Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2018, Tristan und Isolde - Richard Wagner, IOCO Kritik, 27.08.2018
Tristan und Isolde - Richard Wagner
- Die Ohn-Macht der Liebe -
Von Hans-Günter Melchior
In Katharina Wagners ereignisreicher, höchst eindrucksvoller, ja streckenweise grandioser Inszenierung von Tristan und Isolde hat die Liebe keine Chance. Sie muss sich in einem technisch durchorganisierten Raum gegen eine Welt von Machthabern und Technokraten behaupten. Der unglückliche Ausgang ist von vornherein absehbar.
Schon der erste Aufzug: Tristans Schiff, auf dem dieser Isolde zu deren ausersehenen Ehemann König Marke (René Pape) führen soll: ein in vieldeutiger Dreiecksform gestaltetes Konstrukt aus von irritierenden Verstrebungen zusammengehaltenen Treppen, die entweder steil nach unten stürzen oder aufwärts strebend im Nichts enden.
Allsehender Gott ins rücksichtslos Weltliche transponiert
Auch im zweiten Aufzug zeigt das symbolträchtig aufgezeichnete Dreieck die Richtung an: die Assoziation zum allsehenden Gott wird ins rücksichtslos Weltliche transponiert. Nicht etwa ein Gott waltet über der Liebe. Vielmehr die Staatsmacht, die das Liebesversteck zum Gefängnis denaturiert und von einer hoch im Bühnenraum rundlaufenden Galerie die Liebenden fest im Kamera-Blick behält, sich keine Bewegung entgehen lässt. Und dann brutal zugreift.
Auch hier wird das Technisch-Konstruktive als das Unentrinnbare zitiert, die politische Herrschaft hat es sich dienstbar gemacht: ringförmig verlaufende Röhren legen sich um Isolde (Petra Lang), sie ist eine Gefangene, Tristan (Stephen Gould) muss die Röhren auseinanderbiegen, um die Geliebte zu befreien. Kurwenal und Brangäne irren durch den weiten, nachtdunklen Raum, Gefahr aus allen Richtungen befürchtend. Allseitige Bedrohung von Anfang an – und kein Ausweg. Intimität und Alleinsein sind nichts als eine Illusion im technisch durchorganisierten Überwachungsstaat. Und Dreiecke auch, ja insbesondere im dritten Aufzug. In ihnen vollziehen sich wie Zwangsvorstellungen die Schreckensvisionen und Fieberträume des tödlich verletzten Helden. In die Szenerie, die Tristan mit seinen Getreuen in die äußerste linke Ecke rückt und aus einem unendlichen Nachtschwarz wie eine pars-pro-toto-Darstellung (die zuweilen immer kleiner im riesigen Bühnenkosmos wird) herausgeschnitten ist, werden Dreiecke aus dem Schwarz herausdringend gleichsam eingezeichnet. In diesen projizieren Untergangsszenen die Verlustängste Tristans ins Bewusstsein der Zuschauer. Isolde ist in den geometrischen Konstruktionen gewissermaßen eingesperrt: bald sinkt sie wie geköpft in sich zusammen, bald löst sie sich geradezu auf und verschwindet.
So ergreifend verdeutlicht und eindrucksvoll hat man den pathologischen Zustand des dem Tod geweihten Tristans noch nicht gesehen. Flirrender Wahnsinn, irrlichternde Phantasien, ausweglose Trostlosigkeit. Die Dreiecke, das Delta, die Dreieinigkeit –, ein magisches Zeichen, das alle Aufzüge beherrscht. Ein ins Allegorische transponierter Verweis vom Besonderen ins Allgemeine – und umgekehrt wiederum zurück vom Allgemeinen auf das Besondere, Menschliche, das Einzelschicksal, das für das Ganze steht. Ein Verweis nur, aber keine Zauberformel der Befreiung. Den letzten Schutz versagend. Vergeblich das „Habet-Acht“ Brangänes (begeisternd Christa Mayer) im zweiten Aufzug. Vergeblich auch Tristans (Stephen Gould, im ersten Aufzug kraftvoll, kerniger Tenor) Aufbegehren gegen den Tod. Hier verlässt die Inszenierung bewusst und zur ihrem Vorteil die zuweilen allzu künstlich-kunstvoll ins Literarische und Mythische gesteigerte Textvorlage und schlägt sich auf die Seite des Menschlichen-Allzumenschlichen. Und sie zeigt die Abgründe auf, das kreatürliche Elend zweier Menschen, nicht zweier Götter.
