Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2018, Neuinszenierung des Lohengrin, IOCO Kritik
Schwanenritter in Traumwelt paralleler Sphären
Neuinszenierung des Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen 2018
Von Patrik Klein
Die Bayreuther Festspiele begannen in diesem Jahr mit einer Neuinszenierung der romantischen Oper Lohengrin, die auf die zunächst kontrovers diskutierte und zuletzt vom Publikum geliebte Inszenierung Hans Neuenfels folgte, der die Gesellschaft als Ratten im Versuchslabor sah. Der junge amerikanisch-israelische Regisseur Yuval Sharon, der erst vor zwei Jahren nach dem Rücktritt von Alvis Hermanis in die bereits skizzenhaft erarbeitete Konzeption der erstmals für das Theater arbeitenden Künstler Neo Rauch und Ehefrau Rosa Loy einstieg, verlegte die Handlung in Brabant aus dem 10. Jahrhundert in das reiche Holland des 17. Jahrhundert und bediente sich der Theaterästhetik des 19. Jahrhunderts. Die beiden Maler, die der „Neuen Leipziger Schule“ zugerechnet werden, hatten die Bühne in dominierende Delfter Blau-Facetten getaucht und mit Versatzstücken wie Transformatorenstation, stillgelegtes Elektrizitätswerk, Strommasten und Sumpflandschaft versehen.
IOCO berichtet von der „Dernière“ auf dem Grünen Hügel
Yuval Sharon erzählte eine Geschichte von blindem Gehorsam und dem Versuch, sich davon zu emanzipieren. Er zeichnete eine korrumpierte Gesellschaft, die durch Elsas ambivalentes naiv-kritisches Handeln und Lohengrins archaische Kraft von Feuer und Elektrizität bestimmt, überwunden werden musste. In drei bildgewaltigen Aufzügen mit meist nur sanfter Bewegungsregie dominierte ganz besonders die musikalische Komponente mit einem überragenden Ensemble, Chor und Orchester unter der musikalischen Leitung Christian Thielemanns, der hiermit seine zehnte Wagneroper auf dem Grünen Hügel zur Aufführung brachte.
Drei Wochen vor der Premiere der Neuinszenierung des Lohengrin kam mit einem Paukenschlag die Absage des vorgesehenen Titelhelden Roberto Alagna. Der italienisch-französische Star-Tenor sagte kurzfristig den Bayreuther „Lohengrin“ ab. Er habe den Text aus Zeitmangel nur bis zum zweiten Akt einstudieren können. In den Medien herrschte kurzzeitig völliges Unverständnis und Kopfschütteln. Die Leitung der Bayreuther Festspiele präsentierte während der bereits laufenden Proben als "Einspringer" den polnischen Star-Tenor Piotr Beczala, der bereits im Mai 2016 an der Dresdner Semperoper als Lohengrin an der Seite von Anna Netrebko und vielen anderen namhaften Sängerinnen und Sängern brillierte. Die Neuproduktion auf dem Grünen Hügel war erstklassisch besetzt mit Anja Harteros (Elsa von Brabant), Georg Zeppenfeld (Heinrich der Vogler), Tomasz Konieczny (Friedrich von Telramund), Egils Silins (Heerrufer des Königs), den vier Edlen Michael Gniffke, Eric Laporte, Kai Stiefermann, Timo Riihonen und der lebenden Legende Waltraud Meier, die noch einmal nach 18 Jahren Abstinenz und auf ausdrücklichen Wunsch von Katharina Wagner und Christian Thielemann als Ortrud auf den Grünen Hügel zurückkehrte. Das damalige Zerwürfnis mit Wolfgang Wagner war längst abgehakt und vergessen. Sie wollte nun als 62-jährige Künstlerin eine letzte Ortrud in Bayreuth darstellen mit dem persönlichen Gefühl: "Abschließen, abgeben, loslassen".
