der europaweit arbeitende Slowene hat an der Janáček Academy of Music and Performing Arts in Brno studiert, weiterführende Studien führten in unter anderem zu rosalie – der zu früh verstorbenen Stuttgarter Künstlerin – an die Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main. Sein Einheitsbühnenbild ist reduziert, aber wirkungsvoll und passt hervorragend auf die Bühne des Markgräflichen Opernhauses. Ein langgezogener weißer Tisch (gewisse Assoziationen könnten sich einstellen!), Stühle und das entsprechende Licht, für das Kai Fischer sorgte, reichen um die unterschiedlichsten Stimmungen zu evozieren und Raum zu bieten für Festlichkeit und zugleich Verhandlungs- und Leidensschauplatz in einem zu sein. Auch bei ROCC bleibt der Thron (in diesem Fall ein Stuhl) leer, einzig das Tatwerkzeug – der Dolch – wird prominent und ehrfurchtsvoll darauf platziert, was die Frage nach dem Urheber der Tat unweigerlich aufwirft.

Vitellia ist eine verführerische und durchaus zärtliche Frau, sie hat aber auch eine herrische Seite, die von Sesto praktisch blinden Gehorsam fordert. Das Kostüm – Belinda Radulović schuf recht zeitlose Kleidung  – unterstreicht und sorgt für Wirkung: ganz in der Signalfarbe rot gehalten, ist es Ausdruck ihrer Verführungskunst, aber auch ihres ungestümen Wesens. Francesca Lombardi Mazzulli, spielfreudig und gesanglich wunderbar ausgelotet, zeigt die unterschiedlichen Aspekte Vitellias – auch ihre Leidensbereitschaft. Und da wären wir wieder bei Gluck, denn der erste Akt endet mit einer Klageszene, die an den Komponisten der Vorklassik gemahnt.

Sesto wiederum ist eher als ein weicher und wohlmeinender junger Mann angelegt, Vitellias Ansinnen stürzt diesen in einen nicht aufzulösenden Konflikt zwischen freundschaftlicher Treue und Liebe. Mozart hat diese Partie von einem Mezzosopran singen lassen; die Zeit der Kastraten war endgültig vorbei. Vero Millers Sesto gibt dieser Figur eine bemerkenswerte und überzeugende innere Größe, stimmlich und darstellerisch beeindruckend, und hat neben der dominanten Vitellia in jeder Hinsicht Bestand.

LA CLEMENZA DI TITO, Bayreuth hier Vitellia @ Beth Chambers

Auch die anderen Mitwirkenden überzeugen, allen voran die Sopranistin Barbora Polášková de Nunes-Cambraia als Annio, dessen Zerrissenheit sie ausdrucksstark zur Geltung bringt, wie auch Jakub Hliněnský als Publio. Hervorzuheben ist Akiho Tsujii, die kurzfristig die Partie der Servilia übernehmen musste, und dies mit einer bravurösen Leistung meisterte; mit glockenhellem Sopran verlieh sie ihrer Figur Kontur und auch dramatische Ausdruckskraft.

Titus’ dritte Arie gelingt Khanyiso Gwenxane berührend schön, auch seine Gefühlslage schwankt zwischen Edelmut und Rachegedanken. Mozart hat diese Partie einem Tenor anvertraut, was die Ambivalenz der Figur umso mehr unterstreicht. Sein „Kaiser“ ist zögerlich, schwankt zwischen Machtanspruch und Menschlichkeit. Der Chor wird nicht zuletzt einen entscheidenden Anteil (Lobpreisung des Herrschers am Ende der Oper) an der Wendung haben, indem er an den Menschen, nicht an den Herrscher, appelliert. Titus entscheidet sich für Milde und begnadigt alle Schuldigen – auch Vitellia, die sich als Anstifterin zu erkennen gibt. Mozart gönnt auch ihr Erlösung und einen versöhnlichen Schluss.

Unter der Leitung von Michael Hofstetter sangen und spielten der Chor und das Orchester des J.K. Tyla Pilsen, die ebenso wie das Regieteam und alle Mitwirkenden mit großem Applaus bedacht wurden.

Dass die beiden Werke in kurzer Abfolge zu erleben sind, ist das Verdienst von Hofstetter. Und auch, dass Glucks Titus einen rechtmäßigen Platz neben dem bekannteren Werk Mozarts zuerkannt bekommen sollte. Die Kombination der beiden gleichnamigen Opern illustrierte auf eindrucksvolle Weise, wie gut Mozart seinen Gluck kannte. Die Weiterentwicklung von längst überholten (aristokratisch-zeremoniellen) „Themen“ beglaubigt die Musik Mozarts zutiefst. Gleichermaßen auch die von Gluck, die das Zeremonielle (und zur Konvention erstarrte nicht nur in der Musik) in sehr menschliche Gefühlsregungen kanalisieren konnte und dessen Opern wieder zu entdecken und aufzuführen sich lohnt.