Bayreuth, Bayreuther Festspiele, Der fliegende Holländer: Einer Matrix entstiegen, IOCO Aktuell, 01.08.2012,

Bayreuth, Bayreuther Festspiele, Der fliegende Holländer: Einer Matrix entstiegen, IOCO Aktuell, 01.08.2012,

Aktuell

Bayreuther Festspiele

Der Fliegende Holländer von Bayreuth:  Der Verlust eines Mythos Spannung einer Seminararbeit; Einer Matrix entstiegen

Bayreuth Festspielhaus © Lothar Spurzem
Bayreuth Festspielhaus © Lothar Spurzem

Glaubt man den Beschreibungen der Website der Bayreuther Festspiele zur Handlung des Fliegenden Holländer, so war 2012 eine sehr klassische Inszenierung zu erwarten. Man liest dort: Dalands Schiff wurde auf der Heimfahrt vom Sturm überrascht und ankert in einer Bucht, um günstiges Wetter abzuwarten. Die Mannschaft begibt sich zur Ruhe. Auch der von Daland als Wache eingeteilte Steuermann schläft ein („Mit Gewitter und Sturm“). – Mit blutroten Segeln naht in schneller Fahrt ein schwarzes Schiff und wirft neben Dalands Fahrzeug Anker. Ein bleicher Mann in dunkler Kleidung..... Es ist der fliegende Holländer, der wegen einer Gotteslästerung dazu verdammt wurde, ruhelos die Meere....

Bayreuth Festspielhaus / Der fliegende Holländer _ Franz Selig (Daland) und Samuel Youn (Holänder) © Bayreuther Festspiele_Enrico Nawrath
Bayreuth Festspielhaus / Der fliegende Holländer _ Franz Selig (Daland) und Samuel Youn (Holänder) © Bayreuther Festspiele_Enrico Nawrath

Doch, die Bayreuther Ankündigungen zum Fliegenden Holländer haben mit  der dortigen Bühnenwirklichkeit nichts gemein. Schiff, Anker, blutrote Segel:  Alles Fehlanzeige in der diesjährigen Holländer-Inszenierung. Einen bleichen Mann in dunkler Kleidung gibt es dort wirklich nicht. Die Bühnenwirklichkeit, in Bayreuth wie vielen anderen Musiktheatern, gleicht bei Neuinszenierungen einer Wundertüte. Der Inhalt wird erst nach Öffnen deutlich. Eine  Wundertüte ist ehrlich: Sie täuscht keine falschen Inhalte vor. Bayreuth wie andere Musiktheater und deren Regisseure sind weniger korrekt: Sie verbiegen ursprüngliche Handlungsinhalte von Opern radikal und berufen sich selbst-erhöhend auf vermeintliche Gedanken und Vorgaben der jeweiligen Komponisten. Auch Richard Wagner´s "Holländer" erfuhr in Bayreuth diese populäre Unbill.  Dort wurde 2012 auch Holländer-Mythos zu Grabe getragen. Eine glatt-flotte neue Holländer-Realität wurde geschaffen: Ein Unternehmer namens Daland hat schon bessere Zeiten gesehen hat, Ventilatoren  produziert er, Holländer ist ein frustrierter Spekulant.... Die vorsätzliche Täuschung des Theaterbesuchers ist nur eine Handbreit entfernt. Tröstlich, die großartige Komposition Richard Wagners wurde, bisher, noch nicht geschliffen.

Bayreuth Festspielhaus / Der fliegende Holländer _ Samuel Youn (Holländer) und A. Pieczonka (Senta) © Bayreuther Festspiele_Enrico Nawrath
Bayreuth Festspielhaus / Der fliegende Holländer _ Samuel Youn (Holländer) und A. Pieczonka (Senta) © Bayreuther Festspiele_Enrico Nawrath

Regie dieses entmythisierten Fliegenden Hollänger führte der junge, wenig bekannte Jan Philipp Gloger, 31, dessen einzige bisherigen Opern-Inszenierungen ein Figaro in Augsburg und eine Alcina in Dresden waren. Gloger brachte am 25. Juli 2012 den Fliegenden Holländer als Kapitalismusdrama: Die Protagonisten, eigentlich Matrosen, sind im ersten Bild Manager in Maßanzügen, bringen als Geschenk teure Designerkleider mit. Die Bühne gleicht einem Rechenzentrum mit Schaltkreisen und Datenkabeln und video-schimmernden Chips, welche im Takt der Musik leuchten und blitzen. Im zweiten Akt sieht man die Frauen der Geschäftsleute in einer Lagerhalle des Unternehmers Daland, Ventilatoren in Kartons verpackend. Alle sind glücklich, nur zwei nicht: Senta, die Tochter des Wirtschaftsbosses Daland  und der Holländer. Senta bastelt ein Holländerschiff aus Pappe.  Holländer, mit Rollkoffer voller Geld, von Prostituierten und Dienstboten gelangweilt, zündelt mit Banknoten. Ihr gemeinsamer Ausweg aus der Konsumwelt ist der Selbstmord: Senta ersticht sich mit einer Schere.