EntstehungRichard Wagners romantische Oper Lohengrin spielt vor einem historischen Hintergrund in Brabant in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Die Uraufführung fand am 28. August 1850 in Weimar unter der Leitung von Franz Liszt im Großherzoglichen Hoftheater statt. Wieder vereinte Richard Wagner zwei verschiedene Sagenkreise zu einer eigenen neuen Handlung: den um den Gral und den um den Schwanenritter. Grundlage des Stoffes ist die Gestalt des Loherangrin in Wolfram von Eschenbachs mittelhochdeutschem Versepos Parzival.
Die Handlung - Erster AufzugDas Vorspiel stellt die Aura des Grals dar. König Heinrich der Vogler sitzt auf einer Aue am Ufer der Schelde unter einer Gerichtseiche, um Heerschau und Gerichtstag im Fürstentum Brabant zu halten. Er teilt seine Absicht mit, für einen Krieg gegen die Ungarn ein Heer zu sammeln, an dem sich auch Brabant mit Soldaten beteiligen soll. Er hat erfahren, dass ein Streit um die Erbfolge im Herrscherhaus entbrannt sei. Er ruft daher Friedrich von Telramund zur Aussage vor Gericht. Dieser ist der Erzieher Elsas und Gottfrieds, der Kinder des verstorbenen Herzogs von Brabant. Telramund sagt aus, Gottfried sei auf einem Spaziergang mit seiner Schwester im Wald verschwunden. Er klage sie daher des Brudermordes an, obwohl sie ihm eigentlich als Braut versprochen war. Er selbst habe Ortrud, die letzte Nachfahrin des Friesenfürsten Radbod, geheiratet. Daher beanspruche er zusätzlich die Fürstenwürde von Brabant. Vom König zur Tat befragt, sagt Elsa nur „Mein armer Bruder“. Sie erklärt, dass ihr im Traum ein Ritter erschienen sei, der sie schützen und verteidigen werde. König Heinrich ordnet einen Gerichtskampf als Gottesurteil an. Auf die Frage, wer sie im Kampf vertreten soll, sagt Elsa, ihr werde der gottgesandte Streiter zur Seite stehen, den sie im Traum gesehen habe. Auf den königlichen Aufruf der Streiter meldet sich zunächst kein Kämpfer für Elsa. Erst als sie selbst betet, erscheint ein Boot, das von einem Schwan gezogen wird. Darauf steht ein fremder Ritter in heller Rüstung. Dieser will nicht nur für Elsa streiten, sondern hält zugleich um ihre Hand an. Beides ist jedoch mit der Bedingung verknüpft, niemals nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen. Den Versammelten verkündet der Ritter, dass Elsa von Brabant schuldlos sei. Es kommt zum Zweikampf, in dem der Unbekannte den Grafen von Telramund besiegt. Der Fremde verzichtet darauf, Telramund zu töten. Unter allgemeinem Jubel sinkt Elsa ihrem Retter in die Arme.Bereits im Vorspiel schärft ein berauschendes Blau die Sinne des Zuhörers. Ganz zart eröffnet die Querflöte die Oper. Das Festspielorchester lässt das märchenhafte Ambiente des Grals vernehmen. Sanft führen die samten klingenden Streicher in die Sphären der Vorgeschichte ein. Dann erschallen die Bläser absolut rein und präzise. Das Dirigat von Christian Thielemann lässt schon jetzt Großartiges in der Musik der kommenden knapp vier Stunden erahnen. In der ersten Szene vor einem riesigen blauen Halbrund steht eine Art Energiequelle in Form einer Transformatorenstation mit Strommasten und Blitzableiter und herumliegenden übergroßen Isolatoren. Neo Rauchs 2015 erschafftes Gemälde "Der Former" diente hierbei als Impulsgeber. So entsteht eine Traumwelt mit skurrilen Bildern wie in einem eigenen Traum des Betrachters, eine Art Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Die Brabanter Gesellschaft lauscht