Bayreuth, Bayreuther Festspiele, Andris Nelsons: Was Erda raunt in Bayreuth, IOCO Aktuell, 07.07.2016
Der lettische Dirigent Andris Nelsons (37) hat Ende Juni, für Außenstehende überraschend, seinen Vertrag für die Neuinszenierung des Parsifal aufgelöst. Hartmut Haenchen (73) wird nun am 25. Juli 2016 die diesjährigen Bayreuther Festspiele den neuen Parsifal dirigieren. Andris Nelsons beklagt in seiner kurzfristigen Kündigung, “durch unterschiedliche Ansichten in verschiedenen Bereichen entwickelte sich im diesjährigen Festival die Atmosphäre nicht in einer für alle Beteiligten ansprechenden Weise“. Unbestätigte Gerüchte insinuieren, dass Christian Thielemann, auch hier, Auslöser des Unfriedens war. IOCO / VJ / 06.07.206
Eine Satire unseres Bayreuth-Beobachters Albrecht Schneider klärt hierzu auf:
Was Erda raunt in Bayreuth
Possenspiel mit Realitätshintergrund
Andris Nelsons, eine der neuen Lichtgestalten unter den unseren Globus stetig umrundenden Dirigenten, hat weltweit vernehmlich die Tür zum Festspielhaus hinter sich zugeschlagen und ist aus der Schlangengrube Bayreuth in seine Heimatstadt Riga geflüchtet. Woraufhin gläubige wie ungläubige Wagnerianer sich nun gemeinsam die Augen reiben und erfahren möchten, wie denn um Walhallas Willen dergleichen bloß passieren konnte?
Wenn man all dem, was uns die Presse als Grund oder Gründe präsentiert, Glauben schenken möchte, oder auch nicht, so ist dafür gleichwohl eine gewisse Kenntnis dessen Voraussetzung, was das Gesamtkunstwerk Bayreuther Festspielbetrieb und die ihn dominierende Sippe der Wagners ausmacht. Für dieses sehr große Ganze steht der allseits geläufige Name Grüner Hügel.
Auf diesem mythischen Buckel freilich öffnet sich seit jeher nicht selten eine Erdspalte und verschlingt manchen seiner zu ihm berufenen Protagonisten, spuckt wie ein Vulkan den einen oder die andere wieder aus, etliche ertragen dessen scharfe Winde nicht, oder sie werden von ihnen, just oben angelangt, wieder hinunter in die prosaische Ebene geblasen. Jedenfalls enthalten die Besetzungslisten der letzten Jahrzehnte eine erkleckliche Anzahl Künstler, die davon nicht einzig ein Liedchen, eher eine Gralserzählung zu singen die Stimmen besitzen. Nebenbei bemerkt: Einem Librettisten, der nach einer hochdramatischen Vorlage giert, dürfte sich die Familiengeschichte der Wagners, reich an Verleugnungen, Verstoßungen, Intrigen, Feindschaften, Neid und ähnlichen, Herrschergeschlechtern eigenen Manieren, rasch als ein unerschöpfliches Vorratslager an Stoffen erschließen.
Lassen wir die glamouröse Vergangenheit ruhen und wenden uns dem derzeitigen bayreuther Alltagsgeschehen zu. Katharina Wagner, die Urenkelin des Meisters, brachte es mittlerweile zur alleinigen geschäftlichen wie künstlerischen Prinzipalin. Kürzlich hat sie die seit längerem beratende, bejahrtere Lichtgestalt unter den deutschen Stabhaltern, den Christian Thielemann, zum verantwortlichen musikalischen Direktor erhoben. Nun kann nicht unerwähnt bleiben, wie besagter Maestro das deutsche musikalische Vermächtnis des 19. Jahrhunderts hüten zu müssen wähnt, und das, um ein naheliegendes Bild zu verwenden, ähnlich wie der Drache Fafnir den Nibelungenhort. Wer immer in des Direktors Eigenheim, in des Festspielhauses Orchestergraben, den Takt schlägt, hat offenbar stets damit zu rechnen, dass der Tempelwächter der von Beethoven, Wagner, Bruckner, Brahms und Richard Strauß uns hinterlassenen Schätze demjenigen, der mit diesem Erbe nicht so recht nach seinem Gusto verfährt, gleichsam auf die Dirigentenfinger klopft.
Genervt von derartiger Beckmesserei, heißt es, soll auch Kirill Petrenko, der musikalische Leiter des Ring des Nibelungen, nach drei Jahren auf ein weiteres Dirigat verzichtet haben. Und dem sehr sensiblen Andris Nelsons, dem Dirigenten der heuer die Festspiele eröffnenden Neuinszenierung des Parsifal, so raunen Leute mit Insiderwissen, hätte der Kollege Thielemann ebenfalls weismachen wollen, welche die angemessenen Töne seien, damit der reine Tor sich zum Gralskönig mausert. Falls der lettische Künstler daraufhin die Partitur knallend zuklappte, den Stab zerbrach, die Bruchstücke in die Richtung schmiss, wo im dunklen Zuschauerraum der Herr Musikdirektor hörbar herum maulte, sich dann mit einem hierzulande beliebten Zitat von dem weltbekannten Unternehmen verabschiedete, und selbst auf des Besserwissers Bitten nicht dacopo begann, so dürften darob diejenigen Wagnerianer jubeln, die im Grunde genommen des Meisters Werk in Bayreuth am liebsten von der gemäß ihrer Ansicht dazu einzig legitimierten Hand Thielemanns dirigiert hören möchten.
Bei letzterem Szenario indessen handelt es sich um reine Phantasie. Vielmehr hat Maestro Nelsons in der Tat dem Grünen Hügel Valet gesagt und zu angeblichen Bitten um Rückkehr geschwiegen. Nachdem man bereits Jonathan Meese, einen weit außerhalb des Großmarktes Kunst siedelnden Künstler und zunächst mit der Neugestaltung des Parsifal betraut, aufgrund der Bedenken erstrangiger Kunstwerktätiger wie Pfennigfuchser quasi hinauswarf und mithin ein Nachfolger aufgetrieben werden musste, hat man jetzt das nächste Problem mit dem Bühnenweihfestspiel am künstlerischen Standbein kleben. Aber das "Hohe Paar" Wagner-Thielemann wird es schon richten. IOCO / Albrecht Schneider / 07.07.2016
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