Die Presse im Lande bewertet den Bayreuthe  Holländer  höchst durchwachsen:

Die Rheinische Post (Wolfram Goertz) sieht, dass „Bayreuth an Publikum verliert, weil manche Getreue diese märchenlose Tristesse, die kaum durch kühle Denkschärfe kompensiert wird, nicht mehr ertragen wollen. Gloger (der Regisseur, NB IOCO) ist ein Schauspielmann, der keine Ahnung hat, wie man mit choristischen Massen umgeht, ohne dass es wie Turnunterricht aussieht“. Der „Südwind“ des Steuermanns wird von „popeligen Propellern allenfalls verschämt herbeigeblasen.Diese Inszenierung hat kein Brio, keinen Geisthauch, es wirkt fad und ohne End. Nach 15 Minuten hat man sich satt gesehen.

BR-Klassik (Meret Foster) sieht kein schlüssiges Konzept in der Inszenierung, wenn auch reich an assoziativen Bildern. Unfreiwillig komisch sei die Inszenierung, wenn sich Senta Engelsflügel aus Pappe anlegt. Durch fehlende Personenregie wird im zentralen Duett der Beiden szenisch keinerlei Anziehung vermittelt.

Die Berliner Morgenpost (Lucas Wiegemann) entdeckt eine stimmige, innovative Interpretation. Der Holländer sei untoter Seefahrer, eine Parabel auf eine von ökonomischen Zwängen beherrschte,  hektische Zeit.  „Die stimmigen Einfälle des Regieteams sind, wie alle guten Ideen, einfach. Die Inszenierung gibt Anhängern neuartiger Inszenierungen genug Stoff zum Nachdenken, ohne unnötig zu provozieren.“

Bayreuth Festspielhaus / Der fliegende Holländer _ Christa Mayer (Mary) und A. Pieczonka (Senta) © Bayreuther Festspiele_Enrico Nawrath
Bayreuth Festspielhaus / Der fliegende Holländer _ Christa Mayer (Mary) und A. Pieczonka (Senta) © Bayreuther Festspiele_Enrico Nawrath

Der Münchner Merkur (Markus Thiel)  vermisst in der Gloger-Inszenierung bei allen „Schauwirkungen“ das Mythische des Stücks, das Anderssein des Holländer, welcher der „Daland-Fraktion“ viel zu ähnlich sieht,  als dass „sich hier der Zusammenprall zweier Welten ableiten ließe“.  Und sieht „Rückstürze in das Regiemuseale“ bei harmlosen Chorszenen und viel auf den Takt und Punkt inszeniertes. “Wagner als Revue ?“  Aber abschließend:  Gloger, „ein versierter Handwerker, der es schafft, dass man trotz Einwände gebannt bleibt“.

Laut der Süddeutschen Zeitung (Reinhard Brembeck)  verwandelt Gloger „dieses leidenschaftliche tobende Stück“ in ein „schlicht gestricktes Sozialdrama à la Franz Xaver Kroetz,  gut verständlich und alltagsrealistisch, der  aber alles Religiöse und Romantische fehle. Am Schluss hat Kunsthandwerk und Provinz gesiegt.

Die Neue Zürcher Zeitung (Peter Hagmann)  sieht sängerisch glanzvolles Mittelmaß und eine Produktion, welche nicht in Fahrt gerate, was an Thielemanns musikalischer Leitung liege (versteht nicht, dass Orchester zu bändigen) aber auch an der Inszenierung Glogers, welche die Spannung einer Seminararbeit habe.

Die taz (Regine Müller)  beschreibt die Inszenierung bei aller „Eindrücklichkeit der Bilder als konventionell und flach. Glogers Deutung sei herzlich brav und verkürze den Stoff ins  Handliche: „Solides Handwerk, aber keine tieferen Einsichten“.

Die Welt (Manuel Brug)  sieht Gloger als einen „musterknabenhaften“  Ausgleicher, der, bei Erhaltung von Wagners Handlungsgerüst, zeitgenössisch über Motive von Weltekel erzählt, und dabei Materialismus, Ideal und  Ernüchterung filettiere. „In Bayreuth habe der Deutungswind schon stärker geweht“.

Die Münchner Abendzeitung (Robert Braunmüller), Überschrift: Erlösung unterm Ventilator,  sieht die Holländer Produktion  als eine der überzeugendsten der letzten Jahre in Bayreuth. „Der junge Regisseur versteht die Beziehung zwischen Senta und Holländer als eine Liebe zweier Verlorener, …mit anrührenden Momenten“. Andererseits, und  auffällig gerade für ein Presseorgan, kritisiert die Abendzeitung das Publikum, für die „ungerecht herzlose Behandlung“ von Gloger und seinem Team, welcher "sichtlich mit Sängern und Körperlichkeit gearbeitet habe“.   IOCO / Viktor Jarosch / August 2012

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