voller Spannung dem Heerrufer und dem König von Brabant. In mottenflügelbehafteten, blaugetünchten, elfenartigen Kostümen stehen die Protagonisten vor einem in blau schimmernden Abendhimmel. In einer Atmosphäre, die an Shakespeares „Mittsommernachtstraum“ erinnert, lassen Georg Zeppenfeld des Königs und Egils Silins des Heerrufers Stimme erklingen. Aufgeregt und mit stachelartig besetzter Halskrause tritt der Bösewicht Telramund glaubhaft verkörpert und gesungen von Tomasz Konieczny in Erscheinung und beschuldigt Elsa des Brudermordes. Argwöhnisch blickend taucht im Hintergrund am Eingang des Transformatorhauses seine Gattin Ortrud auf. „Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte“ erschallt erstmals der musikalisch überragende Festspielchor, der gewohnt präzise und raumfüllend jeden Ton und jede Phrase singt. Die Bühne erscheint wie ein gemaltes Bild auf einer Staffelei. Häufig werden die Bewegungen des Chores eingefroren (freezing), um so diesen bildlichen Effekt zu verstärken. Elsa wird an Fesseln hereingeführt in ihrem hellblauen Gewand mit kleinen Flügeln, die die märchenhafte Szenerie unterstreichen. Die Frauen dieser "Mottengesellschaft" haben deutlich kleinere Flügel als die herrschenden Männer. Sie taugen nicht zum Fliegen. Ihnen allen gemeinsam ist die Sehnsucht nach Licht und Energie. Glaubhaft und berührend gesungen von Anja Harteros „Einsam in trüben Tagen…“ fleht sie mal am Boden liegend, mal die Isolatoren umarmend zu Gott, am Seil von zwei Brabantern gehalten, sehnt das Kommen des Retters und Fürstreiters herbei. Einige Brabanter bringen bereits erste Holzscheite für eine mögliche Exekution Elsas herbei. Telramund macht sich am Seil Elsas zu schaffen und fordert mit weiteren üblen Anschuldigungen zum Gottesgericht. Blitze zucken, das Transformatorenhäuschen erbebt, Elsa fleht mit hoch erhobenen Armen und sinkt zu Boden. Im Kern der Energie der Trafostation erscheint Lohengrin in taubenblauem Monteursanzug, (noch) ohne Insektenflügel. Das Volk ist hingerissen angesichts der unerwarteten Erscheinung. Vergeblich sucht man einen Schwan, findet auf dem Trafodach ein flügelandeutendes, glitschig-weiß strahlendes Objekt als Symbol aus einer anderen Welt. Lohengrin wirkt, als stehe er unter "Erlösungsdruck" und dem Willen, endlich aus seiner Gralsritterrolle herauszukommen. Kann er seine Chance nutzen? Mit gesenkten Köpfen empfangen die Brabanter den unbekannten Ritter. Bei der Warnung vor der Frage nach seiner Herkunft tritt Ortrud hervor und bildet mit Telramund sowie Lohengrin mit Elsa zwischen den in den Boden gerammten Schwertern ein magisches Quadrat. Das „gute“ und das „böse“ Paar bilden eine seltsame, märchenhaft verklärte Konstellation. Lohengrin geht mit einem Blitzsymbol in den Kampf mit Telramund. Die Brabanter Gesellschaft wirbelt wild und unschlüssig wirkend umher. Adrenalin-gefüllt nimmt Telramund den Kampf mit Lohengrin auf. Blitz und Schwert überkreuzen sich. Das Volk verteilt sich sitzend um das abgesteckte Kampfterrain. In der düsteren Stimmung fliegen die beiden Kontrahenten an Seilen geführt wie Insekten durch das Halbrund der Szenerie. Telramund unterliegt und verliert einen Flügel. Alle preisen Gottes Sieg. Elsa und Lohengrin triumphieren. König Heinrich hält die Spitze eines Isolators und lässt Lohengrin durch anbringen eines Flügelpaares zum Teil der Neuordnung suchenden Gesellschaft werden. Ortrud und Telramund sind scheinbar am Boden zerstört.
