Baden bei Wien, Stadttheater Baden, CARMEN - Georges Bizet, IOCO Kritik, 26.02.2023

Baden bei Wien, Stadttheater Baden, CARMEN - Georges Bizet, IOCO Kritik, 26.02.2023
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Bühne Baden

Baden bei Wien Stadttheater © IOCO
Baden bei Wien - Das Stadttheater am Abend © IOCO - Kultur im Netz

CARMEN - Georges Bizet

- Bühne Baden - Carmen, Don José, Escamillo, Micaëla - Idealbesetzung -

von Marcus Haimerl

Georges Bizet, Paris © IOCO
Georges Bizet, Pere Lachaise, Paris © IOCO

Die Bühne Baden bei Wien bringt, wie bereits 1972 Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin und 2020 auch die Wiener Volksoper, Carmen von Georges Bizet nicht in der französischen Originalsprache, sondern auf Deutsch. Sie schließt damit an die Tradition einer Ära an, in der viele Opernhäuser das Standardrepertoire von Bizet bis Verdi nur in der jeweiligen Landessprache aufführten, was auch die Einspielung einer Carmen in deutscher Sprache unter Horst Stein mit Christa Ludwig, Rudolf Schock und Hermann Prey aus dem Jahre 1961 bewies. Danach bestand Herbert von Karajan darauf, Opern in ihrer Originalsprache aufzuführen. Seither wurde an den meisten Opernhäusern ausschließlich die Originalversion von Carmen zur Normalität.

Dass man heute wieder durch die Verwendung der Landessprache möglicherweise Menschen erreichen und deren Hemmschwelle in die Oper zu gehen, senken und sie nicht durch Übertitel ablenken darf, ist zwar ein lobenswerter Gedanke der Badener Intendanz, muss aber keineswegs für jeden im Publikum gelten. Dem Badener Publikum wäre wahrscheinlich auch eine Carmen in der französischen Originalsprache zumutbar gewesen, die so manche Stolpersteine, die sich im Deutschen finden, vermieden hätte.

Michael Lakner ist vor allem dafür zu danken, dass er das Publikum nicht wie viele andere Regisseure mit krampfhaften Aktualisierungen und werkschädigenden Modernisierungen konfrontiert, irritiert und fatigiert. Die  Aufführung auf der Bühne Baden knüpft sparsam an die Gegenwart an und findet damit den richtigen Mittelweg.

Überdies gelang es ihm mit seiner Inszenierung auch die, mit der Wiener Erstaufführung im Oktober 1875 zur großen Oper, die sie ihrem Wesen nach durchaus nicht ist, umstilisierte Carmen wieder zu einem tragischen Kabinettstück zu machen. In Baden tritt die Kette von unglücklichen Beziehungen (Micaëla liebt Don José - der liebt Carmen - diese aber Escamillo - der Narziss aber nur sich selbst) wieder klar zu Tage.

Dass trotz angemessener Regie Carmen auch in Baden nicht ganz so aufgeführt wird, wie Bizet sie niedergeschrieben hat, ist schade. Stehen doch dem exzellenten musikalischen Leiter Michael Zehetner mit dem absolut leistungsfähigen Orchester, dem glänzenden Chor und dem arrivierten Ballett der Bühne Baden KünstlerInnen zur Verfügung, die ein Öffnen vieler Striche erlaubt hätten. Schon während der Bühnenproben für die Uraufführung hatte  die damalige Ratlosigkeit zu eben diesen Strichen geführt. Deren Aufführung wäre auch dem erstklassigen und brillant harmonisch musizierenden Ensemble (Moralés / Dancairo - Thomas Zisterer, Remendado - Beppo Binder, Frasquita - Loes Cools, Mercedes - Domenica Radlmaier) zuzutrauen gewesen. Besonders der junge Bariton Gezim Berisha als strenger Offizier Zuniga ragt aus dem Ensemble mit seinem bestechendem Timbre äußerst positiv hervor. Er schafft es hervorragend, dieser an sich kleinen Rolle deutliche Konturen zu geben.

Bühne Baden / CARMEN hier Ivana Zdravkova als Carmen © Christian Husar
Bühne Baden / CARMEN hier Ivana Zdravkova als Carmen © Christian Husar

Natalia Ushakova ist Carmen und singt die Habanera, die nach zwölffacher Umarbeitung die endgültige Vertonung als „Chanson espagnole“ und den heutigen Text von Bizet selbst erst während der Uraufführungsproben erhielt, mit ganz besonderer Laszivität. Sie gibt dieser Rolle mit ihrer sinnlich timbrierten Stimme eine besondere Kontur: Ihre Carmen ist tatsächlich der Inbegriff einer selbstbewussten, leidenschaftlichen Frau – keine Dame, aber auch keine Dirne – einfach eine verführerische Frau, die sich sichtlich für ihre Freude am Leben nicht schämt, sondern es in allen Facetten auskostet.

Mit unbändiger Leidenschaft füllt und fühlt sie ihre Rolle fulminant, ist schauspielerisch wie gesanglich präsent. Das Publikum freut sich sichtlich darüber, eine so archaische Carmen erleben zu dürfen und man hat allen Grund zu vermuten, das Bizet selbst genau damit ebenfalls seine Freude gehabt hätte. Ushakova führt ihre noch immer lyrische Stimme, mit der sie makellos Koloraturrollen wie Lucia, Violetta, Königin der Nacht und Norma äußerst erfolgreich an vielen großen Häusern wie Wien, New York, Mailand, Buenos Aires, Moskau, Sankt Petersburg, Stuttgart, und Hamburg, gesungen hat, nun behutsam ins Mezzofach. Hier erlebt man eine Künstlerin, die mit Herz und Seele musiziert.