An Gründen zum Mitleiden mit zwei Menschen besteht kein Mangel:
– Katharina Wagner macht aus dem Paar, das bei Wagner alllzu zauberisch Opfer einer Art von Gift, dem Liebestrank, also eines synthetisch vermittelten Rauschzustands ist, wahre, echt Liebende, die zum Mitfühlen und Mitgefühl auffordern. Demonstrativ gießen sie den sogenannten Liebestrank auf den Boden. Ein Bekenntnis zu einer Liebe, die keines Zaubertranks bedarf. Haben sie doch hierzu allen Anlass: Isolde hat Tristan von einer lebensgefährlichen Verwundung geheilt, die der von ihm getötete Morold, einst Isoldes Verlobter, ihm im Kampf zugefügt hatte. Ohne echte Liebe hätte es für diese Heilung an einem glaubwürdigen Motiv gefehlt. – Im zweiten Aufzug schneiden sich die Liebenden aus Verzweiflung und der Ausweglosigkeit ihrer Situation bewusst die Pulsadern auf. Sie sind im Grunde bereits faktisch tot. Als gleichsam „Untote“ (eine mögliche Deutung?) und über ihre irdische Zeit hinaus untrennbar miteinander Verbundene agieren sie weiter und treiben ihrem Schicksal entgegen, indem sie ihre Geschichte einfach weitererzählen. Oder die Geschichte verselbständigt sich, erzählt sich von selbst zuende.
Das Aufregendste am Schluss: die Regie verweigert dem Paar die Vereinigung im Tod. Isolde darf nicht „entseelt“ über dem toten Geliebten zusammensinken. König Marke reißt vielmehr seine Gemahlin wie eine Sklavin, die er in seinen rechtmäßigen Besitz nimmt, von der Leiche des Geliebten weg und zieht sie brutal auf seine Seite, verlässt mit ihr die Bühne. Einem Teil des Publikums missfällt das offenbar. Dennoch ist es die logische Konsequenz einer höchst durchdachten, zuende gedachten Idee. Letztlich siegt die politische Macht über das Pathos, mit beherztem Zugriff macht Marke allen Gefühlen ein Ende und richtet die ins Wanken geratene alte Ordnung wieder ein.
Die glänzend führende Regie verlangt darstellerisch viel von den Protagonisten. Hingabe und Verzicht zugleich, Resignation und Begeisterung. Die sängerischen Anforderungen sind ohnehin enorm hoch. Die Protagonisten sind den Anforderungen ausnahmslos gewachsen. Stephen Goulds kerniger Tenor überzeugt (im ersten Aufzug) ebenso wie der – dunkle und interessant etwas verschattete – Sopran der Petra Lang. Leider litt Stephen Gould zunehmend an einer Entzündung der Luftwege, die ihn im zweiten Aufzug bereits behinderte, im dritten Aufzug musste er sich stimmlich eines Ersatzes, Vincent Wolfsteiner, bedienen (der eine tadellose Leistung vollbrachte). Großartig René Pape als König Marke, ebenso wie Lain Paterson als Kurwenal. Faszinierend und berückend vor allen anderen die Brangäne der Christa Mayer, eine gesangliche Ausnahmeerscheinung.
Ein Ensemble, das höchste Ansprüche und Erwartungen erfüllte
Thielemann mit stilbildendem Wagner-Verständnis
Die Krone gebührt freilich dem Dirigenten Christian Thielemann, der das wunderbare Orchester zu höchsten Leistungen inspirierte. Wagners Partitur verlangt vom Dirigenten ein Äußerstes an Verständnis, Einfühlung und klanglicher Ausgewogenheit. Über weite Strecken beherrscht das Chromatische bis hin zum an die Moderne heranreichende, es vorbereitende Dissonanten das musikalische Geschehen (s. hierzu ausführlich: Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner, Suhrkamp Taschenbuch, S. 62 ff). Thielemann gelingt es, alles Spröde und Akademisch-Hinweisende zu vermeiden. Hinreißend gelingen die lyrischen Passagen des zweiten Aufzugs. Wahre Farb- und Klangwunder, die geradezu ans Impressionistische gemahnen, das Wagner angeblich so zuwiderlief. Und erst die Steigerungen, wahre Aufgipfelungen der Expression, der Verzweiflung, im dritten Aufzug! Man muss an sich halten, nicht einzustimmen oder zu vergessen, dass man ein „Mensch unter Menschen ist“, also in der Menge sitzt und nicht einfach loslassen darf. Thielemanns Wagner-Verständnis setzt Maßstäbe. Es ist längst stilbildend. Und das Orchester versteht ihn, folgt ihm in jeder Nuance.
Am Ende die bekannten Beifallsstürme. Christian Thielemann hätten das Publikum freilich am liebsten auf den Schultern durchs Festspielhaus getragen. Der Rezensent wäre dabei gewesen.
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