Die Handlung - Zweiter AufzugAm folgenden Tag beklagt Graf Friedrich von Telramund den Verlust seiner Ehre und bezichtigt seine Gattin, ihn zur Falschaussage gegen Elsa verführt zu haben. Ortrud beschuldigt ihn der Feigheit gegenüber dem fremden Ritter, in dem sie keineswegs einen von Gott gesandten Helden erblickt, sondern ein menschliches Wesen. Den widerstrebenden Telramund überzeugt Ortrud davon, dass ihm Unrecht getan wurde und der Fremde den Zweikampf nur mit Hilfe eines Zaubers habe gewinnen können. Die beiden beschließen, Elsa zu verleiten, ihrem Helden die verbotene Frage nach „Nam’ und Art“ zu stellen. Für den Fall, dass dies missglücke, rät Ortrud zur Anwendung von Gewalt gegenüber dem fremden Helden. Kurz darauf erblicken sie Elsa. Telramund zieht sich auf Drängen seiner Gattin zurück. Ortrud gibt sich scheinbar reuevoll gegenüber Elsa, die kurz vor ihrer Hochzeit steht, und schafft es, Elsas Mitleid zu erregen und in den Palast eingelassen zu werden. Triumphierend ruft sie die „entweihten Götter“ Wodan und Freia um ihren Beistand an. Arglos ist Elsa nur zu gern bereit, allen und auch Ortrud zu verzeihen. In einem vertraulichen Gespräch vor der Pforte deutet Ortrud an, es könne ein dunkles Geschick sein, aus dem heraus der Fremde gezwungen sei, seinen Namen zu verbergen. Elsa weist allen Zweifel von sich und nimmt Ortrud zu sich in den Palast. Der Heerrufer des Königs ruft die Brabanter zusammen und verkündet, dass Telramund, wie es die Gesetze erfordern in Acht und Bann gefallen sei. Der „fremde, gottgesandte Mann“ aber soll als "Schützer von Brabant" mit dem Herzogtum belohnt werden. Der Heerrufer kündigt an, dass der Fremde sich noch am selben Tage mit Elsa vermählen werde, um am nächsten Tag die Brabanter anzuführen und König Heinrich auf dem Kriegszug zu folgen. Am Rande der Szene äußern vier brabantische Edle ihren Missmut über die Beteiligung an Heinrichs Feldzug gegen eine weit entfernte Bedrohung. Telramund taucht auf und teilt mit, dass er den Fremden am Feldzug hindern könne und dass dieser das Gottesgericht durch einen Zauber verfälscht habe. Aus der Burg bewegt sich der Brautzug mit Elsa auf das Münster zu. Er hat gerade die Stufen vor dem Portal erreicht, da vertritt Ortrud Elsa den Weg und verlangt den Vortritt für sich mit der Begründung, dass sie einem geachteten Geschlecht entstamme, während Elsa noch nicht einmal in der Lage sei, den Namen ihres Gatten zu nennen. Elsa weist sie unter Hinweis auf die Reichsacht, der ihr Gatte verfallen sei, zurück. König Heinrich erscheint mit dem Fremden, und Ortrud muss vor diesem zurückweichen. Der geächtete Telramund erscheint und klagt den Fremden des Zaubers an, aber die Klage wird abgewiesen. Der Geächtete redet auf Elsa ein, die verbotene Frage zu stellen, doch Elsa ringt sich zu einem erneuten Vertrauensbeweis gegenüber ihrem Helden durch. Der Hochzeitszug zieht mit dem Fremden und der verunsicherten Elsa ins Münster ein.Düster beginnt der zweite Aufzug in Sharons Neuinszenierung mit einem blauen Gazevorhang vor einer schummrigen Heidelandschaft. Dunkle Wolken ziehen am Horizont auf. Telramund tritt in schwarz gehüllt mit nur noch einem Flügel behaftet hervor, den Lohengrin ihm beim