Bühne Baden / CARMEN hier Natalia Ushakova, Thomas Weinhappel © Christian Husar
Bühne Baden / CARMEN hier Natalia Ushakova, Thomas Weinhappel © Christian Husar

In dieser Produktion ist es aber nicht nur Ushakova, die man zum ersten Mal in Österreich nach einem Fachwechsel erlebt. Der noch vor drei Jahren lyrische Bariton Thomas Weinhappel präsentiert sich nun als dramatischer Bariton mit imponierenden und deutlich dünkleren Farbtönen, die seinem beeindruckenden Escamillo eine gefährliche Aura geben. Er setzt seine seit jeher höhensicheren Qualitäten gekonnt ein und steigert sie mühelos um stimmgewaltige, hochdramatische Nuancen, die er mit großer Bühnenpräsenz und imponierender schauspielerischer Leistung bereichert. Kein Wunder, dass ihm das Premierenpublikum diesen überaus geglückten Fachwechsel mit vielen Bravo-Rufen dankt und bedauert, dass ihm Bizet nur eine große Arie zugedacht hat. Man hätte gerne mehr von diesem erstaunlichen Heldenbariton gehört.

Escamillos Auftrittslied, die feurige Propagandarede eines in sich selbst verliebten Stierkämpfers, gleitet andernorts manchmal in die Operette ab. Weinhappel hingegen, dank seines außergewöhnlichen schauspielerischen Talents ein charismatischer Singschauspieler, rettet seinen Escamillo aus der platten Operettenseligkeit, kultiviert sein Auftrittslied vom allseits bekannten Gassenhauer zum imponierenden Hymnus und macht es damit zu einem der Höhepunkte der Aufführung: Hier erscheint tatsächlich der stattliche, umschwärmte, leibhaftige Narziss, als den Meilhac und Halevy, die unter Mitarbeit von Bizet selbst das Libretto schufen, ihn beschreiben.

Der Dritte, dem das Publikum mit frenetischem Applaus dankt, ist Vincent Schirrmacher. Er gewinnt es mit seinem Don José, den er als anfangs noch fast scheu wirkenden Sergeant ideal gestaltet. Bravourös zeigt er sein Können in der Blumenarie im 2. Akt. Erst während der Uraufführungsproben wurde diese oft als Herausforderung von so bedeutenden Interpreten wie Domingo, Carreras und Pavarotti beschriebene Arie in die heutige knappe, unbegleitete Gestalt gebracht; ursprünglich wäre sie eigentlich doppelt so lang und vom Orchester begleitet gewesen. Gerade von Vincent Schirrmacher hätte man gerne die längere Fassung gehört!

Bühne Baden / CARMEN hier Gezim Berisha, Ensemble © Christian Husar
Bühne Baden / CARMEN hier Gezim Berisha, Ensemble © Christian Husar

Durch eine ständige Steigerung vermag er es, das zornige, unkontrollierte und hitzige Temperament dieses drahtigen und jederzeit zur Attacke bereiten Don José im 3. Akt zu präsentieren, als er seinem Rivalen Escamillo gegenübersteht. Man meint, dass selbst schon seine Blicke töten könnten. Sehr glaubwürdig und erschütternd verliert er vollends die Fassung, als er im 4. Akt Carmen zur Rede stellt, sie tötet und über der Geliebten verzweifelt zusammenbricht. Ein großes Bravo an den Tenor mit der strahlenden Stimme, der mit seinem Don José zweifellos dramatischer geworden ist, ohne seine lyrische Note zu verlieren. Wieder einmal hat der Barde mit seiner phänomenalen Stimme bewiesen, dass ihn seine asiatische Herkunft keinen Jota darin beeinträchtigt, europäische Charaktere eindrucksvoll und mitreißend zu gestalten. Er, dem zu Recht 2022 der Titel Kammersänger verliehen wurde, verkörpert nicht nur glänzend die Prinzen Sou-Chong und Calàf.

Der mazedonisch-australischen Sopranistin Ivana Zdravkova, die vor wenigen Jahren noch im Chor der Bühne Baden mitwirkte, vertraute Intendant Lakner  bereits Solorollen und nun das Bauernmädchen Micaëla an, das sie überzeugend verkörperte. Sie ist mit ihrer vor allem in der Mittellage wunderbaren Stimme die Idealbesetzung für die scheue, treuherzige Gegenspielerin der Carmen. Ihre Arie im 3. Akt berührt das Publikum besonders, weil sie den goldenen Mittelweg zwischen energischen und zarten Tönen findet. Zu Recht gelten auch ihr viele Bravo-Rufe. Von Zdravkova darf man in Zukunft Rollen wie Liù, Desdemona oder Mimi erwarten und ihr Intendanten wünschen, die sie in diesen Rollen besetzen.

Für seine Produktion in deutscher Sprache, die durch akurate Personenführung imponiert, hat Lakner auf die von Mareile von Stritzky geschickt konzipierte Bühne erstklassige SolistInnen in den beeindruckenden Kostümen von Mareile von Stritzky an das Haus im Süden Wiens geholt und dem Publikum einen Bizet wie aus dem Bilderbuch geboten. Damit wird ihm der Misserfolg der ersten Pariser Carmen-Aufführungen mit Sicherheit erspart bleiben. Der war damals so groß, dass der damalige Direktor der Opera Comique, Camille du Locle, seinen Freund Verdi kommen lassen musste, um mit vom Maestro dirigierten Requiem-Aufführungen das Carmen-Defizit wettzumachen.

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