Kampf abschlug. Ortrud umgarnt ihn im wahrsten Sinne des Wortes, um seine erlittene Schmach vergessen zu machen und seine Feigheit in alten Machtanspruch zu wenden. Kulissenteile, Schilfgras, Blitzableiter auf einem Turm verschieben sich. Die Überzeugungskunst Ortruds trägt erste Früchte. Nur Telramund kann des Gralsritters Geheimnis offenlegen und seinen Sieg beim Gotteskampf als bösen Zauber entlarven. Gemeinsam schwören sie Rache. Im Blitzableiter-bekrönten Turm erscheint Elsas Portrait im schmalen Fenster. Betörend singt Anja Harteros „Euch Lüften, die mein Klagen…“. Die Saat des Zweifels, durch Ortrud gestreut, kann aufgehen. Ortrud zieht alle Register ihrer Überzeugungskunst und erfleht dabei die Hilfe ihres Gottes Wodan. Elsa tritt aus ihrer sicheren Behausung hervor und zeigt bereits deutlich ihre Zweifel an Lohengrins Identität. Die „Giftpfeile“ ihrer Kontrahentin beginnen ihre Wirkung zu zeigen und die naiv-kindlichen Belange Elsas zu verändern. Telramund erscheint und triumphiert: „So zieht das Unheil in dieses Haus…“. Im Zwischenspiel hebt sich der Gazevorhang und gibt den Blick frei auf die Brabanter Gesellschaft, die wie in einem Bild von Rembrandt vor Blau und komplementärem Orange im Hintergrund erscheint. Ein Künstler steht hinter seiner Staffelei und malt das gerade entstandene Bühnenbild. Später wird er es dem Betrachter zeigen. Die traumandeutende Transzendenz des Blaus und die komplementäre realitätsbezogene Bodenständigkeit des Oranges können hier ihre volle Wirkung entfalten. Noch einmal ächten die Brabanter Telramund, verfluchen seine Tat. Das Volk ist aufgebracht und lässt sich kaum beruhigen. Das neue Paar Elsa und Lohengrin wird als Schützer von Brabant jubelnd gezeichnet und die Hochzeit heraufbeschwört. Ortrud erscheint in blau-weißer Robe festlich gekleidet. Das Volk wirft in gleicher Farbe Konfettiherzen in einer märchenhaft anmutenden Szenerie. Auch die mögliche Thronfolgerin Elsa erscheint, schreitet über das gestreute Konfetti währenddessen Ortrud die "politisch Grauenvolle" sie erneut „Giftspritzen“ verteilend anklagt. Das Volk ist entsetzt. Selbstbewusst beginnt sich Elsa zu wehren. Erneut gelingt es Ortrud bei Allen Zweifel zu säen und fordert, den Namen des Unbekannten zu nennen. Der König und Lohengrin nahen. Der mittlerweile insektenbeflügelte Beschuldigte und Teil der Brabanter Gesellschaft werdende Lohengrin konfrontiert Ortrud selbstbewusst und kraftvoll mit ihrer hinterlistigen Intrige. Er nimmt Elsas Hand und führt sie zum König. Telramund platzt herein und spielt seine letzte Trumpfkarte aus. Er klagt den unehrenhaften Neuling der Gesellschaft des Zaubers an. Lohengrin soll endlich seinen Namen und seine Herkunft nennen. Wieder stecken vier Schwerter als Zeichen des Gottesgerichts im Boden. Lohengrin wehrt sich und richtet sein Vertrauen an Elsa, die als einzige zu dieser Frage berechtigt ist. Auf Geheiß König Heinrichs sollen alle dem ausgemachten Brautpaar die Ehre erweisen. Doch es ist zu spät. Elsas Verlangen nach Ausbruch aus ihrer gesellschaftlichen Enge ist zu groß geworden. Lohengrin nimmt Elsas Hand und schreitet mit ihr ins Off. Das Volk wirkt trotz Jubels angesichts des neuen Brautpaares ratlos.
Die Handlung - Dritter AufzugDas frischvermählte Paar zieht unter der Musik des Brautmarsches in das Brautgemach ein. Es kommt zum ersten vertraulichen Gespräch der beiden. Elsa sagt, dass sie auch dann zum unbekannten Gatten halten würde, wenn Ortruds Verdacht zuträfe. Dieser möchte sie beruhigen und weist auf seine hohe Herkunft hin, die er für sie aufgab. Elsa befürchtet, ihm nicht zu genügen und ihn eines Tages zu verlieren. Und so fragt sie den Ritter nach seinem Namen. In diesem Moment dringt Telramund in das Gemach ein. Es kommt zu einem Kampf, in dessen Verlauf Telramund vom Fremden erschlagen wird. In der letzten Szene ist das Volk versammelt, um das versammelte Heer und König Heinrich zu verabschieden. Die vier Edlen bringen den Leichnam Telramunds vor den König. Der Fremde klagt Telramund des Hinterhaltes und Elsa der Untreue an. Sie habe ihm die verbotene Frage nach seinem Namen und seiner Herkunft gestellt, und er müsse sie nun beantworten. Er könne daher weder als Gatte noch als Heerführer in Brabant bleiben. Dann schildert er seine Herkunft. Er erzählt vom Gralspalast Montsalvat und der göttlichen Kraft, die den Hütern des Grals gegeben werde, solange sie unerkannt für das Recht kämpften. Wenn sie aber erkannt würden, müssten sie die von ihnen Beschützten verlassen. Er selbst sei der Sohn des Gralskönigs Parzival und sein Name sei Lohengrin. Der König werde aber auch ohne ihn die Ungarn besiegen. An Elsa gewandt berichtet Lohengrin weiter, dass es nur eines Jahrs bedurft hätte, und Gottfried wäre nach Brabant zurückgekehrt. Trotz Elsas Flehen und des Königs Drängen kann Lohengrin nicht bleiben. Der Schwan mit dem Boot kehrt zurück und nimmt Lohengrin mit sich. In schrecklichem Triumph ruft Ortrud aus, sie habe den Schwan wohl als den verschwundenen Gottfried erkannt, den sie selbst verzaubert habe. Auf Lohengrins Gebet wird Gottfried bereits jetzt, noch vor Ablauf der Jahresfrist, erlöst. Der Kahn, in dem Lohengrin unendlich traurig scheidet, entfernt sich. Ortrud sinkt mit einem Schrei tot zu Boden, Elsa stirbt an psychischer Erschöpfung und das Volk bekundet sein Entsetzen.Der dritte Aufzug beginnt zunächst mit geschlossenem Vorhang während des Vorspiels. Das Festspielorchester nimmt mit dem Hochzeitsmarsch Fahrt auf. So temporeich, brillant und funkensprühend hat man es sicher lange nicht gehört. Die Bühne zeigt eine Küstenlandschaft mit Schilf, Gräsern und dunklen Wolken in Blautönen. Sie ist zunächst menschenleer. In der Bühnenmitte steht ein Strommast vor einem Transformatorhäuschen. Von den beiden Seiten erscheinen die Brabanter und pilgern zu ihrer Energiequelle. Ganz in Weiß gekleidete Brautjungfern beschwören die Energie und ziehen das Haus auf die Rückseite drehend nach vorne. In komplementärem Orange wird das Brautpaar vor grell leuchtendem Isolator, der vor dem Brautbett steht sichtbar. Man spürt, dass von diesem Ort viel Kraft für eine Veränderung ausgehen könnte. „Das süße Lied verhallt…“ Im Duett Lohengrins mit Elsa lesen beide aus einem Buch, als ob sie hier eine Lösung für die entstandenen Probleme entnehmen könnten. „Fühl ich zu Dir so süß mein Herz entbrennen…“ Elsa und Lohengrin singen ergreifend im grellen Schein der orangeleuchtenden Kräfte des Brautgemachs. Elsa beginnt ihre Zweifel zu formulieren und möchte mit ihrem Gatten darüber reden. „Atmest Du nicht mit mir die süßen Düfte…“ Der Gralsritter versucht mit seiner ganzen Überzeugungskraft Elsa von der verbotenen Frage abzuhalten. Mit einem orangefarbenen Seil beginnt Lohengrin Elsa am Isolator zu fesseln. Zunächst versucht sie sich zu wehren, doch sie verstrickt sich immer mehr in diesen Fängen. Ihre Verzweiflung wächst und sie versucht sich zu befreien. Für Elsa erscheint die Aussichtslosigkeit ihrer Beziehung Form anzunehmen. Es beginnt zu blitzen. Sie sieht im Wahn ihren Bruder Gottfried. Im Hintergrund schleicht sich Telramund in die Szene. Elsa stellt die verbotene Frage. Das Licht der Trafostation erlischt. Atemlose Stille und Spannung entsteht durch eine lange Pause des Festspielorchesters. Lohengrin im Brautbett kriechend ist am Boden zerstört. Telramund wird durch einen Kurzschluss getötet und bleibt auf der Treppe des Brautgemachs liegen. Lohengrin wird sein Geheimnis preisgeben. Seine Vision verkörpert durch den Gral wird scheitern. Seine Vorstellungen von Erneuerung kann er nicht an die Gesellschaft weitergeben. Die schallenden Bläser verkünden die Ankunft des Königs. Nur noch ein paar Leitungen auf beinahe leerer Bühne sind zu erkennen. Leuchtende Mottenkörper auf Speerspitzen erhellen die Szene. Telramunds abgeschlagener Flügel wird hereingebracht. Traurig erscheint Elsa im orangefarbenen Kleid. Der Gralsritter tritt wieder im fahlblauen Monteuranzug mit Blitzsymbol in den Händen herein. Seine Kraft und Energie haben sichtbar abgenommen. Er klagt erneut Telramund des Mordversuchs an ihm an und rechtfertigt seinen Tod. Resigniert stellt er Elsa bloß, da sie ihm die Frage nach seiner Herkunft stellte. Nach der Gralserzählung, die Piotr Beczala atemberaubend singt, ist er völlig energielos. „Mir schwankt der Boden…“ Elsa sieht den „Schwan“ kommen. Mit dem Blitzsymbol verschwindet Lohengrin wieder zu seinem Ursprung. Die Mottenlichter blinken in der Dunkelheit. In einem auf Elsas Rücken befindlichen Korb verbleiben Horn und Ring Gottfrieds. Die entsetzte Gesellschaft erstarrt. Ortrud wird in Fesseln zum Scheiterhaufen geführt. Elsas Bruder Gottfried erscheint als Führer von Brabant in neuer, Hoffnung machenden Farbe Grün, gesichtslos unter einem Hut mit blinkendem grünen Zweig. Elsa überwindet ihre Enttäuschung und verlässt an der Seite des Bruders die korrupte, nicht lebensfähig gewordene Gesellschaft. Die blauen Farben verblassen, verwelken und sind zu Ende. Eine neue, andere Farbenwelt kann beginnen. Der Vorhang fällt.
Das gesamte Ensemble und der Chor der Bayreuther Festspiele (Einstudierung Eberhard Friedrich) wurden zu Recht vom Publikum frenetisch gefeiert.
Piotr Beczala triumphierte als Lohengrin und Retter der Produktion. Seine lyrische Stimme aus komponierter Feinheit und Nobles verbindet auf einzigartige Weise Leichtigkeit mit Kraft. Sie strahlte hell und klang doch warm und natürlich. Und seine Phrasierung kombiniert italienische Gesangstechnik mit einem phantastisch textverständlichen Deutsch. Mit bewusst eingesetzten Kraftreserven gestaltete er menschlich und berührend das Scheitern des strahlenden Gralsritters. Einer der besonderen Höhepunkte war die Gralserzählung, die er im Liegen fast unhörbar leise begann und sich mit höchster Stimmkontrolle und wunderbarem Legato scheinbar mühelos in die finalen Fortissimophrasen steigerte. Mit einer klugen Zukunftsplanung ohne Ambitionen auf weitere, noch schwierigere Wagnerpartien, darf man sich auf einige Lohengrins in den kommenden Jahren freuen.
Anja Harteros, eine der größten Sopranistinnen unserer Zeit, gestaltete die Elsa grandios mit intensiver Bühnenpräsenz, perfekter Stimmführung und absolut bewundernswerter musikalischer Sensibilität. Sie legte die leichte Nervosität, die sie noch in der Eröffnungspremiere hatte ab und gestaltete die Partie detailliert, feinfühlig, in der Intonation äußerst präzise und mit absolut sicherem und jugendlich frischem Glanz. Man spürte bei dieser fünften und letzten Aufführung in diesem Jahr, dass sie diese Partie mit großer Lust und Identifikation mit der Figur der Elsa sang.
Mit großer Spannung erwartete man Waltraud Meier als Ortrud. Erneut wurde schnell klar, dass man sich vor dieser großen Künstlerin dankbar verneigen muss. Sie ist eine sehr leidenschaftliche und auch ungewöhnlich kluge Sängerin, die genau weiß, wie sie die Kräfte einteilen muss. Ihre Stimme leuchtete nach so vielen Jahren immer noch und sie fand immer wieder die richtige Stimmung und Farbgebung. Über einhundert Mal hat sie auf der Bühne der Bayreuther Festspiele gestanden. In der von IOCO Kultur im Netz besuchten letzten Aufführung des Lohengrins nun zum letzen Mal überhaupt. Das Publikum überhäufte sie mit dem größten Applaus des Abends voller Dankbarkeit und Hochachtung.
Ihr Gemahl und Verbündeter in Sachen Machtergreifung war der polnische Bariton Thomasz Konieczny, der als Telramund einen brachialen Super-Power-Bösewicht gab, dessen Kraft und Unerbittlichkeit besonders in den Duetten mit Elsa und Ortrud ungeheure Energie durch stimmliche Gestaltung beinahe körperlich fühlbar machte. Auch er hatte bei der Eröffnungspremiere einige Stellen, an denen ihm inhaltlich jedoch nur die sehr textsicheren Wagnerenthusiasten folgen konnten. In der von IOCO Kultur im Netz besuchten letzten Vorstellung war auch ihm die leichte Nervosität genommen und er sang seine Partie wie gewohnt mit Bravour.
Mit sicherem Bass geriet Georg Zeppenfeld als König Heinrich zum geforderten Ruhepol der Handlung. Mit dunkler Schwärze, hoher Textverständlichkeit, kraftvoller Stimmführung und sicheren Höhen unterstrich er die Autorität seiner Rolle. Er hatte an diesem Abend mehr als 50 Vorstellungen in seinen Paraderollen auch als Gurnemanz im Parsifal und als König Marke in Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen gegeben. Dafür bekam er vom Publikum einen entsprechend großen Fußgetrampelapplaus.
Die übrigen Sänger und hier besonders Egils Silins als Heerrufer des Königs sowie die vier Edlen Michael Gniffke, Eric Laporte, Kai Stiefermann und Timo Riihonen komplettierten das Ensemble zu einer insgesamt überragenden musikalischen Vorstellung.
Christian Thielemann ließ bei seiner nunmehr zehnten Bayreuth-Premiere alle Potenziale seines großartigen Festspielorchesters erkennen. Er nutzte den Mischklang des verdeckten Orchestergrabens und ließ die Musik ganz besonders bei den zahlreichen Pianostellen in vollem Glanz strahlend erklingen. Wohl kaum jemand hat die Akustik des Festspielhauses derart im Griff wie der musikalische Direktor Christian Thielemann. Meisterhaft disponiert er Wagners Dynamik und Klangmischungen. Er sorgte im Graben für eine betörende, ja sogar manchmal atemberaubende Balance und Präzision.
Das Publikum dankte es den Mitwirkenden mit minutenlangen Bravostürmen und Getrampel.
---| IOCO Kritik Bayreuther Festspiele |---